Fotostrecke

Russland beim Confed Cup: Große Erwartungen, wenig Hoffnung

Foto: Pavel Golovkin/ dpa

Russische Nationalmannschaft vor dem Confed Cup Selbst Putin macht Druck

In den Neunzigerjahren stand Stanislaw Tschertschessow im Tor von Dynamo Dresden. Heute trainiert er die russische Fußballnationalmannschaft - nicht nur auf sportlicher Ebene eine Herausforderung.

In Wladimir Putins am vergangenen Donnerstag ausgestrahlter TV-Show ging es um viele Themen. Der 64-Jährige äußerte sich zum Zustand russischer Straßen oder außenpolitischen Aspekten ebenso wie zum Nachwuchs seiner Töchter oder seinen erfolgreichen Angelabenteuern. Bei dieser Themenvielfalt verwundert es wenig, dass nur wenige Tage vor dem Anpfiff des Confed Cup und ein Jahr vor dem Beginn der Weltmeisterschaft auch der Fußball in der jährlich stattfindenden Sendung besprochen wurde. "Natürlich erwarten die Fans bessere Ergebnisse von der russischen Nationalmannschaft", erklärte Putin und forderte von den Spielern, dass sie bei dem heute beginnenden Turnier (17 Uhr) wie "echte Krieger" auftreten werden.

"Wenn der Präsident Russlands über die Nationalmannschaft spricht, heißt es, dass wir ihm nicht egal sind", erklärte tags darauf der russische Nationaltrainer Stanislaw Tschertschessow auf einer Pressekonferenz in Putins Heimatstadt Sankt Petersburg, wo die Sbornaja mit der Partie gegen Neuseeland die Mini-WM eröffnet. Für den ehemaligen Torhüter, der zwischen 1993 und 1995 für Dynamo Dresden in der Bundesliga spielte, war es der x-te Versuch, die hohe Erwartungshaltung zu dämpfen.

Fotostrecke

Russland beim Confed Cup: Große Erwartungen, wenig Hoffnung

Foto: Pavel Golovkin/ dpa

Denn nicht nur Putin fordert von der Nationalmannschaft Erfolge, sondern auch der russische Fußballverband (RFS). Innerhalb des RFS gibt es einige Stimmen, die von der Sbornaja mindestens das Halbfinale erwarten. Und dies nicht nur bei dem Confederations Cup, sondern vor allem bei der Heim-WM im kommenden Jahr. Regelrecht bescheiden erscheinen dagegen die Erwartungen russischer Fans. In einer Online-Umfrage der Sportzeitung "Sovetskij Sport" glauben nur 13,5 Prozent der Teilnehmer an einen Erfolg ihres Teams bei dem heute beginnenden Turnier.

Sbornaja enttäuschte bei den vergangenen Turnieren

Der Sinn für Realität der russischen Fans überrascht kaum nach den letzten Turnier-Auftritten. Denn nach dem begeisternden Auftritt bei der EM 2008, als die Russen mit erfrischendem Offensivfußball bis ins Halbfinale stürmten, folgten nur noch Enttäuschungen. Bei der Qualifikation für die WM 2010 scheiterten die Russen in den Playoffs gegen das kleine Slowenien. Bei der EM 2012 kam die Sbornaja nicht über die Gruppenphase hinaus, ebenso wie bei der WM zwei Jahre später in Brasilien. Bei der EM im vergangenen Jahr sorgte Russland nur noch wegen seiner Hooligans für Schlagzeilen. Die sportlichen Leistungen quittierten die eigenen Fans dagegen mit "Schande"-Rufen.

Mit dem Auftritt der Nationalmannschaft bei der EM in Frankreich stürzte der russische Fußball in eine tiefe Krise. Anschließend gab der Verband Tschertschessow die Chance, dem Team neues Leben einzuhauchen. Zuvor war die Sbornaja von erfahrenen Größen wie Guus Hiddink, Dick Advookat, Fabio Capello oder Leonid Sluzki trainiert worden. Tschertschessows Referenzen waren hingegen überschaubar. Bis auf das Double mit Legia Warschau im vergangenen Jahr hatte er nichts vorzuweisen. Mit Terek Grosny und Amkar Perm trainierte er zwei durchschnittliche Mannschaften. Seine Engagements bei den Moskauer Spitzenklubs Spartak und Dynamo endeten vorzeitig.

Dass Tschertschessow trotzdem ein guter Fußballlehrer ist, zeigte er bei den kleinen Klubs Grosny und Perm. Mit beiden Teams feierte er in der Liga Achtungserfolge, obwohl er im Gegensatz zu den russischen Großklubs wie Zenit Sankt Petersburg nur auf Durchschnittsprofis und junge Talente zurückgreifen konnte. Beste Voraussetzungen also, um die Sbornaja, trotz aller Strukturprobleme im russischen Fußball, wieder auf die Erfolgsspur zu bringen.

"Er ist mutig und taktiert nicht"

"Ich bin mir sicher, dass Stanislaw Tschertschessow der Richtige ist, um das Beste aus den derzeitigen Möglichkeiten zu machen", erklärt Kevin Kurányi, der den russischen Nationaltrainer bestens kennt, gegenüber dem SPIEGEL. In der Saison 2014/2015 war Tschertschessow sein Trainer bei Dynamo Moskau. "Er hat ein klares System, eine klare Linie - und er ist mutig. Er taktiert nicht, wenn es kurz vor Schluss unentschieden steht, sondern er wechselt noch einen Offensiven ein und spielt auf Sieg", so der ehemalige deutsche Nationalstürmer, der auch die menschlichen Qualitäten des Trainers Tschertschessow hervorhebt. "Er ist ein umgänglicher, freundlicher Mensch, der aber auch zeigen kann, dass er der Chef ist. Er glaubt aber nicht, die komplette Weisheit für sich gepachtet zu haben, sondern er hat auch mal ein offenes Ohr", so Kurányi weiter.

Doch bei all den Lorbeeren - der Start als Nationaltrainer verlief für Tschertschessow holprig. Sowohl gegen Costa Rica als auch gegen Katar gab es peinliche Niederlagen. Mittlerweile haben sich die Leistungen stabilisiert. Nach dem Trainingslager in Österreich, wo sich die russische Nationalmannschaft auf den Confed Cup vorbereitete, gewann Russland 3:0 gegen Ungarn und spielte 1:1 unentschieden gegen Chile. Bereits im März erzielte die Mannschaft mit einem 3:3 gegen Belgien einen kleinen Achtungserfolg.

Ob diese Ergebnisse genügend Selbstvertrauen für den Wettbewerb geben, wird sich in den nächsten zwei Wochen zeigen. "Wir werden um diesen Pokal kämpfen", kündigte Tschertschessow kürzlich in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" an. Bei der großen Erwartungshaltung in Russland bleibt Tschertschessow und seiner Mannschaft aber auch nichts anderes übrig.

Mehr lesen über

Verwandte Artikel

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren