Christoph Daum 20 Jahre nach der Kokain-Affäre "Uli Hoeneß hat sich bei mir bedankt"

Christoph Daum vor seinem Kölner Büro (2016): "Als erfolgreicher Fußballtrainer hast du kein Privatleben"
Foto: Rolf Vennenbernd / picture alliance / dpaEr lieferte die berühmteste Haarprobe der Fußballgeschichte: Nachdem Christoph Daum der Konsum von Kokain nachgewiesen wurde, verlor er im Jahr 2000 sein Traineramt bei Bayer Leverkusen, auch die designierte Stelle als Nationalcoach war dahin. Ins Rollen gebracht hatte die Affäre Bayern-Manager Uli Hoeneß, der in einem Zeitungsinterview Andeutungen über "den verschnupften Herrn Daum" gemacht hatte. Daum floh nach Florida, kam zurück nach Europa und holte noch einige Titel im Ausland. Deutscher Meister, geschweige denn Nationaltrainer wurde er nie mehr.
20 Jahre später trifft er sich mit dem SPIEGEL im Gartenhaus des Berliner Ullstein-Verlages zum Gespräch. Am Montag erscheint seine Biografie, "Immer am Limit". Begleitet von seiner Frau Angelica Camm-Daum, die er 2007 im Kölner Stadion heiratete, und einem engen Freund der Familie, wirkt der Mittsechziger energiegeladen wie zu Beginn seiner Bundesligakarriere 1986 - und gegenüber den smarten, zurückhaltenden Coaches der Liga wie ein Relikt aus einer anderen Zeit.
SPIEGEL: Herr Daum, Sie waren ein spezieller Trainertyp. In Köln, Stuttgart und Leverkusen haben Sie die Bayern im Meisterschaftskampf immer wieder hart attackiert, sportlich und verbal. Wie viel Christoph Daum sehen Sie aktuell in der Bundesliga?
Daum: Ich erkläre mich mit dem Status quo in der Bundesliga nicht einverstanden. Du musst auch die Bereitschaft haben, auf die Mütze zu kriegen, wenn es nicht klappt. Das fehlt mir, da ist zu viel Tiefstapelei.
SPIEGEL: Inwiefern?
Daum: Solche Zielsetzungen wie "Wir spielen um das Erreichen eines Champions-League-Platzes", oder: "Wir wollen uns im Spitzenbereich aufhalten." Was soll das sein, Spitzenbereich? Ich will als starkes Team doch Meister werden, es ist doch nichts schlimmer, als es nicht versucht zu haben.
SPIEGEL: Sie haben es dabei teilweise mit seltsamen Methoden versucht. Spieler mussten über Scherben laufen, Trainer anderer Teams sind Sie hart angegangen. Kamen Sie je abends nach Hause und hatten das Gefühl: Heute habe ich überdreht?
Daum: Nein, nie.
SPIEGEL: Auch nicht, als Sie Ihren Spielern zur Motivation in der Kabine die Meisterprämie von 40.000 D-Mark unter die Nase gehalten haben?
Daum: Aber Prämien sind doch keine Erfindung von Christoph Daum, die gab's schon vor Christi Geburt! Und es ging mir damals auch gar nicht um Motivation, das ist Quatsch. Wir sind nach Bremen gefahren, wo wir zehn Jahre lang schlecht ausgesehen haben, da wollte ich einfach nur in die Köpfe rein, dass wir über etwas anderes reden als über die nächste Niederlage. Ob das jetzt großen Anteil am Sieg hatte, weiß ich nicht, aber es hat in der Vorbereitung geholfen.

Seine erste Bundesligastation war 1986 der 1. FC Köln
Foto: imago sportfotodienstSPIEGEL: Wenn Sie davon sprechen, in die Köpfe der Spieler kommen zu wollen - warum haben Sie das bei der vergeigten Leverkusener Meisterschaft beim Spiel in Unterhaching im Jahr 2000 nicht geschafft?
