Chelseas Mauer-Taktik gegen Atlético
Mourinhos Bollwerk
José Mourinho hat sich mit einer extremen Defensiv-Taktik seines FC Chelsea bei Atlético Madrid eine gute Ausgangsposition fürs Rückspiel ermauert. Die wichtigsten Statistiken zur Halbfinal-Partie in der Champions League.
Hamburg - José Mourinho ist ein Trainer, der nicht geliebt werden will. Der Portugiese provoziert, meckert, reklamiert. Vor, während und nach einem Spiel. Für den 51-Jährigen zählt nur eines: Titel. Wenn es nötig ist, muss seine Mannschaft eben vermeintlichen Anti-Fußball spielen, sein Team setzt dann auf eine Mauer-Taktik. Im Halbfinal-Hinspiel der Champions League stellte sich Mourinhos Team, der FC Chelsea, mal wieder hinten rein und kam bei Atlético Madrid zu einem 0:0.
Tief, tiefer, Chelsea: Chelsea zog sich extrem weit zurück, was die Heatmap-Grafik verdeutlicht. Je stärker rot gefärbt ein Bereich, desto mehr hielten sich die Spieler dort auf. Stürmer Fernando Torres war mehr in der Verteidigung gebunden, als dass er sich auf den Angriff konzentrieren konnte. Der Spanier kam auf lediglich einen Torschuss an seiner alten Wirkungsstätte.
Heatmap-Grafik von Chelsea: Fast nur im eigenen Strafraum
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Mit seiner Mauer-Taktik zwang Mourinho die Gastgeber aber auch dazu, sich von ihrer eigentlichen Spielweise gegen starke Gegner abzuwenden. Statt auf Konter und schnelles Umschaltspiel zu setzen, erinnerte Atlético an den FC Barcelona. 69 Prozent Ballbesitz hatte Madrid gegen Chelsea, Rekordwert in dieser Champions-League-Saison für Atlético, im Saisonschnitt waren es zuvor nur 43 Prozent Ballbesitz.
Die Spielanteile waren eindeutig
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Von der Aufgabe, das Spiel gestalten zu müssen, wirkte Atlético überfordert; sie raubte dem Team die Torgefährlichkeit. Den Gastgebern fiel kaum etwas anderes ein, als es mit Flanken in den Strafraum zu versuchen. Auch das spielte Mourinho in die Karten, seine Innenverteidiger John Terry und Gary Cahill sind extrem kopfballstark. Insgesamt 38 Flanken schlug Madrid, eine wirkliche Kopfballchance kam dadurch nicht zustande.
Diego Costa blieb bei allem Bemühen ohne Wirkung
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Wirkungsloser Costa: Chelsea gelang es auch, Diego Costa ungefährlich zu machen. Atléticos Stürmerstar hätte eigentlich der Abnehmer für die vielen Flanken in die Mitte sein sollen, doch der Angreifer wich häufig auf den linken Flügel aus (siehe Grafik). Sechsmal schoss Costa zwar, aber nur ein Versuch ging auch aufs Tor.
Diego setzte fast keine Akzente
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Diego findet keine Lücke: Trainer Diego Simeone hatte offenbar erwartet, dass Chelsea mauern würde, und den Ex-Wolfsburger Diego von Beginn an gebracht. Über den brasilianischen Spielmacher liefen auch die meisten Angriffe Atléticos, Diego hatte bis zu seiner Auswechslung 63 Ballkontakte. Doch auch der frühere Wolfsburger fand nicht die entscheidende Lücke in der Gäste-Defensive.
Einen Vorwurf konnte man Diego und seinen Teamkollegen aber kaum machen. Mit ähnlichen Verteidigungsstrategien hat Chelsea 2012 bereits Barcelona und auch den FC Bayern schlecht aussehen lassen. Mourinho selbst setzte bei seinen bisherigen Stationen (FC Porto, Chelsea, Inter Mailand, Real Madrid) in den wichtigen Spielen stets auf die Defensive.
Chelseas Aderlass: Dafür ist Mourinho auf Personal angewiesen, das seine Vorgaben annähernd perfekt umsetzt und ihm vollkommen vertraut. Das ist beim FC Chelsea der Fall. Allerdings muss er im Rückspiel wohl auf vier entscheidende Stützen verzichten: Die Mittelfeldspieler Frank Lampard und John Obi Mikel sahen in Madrid jeweils ihre dritte Gelbe Karte und sind damit für das Rückspiel gesperrt. Torwart Petr Cech verletzte sich an der Schulter und fällt laut Mourinho für den Rest der Saison aus.
Auch Innenverteidiger John Terry musste verletzungsbedingt ausgewechselt werden. Er knickte Mitte der zweiten Hälfte um, sein Einsatz ist zumindest fraglich. Damit scheint Mourinho schon aufgrund seines Kaders dazu gezwungen, offensiver spielen zu lassen. Das wiederum würde Atlético helfen, wieder die eigentlichen Stärken auszuspielen. Aber auch so kann das Rückspiel am kommenden Mittwoch (20.45 Uhr, Liveticker SPIEGEL ONLINE) eigentlich nur besser werden.