
Besiktas: Europas Holzfäller-Elite
Leipzig-Gegner Besiktas Fehlt nur noch Balotelli
Am Wochenende lebte das Klischee wieder. Von dem türkischen Fußball als Heimat der Heißsporne, die sich nicht im Griff haben, aufgepeitscht von einem fanatischen Publikum. Die Bilanz des Istanbuler Derbys Fenerbahce gegen Besiktas: Fünf Rote Karten, zwei Elfmeter, ein Trainer wegen Schiedsrichterbeleidigung auf die Tribüne geschickt.
Tatsächlich stellen diese Derbys mit ihrer hitzigen Atmosphäre die Ausnahme dar. Die meisten Spiele der Süper Lig finden vielmehr vor halbleeren Rängen statt. Viele Klubs in der Türkei drücken große Schulden, vor allem die prominenten Vereine haben jahrelang und bis heute internationale Stars im Herbst ihrer Karriere ins Land geholt und sie fürstlich bezahlt.
Die wirtschaftliche Seite wird dabei schon mal ausgeblendet - dass die Starspieler ihren Lohn in Euro erhalten, die heimische Währung aufgrund der schwierigen politischen Umstände aber zuletzt weitgehend abgestürzt ist, haben die vier Großen Fenerbahce, Besiktas, Galatasaray und Trabzonspor weitgehend ignoriert, zudem drücken Schuldzinsen aus der Vergangenheit die Bilanz. Alle türkischen Topvereine stehen mittlerweile unter der Finanzaufsicht der Uefa.
Kader von Besiktas ist gespickt mit Altstars
Besiktas, das Team, das am Abend gegen RB Leipzig antritt (20.45 Uhr, Liveticker SPIEGEL ONLINE, TV: Sky), hat damit noch die wenigsten Probleme. Trainer Senol Günes hat das Team zweimal zur Meisterschaft geführt - das bedeutet die zweite Champions-League-Teilnahme nacheinander mit den entsprechenden Einnahmen. So gönnt sich der Klub auch weiterhin eine teure Mannschaft mit vielen Altstars.
In der Verteidigung stehen so einschüchternde Spieler wie Portugals Pepe, der bei Real Madrid jahrelang alle Varianten des schmutzigen Spiels auf kreativste Weise auf eine neue Ebene gehoben hat. Neben ihm grätscht Chiles Gary Medel, der zuvor bei Inter die Angreifer der Serie A das Fürchten lehrte. Der ehemalige Bremer Dusko Tosic hat sich auch nicht den Ruf des fußballerischen Feingeists erworben.
Vor ihm fummelt Ricardo Quaresma, der gefühlt schon bei jedem europäischen Klub unter Vertrag stand. Der Portugiese kassierte am vergangenen Wochenende seinen sechsten Feldverweis in fünf Jahren Türkei-Profitum. Die Tore im Team schießt der Niederländer Ryan Babel, der woanders, unter anderem bei der TSG Hoffenheim, grandios scheiterte. Eigentlich fehlt nur noch Mario Balotelli.
Pepe und Quaresma sind mittlerweile 34 Jahre alt, Medel und Babel je 30, Tosic 32, im Team stehen noch der Kanadier Atiba Hutchinson, 34, und der Spanier Álvaro Negredo, 32. Mehr muss man über Nachwuchsförderung bei Besiktas nicht wissen.
Auch an der Seitenlinie steht ein Routinier
Dazu passt, dass bei dem Klub mit Günes ein Trainer das Sagen hat, der im nächsten Jahr die Pensionsgrenze erreichen würde, wenn es so etwas im Trainergeschäft gäbe. Günes führte die Türkei vor 15 Jahren bei der WM in Asien zum dritten Platz, bis heute der größte Erfolg der Nationalmannschaft. Der 64-Jährige ist einer, der selten die Ruhe verliert, ein besonnener Coach, in der Lage, auch so ein kompliziertes Team wie Besiktas mit seinen sehr ausgeprägten Individuen zu führen. Quaresma hat schon viele Trainer zur Verzweiflung gebracht, bei Günes hat er es noch nicht geschafft.
Besiktas hat die erste Vorrundenpartie in der Champions League etwas überraschend beim FC Porto 3:1 gewonnen, mit einem Erfolg über RB wäre die Ausgangsposition der Türken perfekt, Leipzigs Trainer Ralph Hasenhüttl erwartet daher "einen heißen Tanz", und das ist diesmal wohl kein Klischee.
Die politische Lage in der Türkei wirkt sich auch auf das Champions-League-Spiel am Abend aus. Lediglich 250 Fans machen sich aus Leipzig auf den Weg an den Bosporus. RB hat zwar nicht die größte Fanbasis in Deutschland, aber im Vergleich zu den kommenden Auswärtspartien in Porto und Monaco, für die jetzt schon vierstellige Vorbestellungen für Tickets vorliegen, fällt der Support deutlich geringer aus. Weil offenbar viele Fans Scheu haben, aktuell in die Türkei zu fahren.
Die RB-Anhänger sollten sich politischer Äußerungen enthalten, beim Alkohol zurückhaltend sein und größere Menschenmengen meiden, hieß es im Vorfeld als Ratschlag von Vereinsseite aus. Das hat viele abgeschreckt: Eine Auswärtsreise ohne größere Menschenmengen und Alkohol ist keine rechte Auswärtsreise. Dass Besiktas-Fans landläufig als Erdogan-fern gelten, kommt hinzu.
Entgehen wird den RB-Anhängern ein sportlicher Clash of Cultures. Auf der einen Seite RB mit den Fetischen Jugend und Tempo, auf der anderen Seite die abgezockte Besiktas-Truppe, besetzt mit Profis, die schon jedes Schienbein in Europa poliert haben. Einen interessanteren Gegensatz findet man in der Champions League kaum noch.