Daum: Ich hätte viel früher gegensteuern müssen. In der Woche vor dem Spiel wurden schon Meisterschaftssongs ausgesucht und überlegt, wer bei der Parade neben wem im Cabrio sitzen sollte. Wir flogen mit den Fans nach München, wo uns am Hotel eine Blaskapelle erwartete. Mir hatte das alles nicht gepasst, aber ich wehrte mich nicht energisch genug. Aus solchen Fehlern lernt man. Auch, dass ich einen Plan B, C, D und E für alle Eventualitäten in der Tasche hatte, nur mit einem Eigentor (Anmerkung: von Michael Ballack zum 0:1, Bayer verlor 0:2) hatte ich nicht gerechnet.
SPIEGEL: Ihr Buch erscheint 20 Jahre nach der Kokain-Affäre, nach der Sie das vereinbarte Amt des Nationaltrainers verloren. Hat der DFB damals richtig entschieden, sich von Ihnen zu trennen?
Daum: Das muss man so sagen, ja. Es gab damals die DFB-Kampagne "Keine Macht den Drogen". Wenn ich eine solche Kampagne fahre und da ist was mit Drogen, dann muss man reagieren.
SPIEGEL: Auch wenn Ihr Kokainkonsum im privaten Bereich stattfand?
Daum: Als erfolgreicher Fußballtrainer hast du kein Privatleben, du bist eine Person des öffentlichen Interesses.

Beim VfB Stuttgart wurde Daum Meister - an der Seite von Dieter Hoeneß, Bruder seines damaligen Erzfeindes Uli
Foto: imago sportfotodienst / imago/Pressefoto BaumannSPIEGEL: Massiv geschadet hat Ihnen der Satz bei Abgabe der Haarprobe: "Ich tue das, weil ich ein absolut reines Gewissen habe." Dabei stammte die Idee zu dieser Aussage gar nicht von Ihnen.
Daum: Ich habe die Unterlagen noch zu Hause. Meine ursprüngliche Erklärung und die mit der Medienabteilung überarbeitete. Ich hatte mir den Satz "Drogen haben und werden in meinem Leben keine bedeutende Rolle spielen" ausgedacht. Ich wollte schlau sein und mich nicht absolut festlegen. (lacht)
SPIEGEL: Das gefiel einem Bayer-Verantwortlichen nicht?
Daum: Nein, der wollte es natürlich präziser haben und schlug den Satz mit dem absolut reinen Gewissen vor. Da saß ich dann da. Ich hatte zuvor eine anonyme Haaranalyse im Ausland durchführen lassen und das Ergebnis war negativ. Damit glaubte ich, nichts befürchten zu müssen und ließ mich auf diesen Satz ein, auch wenn ich kein absolut reines Gewissen hatte. Dieser Satz fällt mir noch heute auf die Füße. Aber: Ich habe ihn ausgesprochen, ich übernehme die Verantwortung dafür.
SPIEGEL: Trotz allem wären Sie vier Jahre später fast doch noch Bundestrainer geworden.
Daum: Nach der verpatzten Europameisterschaft 2004 hatte sich DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder auf die Reifen gemacht und in Spanien Ottmar Hitzfeld getroffen. Er bekam bei diesem Treffen auch eine Zusage unter Vorbehalt, weil Ottmar sich erst noch mit seiner Frau besprechen wollte.
SPIEGEL: Hitzfeld sagte ab.
Daum: Richtig. Daraufhin rief mich Mayer-Vorfelder an und fragte, ob ich mir das grundsätzlich vorstellen könne. Natürlich konnte ich das, es war weiterhin mein Traum, Bundestrainer zu werden. Er wollte dann im und um den DFB herum die Stimmung ausloten.
SPIEGEL: Die Stimmung war nicht euphorisch.
Daum: Aus DFB-Kreisen und aus München kam wahnsinniger Gegenwind. Es ging so weit, dass man Mayer-Vorfelder über diese Idee als Präsident des DFB stolpern lassen wollte. Da war die Sache für mich erledigt.

