Chaos beim Champions-League-Finale Französische Behörden begründen Polizeieinsatz mit der Tragödie von Hillsborough

Bei Tumulten rund um das Champions-League-Finale in Paris wurden 230 Menschen verletzt. Die Polizei war mit einem massiven Aufgebot vor Ort, weil sie die Liverpool-Fans für gefährlich hielt – die Begründung ist bemerkenswert.
Die Polizei griff beim Finale hart durch – zu hart aus Sicht vieler Beobachter

Die Polizei griff beim Finale hart durch – zu hart aus Sicht vieler Beobachter

Foto: Thomas Coex / AFP

In den Stunden und Tagen nach dem Chaos beim Champions-League-Finale in Paris zwischen dem FC Liverpool und Real Madrid suchten die Verantwortlichen die Schuld vor allem bei den Fans. Frankreichs Innenminister Gérald Darmanin beschuldigte vor allem die Engländer. Er sagte, dass 30.000 bis 40.000 Fans ohne gültige Eintrittskarten gekommen seien, was zu einem Gedränge im Stadion geführt habe. Diese Aussage lässt sich bis heute nicht belegen.

Später gestand auch die Polizei Fehler ein. »Das war ganz offensichtlich Versagen«, sagte Didier Lallement, Pariser Polizeipräfekt, bei einer Anhörung im Innenausschuss des französischen Senats. Vor allem an der hohen Polizeipräsenz gibt es Kritik, ebenso am – aus Sicht vieler Beobachter – vorschnellen Einsatz von Pfeffergas.

Polizei stufte Liverpools Fans als Hooligans ein

Nun kommt raus, warum die Polizei mit so viel Personal vor Ort war. Wie der englische »Guardian« berichtet , stuften die französischen Behörden die Liverpool-Fans als potenzielle Hooligans ein. Das geht aus einem 30 Seiten langen Bericht hervor, den Michel Cadot, der Beauftragten des französischen Sportministeriums für große Sportereignisse, dem Büro der französischen Premierministerin Élisabeth Borne übergeben hat.

In dem Bericht steht zwar, dass Liverpools Anhänger eigentlich nicht für Gewalt bekannt seien. Doch dann kommt das große »ABER«. Cadot führt die Katastrophe von Hillsborough ins Feld, bei der 1989 insgesamt 97 Fußballfans ums Leben kamen. Die Tragödie habe zu »einer festen polizeilichen Regelung« geführt, mit dem Ziel der »Aufrechterhaltung der Ordnung mit Polizisten in Bereitschaftsausrüstung, um auf die Gefahr kollektiver Phänomene des Hooliganismus und der Verwüstung reagieren zu können«.

Bei der Tragödie von Hillsborough starben 97 Menschen

Die Tragödie von Hillsborough gilt als eines der schlimmsten Unglücke in der Geschichte des Fußballs. Am 15. April 1989 beim FA-Cup Halbfinale zwischen dem FC Liverpool und Nottingham Forrest im Hillsborough Stadium in Sheffield, trampelten sich in vollkommen überfüllten Blocks die Menschen zu Tode. 96 starben sofort oder in den Tagen danach. Ein Mann, der 2021 verstarb, wurde aufgrund von »lebensverändernden Verletzungen« gerichtlich zum 97. Opfer des Unglücks erklärt. 766 Menschen wurden verletzt. Lange Zeit gab man den Fans die Schuld für die Tragödie.

Erst 27 Jahre später erklärte die Jury einer Untersuchungskommission, dass schwere Fehler der Polizei die Katastrophe ausgelöst hatten – und nicht das Fehlverhalten der Liverpool-Fans. Die Polizei hätte etwa das Spielfeld früher für die Fans öffnen müssen.

Der Ärger in Liverpool ist groß

Dass die französischen Behörden diese Katastrophe zum Anlass nehmen, um ihr rigoroses Vorgehen in Paris zu erklären, sorgt für Empörung bei den Angehörigen der Opfer von damals. Louise Brookes, deren 26-jähriger Bruder damals starb, sagte dem »Guardian«: »Das ist ein völliges, ungeheuerliches Versagen. Und dieses Vorurteil, dass Liverpool-Fans Hooligans sind, das auf einem völligen Missverständnis von etwas beruht, das vor 33 Jahren geschah, hätte beinahe eine weitere Katastrophe in Paris verursacht, und zwar für eine neue Generation von Liverpool-Fans.«

Liverpool-Fans warten auf Einlass

Liverpool-Fans warten auf Einlass

Foto: THOMAS COEX / AFP

Cadot verweist in seinem Bericht auch weiterhin auf die Tausenden Fans aus Liverpool, die ohne Eintrittskarte ins Stadion gedrängt hätten. Ein Vorwurf, den der Verein weiter scharf zurückweist. Die 0:1-Niederlage aus Liverpool-Sicht rückt immer weiter in den Hintergrund.

Die Uefa wollte den französischen Bericht zunächst nicht kommentieren.

kjo
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