
Coronakrise im Sport Die Fallzahlen steigen, und alle dürfen dabei sein


Fans von Dynamo Dresden beim Pokalspiel gegen den Hamburger SV
Foto: Dennis Hetzschold / imago images/Dennis HetzscholdDie Fußball-Bundesliga startet am Wochenende in die neue Saison. Vor Zuschauern. In Dortmund werden 10.000, in Stuttgart 8000 und in Frankfurt 6500 zugelassen. Für die Vereine ist die Zulassung ein nicht unerheblicher wirtschaftlicher Faktor und viele Fans sehnen die Rückkehr in die Stadien herbei. Das ist alles verständlich - und doch passt es nicht in die Phase des aktuellen Infektionsgeschehens, in dem Deutschland sich gerade befindet.
2194 neue Coronavirus-Fälle meldete das Robert Koch-Institut für den gestrigen Tag. Das klingt im Vergleich zu anderen europäischen Ländern wie Frankreich oder Spanien weiterhin moderat, aber das ändert nichts daran: Die Fallzahlen steigen. Es ist nicht absehbar, wie sich das Infektionsgeschehen in den kommenden Wochen verändern wird. Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach geht von einem verzögerten Anstieg in Deutschland aus , gerade auch, was schwere Verläufe und Todesfälle betrifft. Und mit diesem Ausblick startet der Sport einen sechswöchigen Testbetrieb.
Es wird also getestet, experimentiert, herumprobiert. Am lebenden Objekt. Es gibt nun mal Infizierte ohne Symptome. Es gibt die Möglichkeit, sich freitags anzustecken und samstags ins Stadion zu gehen.
Professor Tim Meyer, der maßgeblich an den Hygienekonzepten von DFL und DFB beteiligt war und in dem Testbetrieb Studien über Ansteckungsgefahren verantwortet, brachte es in einer Videokonferenz am Donnerstag auf den Punkt: "Es ist kein Wissen vorhanden, aber viele Meinungen und Spekulationen." Meyer ist natürlich trotzdem für die Zulassung von Zuschauern in Stadien, aber der Satz entlarvt die Absichten des Fußballs, ja, des gesamten Sports.
Ein zentraler Punkt in der Umsetzung der Hygienekonzepte der Vereine ist die Vernunft der Menschen. Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass das im öffentlichen Leben ganz gut funktioniert. Wie die Emotion eines Stadionbesuchs diese Vernunft ausschalten kann, hat das vergangene Wochenende gezeigt: Im DFB-Pokal waren in vereinzelten Stadien Tausende Zuschauer zugelassen worden. Danach waren Bilder zu sehen, die zeigten, wie auf den Tribünen die Abstandsregeln nicht eingehalten, Masken nicht getragen, laut gesungen wurde.
Dennoch gab es viele positive Reaktionen. So sprach etwa Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig beim Stadionbesuch in Rostock (mit 7500 Zuschauern) von einem großen Schritt in Corona-Zeiten. Schwesig ist ein Beispiel dafür, wie unbedarft mit dem Thema umgegangen wird - und wie sich der Wind innerhalb weniger Wochen gedreht hat.

So sah es am Sonntag im Pokalspiel zwischen Rostock und Stuttgart auf der Tribüne aus
Foto: Danny Gohlke / dpaNoch am 10. August, vor gerade mal fünf Wochen, hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn getwittert, dass die Zulassung Tausender Zuschauer nicht zum aktuellen Infektionsgeschehen passen würden. Damit lag er auf einer Linie mit den Gesundheitsministern der Länder. Doch seitdem wurde erfolgreich Lobbyarbeit betrieben, sowohl von Vereinen als auch von Politikern, die ihren Wählern den Fußballspaß nicht mehr vorenthalten wollen. Einzelne Länder, so ist das im Föderalismus, scherten aus. Spätestens als in Sachsen eine Genehmigung für RB Leipzig erteilt wurde, war klar, dass eine bundesweite Lockerung nicht mehr lange auf sich warten lassen würde.
Nun ist sie da. Hieß es vor Wochen noch, die Sieben-Tage-Inzidenz solle unter 15 Infizierten pro 100.000 Einwohner liegen, wurde diese nun auf 35 Infizierte angehoben. Und wenn die Zahlen - wie derzeit in München - dann doch sogar noch höher sind, dann gab es eben kurzzeitig eine Sonderregelung. Ist ja Saisoneröffnung, da sieht so ein leeres Stadion nicht gut aus. So viel Anstand hatten sie in München dann aber doch, diese Regelung am Donnerstag wieder zu kippen.
Bei aller Vorfreude auf die Saison bleibt der Eindruck bestehen: Wenn die Fußballklubs etwas durchsetzen wollen, schaffen sie es. So viel zur neuen Demut.
Wobei sich die anderen Sportarten in keinem besseren Licht zeigen. Die wirtschaftliche Not ist im Handball, im Eishockey oder im Basketball größer, keine Frage. Auch hier werden bis zu 20 Prozent der möglichen Zuschauerkapazität zugelassen - und dennoch zeigte man sich darüber enttäuscht und stellte weitere Forderungen. "Nach den Gesprächen der letzten Woche hatten wir uns deutlich mehr Unterstützung in diesem für uns wirtschaftlich so existenziellen Bereich erhofft", sagte Gernot Tripcke von der Deutschen Eishockey Liga.
Die Rede ist von Hallensportarten. Von Großveranstaltungen in geschlossenen Räumen. Wie sich dort Aerosole verbreiten, ist schlicht nicht bekannt.
Angemessen wäre es gewesen, angesichts dieser Unsicherheit vorsichtig und zurückhaltend zu sein. Doch jetzt sollen unvernünftig viele dabei sein können, wenn die Saison wieder startet. Leider nicht nur für den Fußball, sondern auch für das Virus.