Champions-League-Finale Real vs. Atlético Madrid ist nicht gleich Madrid

Cristiano Ronaldo
Foto: Alberto Martin/ dpaDas Champions-League-Finale Real vs. Atlético beginnt um 20.45 Uhr, SPIEGEL ONLINE berichtet im Liveticker, im Fernsehen ist es im ZDF und bei Sky zu sehen.
Es war ein kurioser Treffer, der für Real Madrids Einzug ins Champions-League-Finale sorgte: Ein Eigentor von Manchester Citys Mittelfeldspieler Fernando, der einen Schuss von Madrid-Angreifer Gareth Bale so unglücklich abfälschte, das er im linken Torwinkel landete. Der Treffer ließ die Königlichen jubeln - und die englischen Fans fluchen: so ein Dusel-Tor!
Dass Real Madrid am Abend gegen Stadtrivale Atlético um seinen elften Champions-League-Titel in der Vereinsgeschichte spielen kann, hat also eine Menge mit Zufall zu tun. Aber wie häufig spielt dieser Zufall im europäischen Spitzenfußball eigentlich eine Rolle?
Folgende Merkmale können hierfür herangezogen werden:
- Der Torschuss wurde abgefälscht.
- Der Ball prallte unmittelbar vor dem Torerfolg unkontrolliert vom Torgestänge zu den Angreifern.
- Der Ball ging von Pfosten oder Latte ins Netz.
- Der Ball ging trotz einer starken Berührung durch den Torwart ins Netz.
- Das Tor fiel durch einen Schuss aus mehr als 25 Metern unter günstigen Umständen - etwa mit Sichtbehinderung des Torwarts, Aufsetzer oder Flatterball.
- Die Abwehr half unfreiwillig mit, indem sie den Ball unmittelbar vor dem Tor an die Angreifer verlor oder selbst ins Tor schob.
In der Champions-League-Saison 2016/2017 wurden bislang insgesamt 331 Tore erzielt. 1247 Torschüsse haben die Fußballprofis dafür abgegeben. Gut jeder vierte Schuss landete also im Tor. Die beiden Finalisten schossen zusammen 43 Tore: Real Madrid 27 (fünf Gegentore) und Atlético Madrid 16 (sieben Gegentore).
Bei etwa 42 Prozent aller 331 Tore (also 139) war mindestens eines der genannten Merkmale erfüllt, diese Tore können also nicht als planvoll beschrieben werden. Es fielen aber auch Tore mit bis zu vier Merkmalen des Zufalls. Häufigstes Merkmal mit etwa 20 Prozent war, dass der Ball unmittelbar vor dem Torerfolg von einem der Abwehrspieler zum Angreifer gelangte.
Doch wie sieht das nun konkret bei den beiden Finalgegnern aus?
Real Madrid schoss 18 seiner 27 Tore, ohne eines der Zufallskriterien zu erfüllen (67 Prozent), Atlético Madrid 11 seiner 16 (69 Prozent). Damit heben sich beide Teams deutlich vom Mittelwert der Champions League ab. Die beiden Lokalrivalen benötigten den Zufall also nicht so häufig wie andere Teams. Bales Treffer gegen Manchester war also eine Ausnahme.
Schaut man genauer hin, können Trends bezüglich der Spielsituationen aufgedeckt werden. Atlético schoss 72 Mal auf das Tor. Bei ihren Toren kamen die Spieler neun Mal aus einer offensiven Phase der Ballkontrolle, heißt: Von Balleroberung bis zum Torerfolg vergingen mehr als acht Sekunden. Fünf Mal führte das Umschaltspiel zum Erfolg, der Treffer fiel also spätestens acht Sekunden nach Balleroberung. Zwei Tore fielen nach Standardsituationen.
Bei Real Madrid sieht das etwas anders aus: Das Team von Trainer Zinédine Zidane schoss mehr als 51 Prozent seiner Tore (14 Treffer) aus dem Umschaltspiel, 30 Prozent (acht Tore) aus einer offensiven Phase. Fünf Tore wurden per Standardsituation erzielt.

Diese Abbildung zeigt sowohl die Anzahl an Toren mit Zufallskriterien als auch die unterschiedlichen Merkmale und Strategien der Teams. Hinweis: Ein Tor kann mit mehreren Merkmalen des Zufalls belegt sein.
Foto: Institut für SpielanalyseDie Zahlen sind überraschend, räumen sie doch mit dem Vorurteil vom Abwehr-Bollwerk Atlético Madrid auf, das vor allem nach überfallartigen Kontern treffe. Im Viertelfinale gegen den FC Barcelona und im Halbfinale gegen den FC Bayern München war dies zwar tatsächlich so. Aber gegen andere Teams konnten auch lange Ballkontrollphasen erfolgreich abgeschlossen werden.
Stattdessen ist es eher Real Madrids Vorliebe, aus schnellem Umschalten heraus durch seinen schnellen Superstar Cristiano Ronaldo abzuschließen. Der Portugiese hatte in dieser Champions-League-Saison imposante 37 Torschüsse und 16 Treffer. Noch beeindruckender: Von den insgesamt 20 Toren, an denen Ronaldo beteiligt war, kamen 18 (90 Prozent) ohne Zufall aus.
Auch der Blick auf die wenigen Gegentore, die beide Teams bekommen haben, lohnt sich. Real Madrid kassierte in nur zwei Begegnungen Treffer (gegen Wolfsburg und Donezk). Im gesamten Wettbewerb war es nur ein Tor nach einer offensiven Phase des Gegners.

Diese Abbildung zeigt die fünf Gegentore von Real Madrid in der Champions-League-Saison 2015/16 in Bezug auf die vorhergehende Spielsituation
Foto: Institut für SpielanalyseAtlético Madrid musste von seinen sieben Gegentoren in vier Spielen sechs nach offensiven Phasen des Gegners hinnehmen. Keines davon fiel innerhalb von acht Sekunden nach Ballverlust, also konnten die Gegner kein erfolgreiches Umschaltspiel aufziehen. Eine bemerkenswerte Statistik, wenn man die Qualität der Gegner bedenkt.

Diese Abbildung zeigt die fünf Gegentore von Atl é tico Madrid in der Champions-League-Saison 2015/16 in Bezug auf die vorhergehende Spielsituation
Foto: Institut für SpielanalyseFazit: Die Stärke des einen wird auf die Stärke des anderen treffen. Real Madrid ist besonders effektiv im Umschaltspiel, während Atlético Madrid hier noch kein Tor im laufenden Wettbewerb kassiert hat. Atlético Madrid war mehrfach erfolgreich gegen den bereits organisierten Defensivverband des Gegners, während Real Madrid hier genau ein Tor zugelassen hat. Man darf also gespannt sein, wie die Tore im Finale fallen werden. Vielleicht sogar erst im Elfmeterschießen.
Oder hilft doch der Zufall?

Dr. Karsten Görsdorf ist gemeinsam mit Dr. Christoph Moeller Geschäftsführer des Instituts für Spielanalyse, das für Ligen, Verbände, Klubs und Medien Analysen in verschiedenen Spielsportarten durchführt. In den Jahren 2010ff half das Team um Moeller und Görsdorf dabei mit, das Projekt der Offiziellen Spieldaten im Hause der DFL zu entwickeln und später auch die Erheber Impire (heute Deltatre) und Opta Deutschland zu überprüfen. Im Fußball bedient sich das Institut für Spielanalyse derzeit der Methode der Episodenanalyse.Profacts Facebook Profacts Instagram