Pandemie Katars WM-Gastarbeiter arbeiten trotz Corona

Die Baustellen der Fußball-WM in Katar ruhen auch in Corona-Zeiten nicht. Amnesty International beklagt die Gefahr für die Gastarbeiter. Die Arbeitsorganisation ILO widerspricht.
2017: Arbeiten am Al Bayt Stadium - 60 Kilometer entfernt von Doha

2017: Arbeiten am Al Bayt Stadium - 60 Kilometer entfernt von Doha

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Bernd Feil/ imago/MIS

Das Organisationskomitee der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar 2022 hat dieser Tage ein Video  veröffentlicht. Der Clip handelt mehrsprachig und mit englischen sowie arabischen Untertiteln vom Coronavirus. Von einem "Spiel, das wir nicht spielen wollten" ist da die Rede - und von Handlungsempfehlungen in fußballkonformer Verpackung: "Haltet Abstand", heißt es. Und: "Zu Hause können wir jeden Gegner schlagen."

Es sind Empfehlungen an Katars Bevölkerung, die die Ausbreitung des Virus eindämmen sollen. Doch ein nicht unerheblicher Teil davon kann sich kaum danach richten.

Denn in Katar wird trotz der Covid-19-Pandemie alles dafür getan, den Zeitplan für die WM 2022 einzuhalten. Die Bauarbeiten an den Stadien gehen unbeirrt weiter – womöglich auf Kosten der Gesundheit der Gastarbeiter auf den Baustellen, wie zuletzt Recherchen darlegten.

"Unmöglich" sich an die Empfehlungen zu halten

WDR Sport inside  und der britische "Guardian" hatten kürzlich unabhängig voneinander wiederholt auf Missstände beim Umgang mit den Gastarbeitern Katars hingewiesen. Demnach seien diese durch die Unterbringung in Massenunterkünften, katastrophale Hygiene und schlechte Lebensmittelversorgung in der Coronakrise besonders gefährdet, sich mit dem Virus anzustecken. Zumal Teile der Unterkünfte zwischenzeitlich komplett abgeriegelt wurden.

Auch Amnesty International beklagte in einer Stellungnahme  mangelnden Zugang zur Wasser- und Sanitärversorgung. Gegenüber dem SPIEGEL bekräftigte die Organisation die Sorge. Es sei "unmöglich", sich an die Empfehlungen zur Virus-Eindämmung zu halten. In der Folge habe es schon eine signifikante Zahl an Infektionen gegeben, sagte die zuständige Expertin May Romanos. "Gastarbeiter in der Golfregion sind ohnehin hoch gefährdet von Missbrauch und Ausbeutung. Die Covid-19-Pandemie hat das noch verschlimmert."

WM-Ausrichter bestätigen nur vereinzelte Krankheitsfälle

Die Internationale Arbeitsorganisation ILO weist gegenüber dem SPIEGEL die Vorwürfe als unbegründet zurück und verteidigt das Vorgehen der katarischen Behörden. "In den vergangenen Wochen wurden etwa die Buskapazitäten halbiert, um den Arbeitern auf dem Weg zu den Baustellen den in Katar geforderten Mindestabstand von zwei Metern zueinander zu gewährleisten", sagt Houtan Homayounpour, der Leiter des ILO-Büros in Doha.

Auch sei die tägliche Arbeitszeit von acht auf sechs Stunden reduziert worden und die Fortzahlung des vollen Lohns im Krankheitsfall, kostenlose medizinische Versorgung und Lebensmittel in den Unterkünften seien demnach zugesagt. An den Baustellen würde es laut den WM-Organisatoren  eine Mundschutzpflicht und auch tägliche Fiebermessungen geben. Ob diese Zusagen auch umgesetzt werden, lässt sich nicht überprüfen.

Katar empfiehlt der eigenen Bevölkerung schon seit März, nur noch für dringende Besorgungen das Haus zu verlassen. Öffentliche Einrichtungen sind seitdem geschlossen. Auf den Straßen kontrolliert die Polizei. Die Grenzen sind nur noch für Einheimische geöffnet, der Flughafen in Doha seit 16. März gesperrt. Trotzdem ist die offizielle Zahl der Coronavirus-Infizierten im Land seitdem von circa 200 auf gut 9000 gestiegen .