In den Siebzigerjahren schraubte Daum noch an Autos, nicht an der Leistungsausdauer seiner Spieler
Foto: Privatarchiv Christoph DaumSPIEGEL: Ihre Kokain-Affäre kam durch ein Interview Ihres Gegenspielers Uli Hoeneß ins Rollen. Was haben Sie empfunden, als er selbst in Schwierigkeiten kam und ins Gefängnis musste?
Daum: Journalisten haben mich damals gedrängt zurückzuschießen. Doch mir kam das ganze Szenario vor Augen, was damals mir und vor allem meiner Familie widerfahren ist. Ich dachte: "Scheiße, das gönne ich selbst meinem größten Feind nicht." Und das war Uli damals für mich. Ich wusste zwar, dass Uli sich wehren kann, aber da wird eine Frau, da werden Kinder reingezogen, die können sich nicht wehren.
SPIEGEL: Sie haben sich öffentlich sehr defensiv geäußert.
Daum: Ich habe gefragt: "Wer ist schon fehlerfrei?", und dass ich hoffe, er könne die Vorwürfe bestmöglich beantworten.
SPIEGEL: Hatten Sie danach Kontakt?
Daum: 2015 klingelte mein Telefon und auf dem Display war "Reschke" zu lesen, also Michael Reschke mit dem ich damals in Leverkusen lange zusammengearbeitet hatte. Doch am anderen Ende war Uli Hoeneß, er hatte nur Michaels Handy geliehen, um mit mir zu sprechen.
SPIEGEL: Worüber sprachen Sie?
Daum: Er erwähnte, dass er die vergangenen Jahre alles mitbekommen habe, wer was über ihn geäußert habe. Und er wolle sich bei mir bedanken.
SPIEGEL: Er hat sich bei Ihnen bedankt?
Daum: Ja, Uli Hoeneß hat sich bei mir bedankt. Schließlich hätte ich allen Grund gehabt, draufzuhauen. Ich habe ihm dann auch noch mal gesagt, dass ich wohl einer der wenigen sei, die verstünden hätten, durch was er da durchmusste.
SPIEGEL: Das war's dann?
Daum: Nein, wir hatten seitdem häufiger Kontakt. Erst letztens habe ich ihn noch einmal angerufen, wir wollen uns, wenn es die Corona-Umstände erlauben, auch persönlich treffen.
SPIEGEL: Um über Ihr Buch zu sprechen?
Daum: Ich hatte ihm schon vorab die Stellen zugeschickt, in denen er vorkommt. Er solle noch mal drüber schauen: Habe ich an dieser oder jener Stelle die richtige Wahrnehmung gehabt?
SPIEGEL: Er war mit Ihrer Darstellung der Dinge einverstanden?
Daum: Nun ja, an der einen oder anderen Stelle schildere ich meine Sichtweise, aber Uli hatte grundsätzlich keine Einwände. Er kann ja seine Biografie schreiben und die Dinge aus seiner Sicht darlegen. Sie können ihn gern selbst fragen, aber zumindest ich kann sagen: Wir sind miteinander im Reinen.
SPIEGEL: Sie werden Ende Oktober 67 Jahre alt - sind Sie denn auch mit Ihrer Trainerkarriere im Reinen? Oder schalten Sie bei Trainerrauswürfen in der Bundesliga Ihr Smartphone immer noch lauter?
Daum: Das Telefon klingelt noch regelmäßig. Die Anfragen bezüglich eines Trainerjobs kommen dabei meist aus dem arabischen Raum, der Türkei oder den europäischen Nachbarländern. In der Bundesliga werde ich voraussichtlich kein Engagement mehr antreten. Wenn bei den anderen Angeboten die passende Herausforderung sein sollte, werde ich mit meiner Frau besprechen, ob ich das mache. Nur als Trainer zu arbeiten um des Arbeitens Willen, das wird es nicht geben. Mein Terminkalender ist mit Trainerfortbildungen und Vorträgen gut gefüllt.