Vergangene Woche hatte auch das Organisationskomitee der Fußball-WM erstmals Fälle von erkrankten Gastarbeitern auf den Stadionbaustellen eingeräumt. Bestätigt wurden bisher nur acht. Schätzungen zufolge beschäftigt Katar auf den Stadionbaustellen 35.000 Gastarbeiter. Zurzeit befinden sich noch sieben Stadien im Bau. Dazu kommen Hotels und andere Infrastrukturprojekte, die für die WM errichtet werden.

Wird das Essen knapp?

Kritik an den Unterkünften in der sogenannten "Industrial Area", eine halbe Stunde außerhalb von Doha, hatte es schon vor der Coronakrise gegeben. Vor allem Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch hatten in den vergangenen Jahren immer wieder die Zustände angeprangert. Auch sollen Unternehmen ihren Arbeitern keinen Lohn gezahlt und die Pässe eingezogen haben, um die Arbeiter an der Ausreise zu hindern. Auf den Baustellen sind hundertfach Arbeiter zu Tode gekommen, doch unabhängige Untersuchungen zu den Umständen gibt es nicht.

Auf die Frage, ob es überhaupt vertretbar ist, die Bauarbeiten in der jetzigen Krise weiterzuführen, sagt Homayounpour: "Es ist sehr wichtig, Maßnahmen zum Schutz der Arbeiter zu ergreifen, ihr Bewusstsein zu schärfen und sie mit den nötigen Mitteln auszustatten, sich selbst zu schützen. Es ist aber an jedem Mitgliedsstaat (der ILO) selbst zu entschieden, ob sie alle Arbeit einstellen oder nicht." Es sei demnach "vertretbar", die Arbeit fortzusetzen.

Die WDR-Dokumentation  verweist allerdings auf aktuelles Videomaterial, Fotos und Sprachnachrichten von Arbeitern. Es sei in den Unterkünften und auf den Baustellen demnach unmöglich, soziale Distanz einzuhalten. Es gebe in der Lockdown-Area kaum zu Essen und nur leere Regale in den Supermärkten. Aufnahmen zeigen, wie sich bei Lebensmittelverteilungen Hunderte Arbeiter drängen und der Großteil dennoch leer ausgeht. Ein Menschenrechtsvertreter spricht gegenüber dem WDR von "systematischer Diskriminierung der Gastarbeiter".

ILO verhandelt über Fortsetzung der Zusammenarbeit

ILO-Vertreter Homayounpour weist das auf SPIEGEL-Anfrage zurück. "Es gibt klare Vorgaben, um die Arbeiter zu schützen. Halten sich alle Unternehmen daran? Wahrscheinlich nicht." Die Regierung aber nehme den Schutz der Arbeiter sehr ernst, sagt er, und so würden es auch die meisten Unternehmen tun. Die Regierung habe die Kontrollen verschärft, allein vergangene Woche hätte sie drei Unternehmen identifiziert, die die Vorgaben verletzten. Überprüfen lässt sich das nicht.

Die ILO befindet sich zurzeit in Verhandlungen über einen neuen Vertrag für das Büro in Doha. Im November begann für Katar das dritte und zunächst letzte Jahr seiner vereinbarten Zusammenarbeit. Seit deren Beginn hat Katar eine ganze Reihe von Reformen verabschiedet – neben der Erleichterung der Ausreise wurde etwa ein Mindestlohn auf den Weg gebracht. Die Reformen selbst bezeichnete ILO-Vertreter Homayounpour als "Meilenstein."

Doch Menschenrechtsorganisationen zweifeln an der Umsetzung und Kontrolle, wie auch jetzt in der Coronakrise. Dass inzwischen der Fastenmonat Ramadan angebrochen ist, dürfte die Situation für die Gastarbeiter im islamisch geführten Land kaum einfacher machen. Es ist üblich, dass Behörden in dieser Zeit reduziert arbeiten. Die Kontrollen der Baustellen dürfte das nicht erleichtern.

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