Nina Golombek

Fußball und Corona Die EM sendet gefährliche Bilder in die Welt

Nina Golombek
Ein Kommentar von Nina Golombek
Spätestens seit Goretzkas Rettungstat gegen Ungarn ist auch in Deutschland EM-Stimmung aufgekommen. Es wird gefeiert, teils ohne Abstand und Maske. Die Szenen gaukeln eine Sicherheit vor, die nicht existiert.
In der EM-Arena in München gilt Maskenpflicht – außer beim Essen und Trinken, doch nicht alle Fans hielten sich daran

In der EM-Arena in München gilt Maskenpflicht – außer beim Essen und Trinken, doch nicht alle Fans hielten sich daran

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Christian Charisius / dpa

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Wer es mit der Nationalmannschaft in Deutschland hält, für den lieferte die EM – und das war so auch nicht absehbar – bereits in der Vorrunde etwas, das wohl von vielen Menschen in den Pandemiemonaten schmerzlich vermisst wurde: kurze Momente der kollektiven Freude, des Jubels, vielleicht sogar leichter Ekstase. Da waren der überraschende Sieg gegen Portugal und der Treffer von Leon Goretzka gegen Ungarn, der das DFB-Team kurz vor Schluss vor dem EM-Aus bewahrte.

Auf Fotos und Videos ist zu sehen, wie Hunderte Menschen singen, tanzen, sich umarmen, im Stadion in München und bei Public-Viewing-Events im restlichen Land; dicht an dicht. Und genau diese Bilder sind gefährlich.

EM-Fans im Essener Grugapark beim Spiel gegen Ungarn – die knapp 900 Personen durften maximal zu acht an einem Tisch sitzen

EM-Fans im Essener Grugapark beim Spiel gegen Ungarn – die knapp 900 Personen durften maximal zu acht an einem Tisch sitzen

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Jochen Tack / imago images/Jochen Tack

Sowohl beim Spiel gegen Portugal als auch bei der Partie gegen Ungarn wurden die Maskenpflicht und die Abstandsregeln in der Münchner Arena nicht konsequent eingehalten, der bayerische Gesundheitsminister kritisierte dafür den Deutschen Fußball-Bund (DFB). Bei einer Public-Viewing-Veranstaltung in Berlin mit bis zu tausend Teilnehmerinnen und Teilnehmern mussten am Platz erst gar keine Masken getragen werden.

Wer sich das Video beim Sender RBB  ansieht, hat jedoch Schwierigkeiten, überhaupt noch irgendwo Abstände zwischen den Fans zu entdecken. »Das sieht mir nicht aus wie 1,50 Meter Abstand«, sagt eine junge Frau darin, die dabei ist, und: »Die Masken werden, je später es wird, nicht mehr oft getragen, wie noch am Anfang«. Man sei aber froh, hier zu sein.

Herz schlägt Kopf, es wird schon nicht so schlimm sein. Auch Medien tragen zu diesem Eindruck bei, wenn Torjubelbilder ohne kritische Einordnung gesendet werden.

Dabei ist Skepsis angebracht. Das Risiko, sich mit Corona zu infizieren, ist im Freien geringer, ausgeschlossen ist es aber nicht. Zum Beispiel, wenn Menschen sehr eng beieinanderstehen, sich laut unterhalten, sich anlachen und es zudem windstill ist (lesen Sie hier mehr dazu ).

Zwar hatten sowohl in der Münchner Arena als auch bei der Berliner EM-Übertragung nur Getestete, Genesene oder Geimpfte Zutritt ; ein Grund, Abstands- und Maskenregeln zu vernachlässigen, ist das trotzdem nicht. Auch Geimpfte können das Virus übertragen – wenn auch selten –, Schnelltests können nicht anschlagen, obwohl eine Person infektiös ist. Auf Europas Fanmeilen, bei den Siegerpartys nach den Spielen, gibt es sogar keine Testpflicht mehr. Die Bilder können zudem dazu beitragen, einen Zustand in der Wahrnehmung zu normalisieren, der längst nicht normal ist.

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Es kommt zu ersten Infektionen

Diese Dynamiken waren erwartbar, sie mussten es sein, und doch häufen sich trotz Hygienekonzepten und Einreiseregeln die Coronafälle. Und die K.-o.-Runde beginnt erst jetzt.

Auch die Mobilität ist ein Risiko. So haben sich offenbar Dutzende finnische Fans in Russland infiziert. Finnische Medien berichten, dass noch gar nicht alle an der Grenze gemachten Tests ausgewertet seien, Hunderte Menschen seien ohne Test eingereist. Die Kapazitäten hätten nicht ausgereicht.

Die dänischen Gesundheitsbehörden mussten ihren Aufruf an Tausende Zuschauer erneuern, sich testen zu lassen. Insgesamt seien bereits bei neun Fans nach dem Spiel gegen Belgien am Donnerstag vergangener Woche im Stadion von Kopenhagen Ansteckungen mit der aggressiven Delta-Variante  festgestellt worden, teilten die Behörde für Patientenschutz am Freitag mit. Zunächst waren es drei gewesen. Nach dem Spiel gegen Russland am Montag, ebenfalls in Kopenhagen, wurden bislang 16 Menschen positiv getestet, bei vier Infizierten sei die Delta-Variante nachgewiesen worden, hieß es. Alle Zuschauerinnen und Zuschauer auf der Tribüne B wurden zum PCR-Test aufgefordert.

Wie ist es in Deutschland? Bei den drei Spielen in München, bei denen jeweils 14.500 Personen ins Stadion durften, wurden dem Gesundheitsreferat insgesamt zwölf positive Schnelltests gemeldet. Bei »mehreren Tausend Testungen« seien sechs Menschen positiv gewesen, die ins Stadion gehen wollten. Sechs weitere positiv getestete Fans waren etwa zum Public Viewing in der Stadt, sagte ein Sprecher.

Noch sind es vergleichsweise wenige Fälle – ob das Turnier ein Pandemietreiber wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht absehbar, die Inzidenzen bilden das Infektionsgeschehen von vor zwei Wochen ab. Doch statt vorsichtig zu sein, drängte der europäische Verband Uefa auf mehr Gäste im englischen Wembley-Stadion – in einem Land, in dem die Delta-Variante die Fallzahlen gerade wieder in die Höhe treibt. 60.000 Fans sind ab dem Halbfinale in London zugelassen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zeigte sich besorgt, Lothar Wieler, der Präsident des Robert Koch-Instituts, ebenso. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach bezeichnete die Spiele insgesamt als »Brandbeschleuniger« für die wohl ansteckendere Delta-Variante.

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Doch was erlaubt ist, wird genutzt. Maßnahmen können dabei ein trügerisches Gefühl von Sicherheit vermitteln, vor allem wenn sie nicht richtig umgesetzt werden. Und daher wird es auch zum Finale der EM erneut Bilder von feiernden Fußballfans geben, vielleicht auch wieder ohne Masken und mit wenig Abstand – unter den Augen derjenigen, die eigentlich dafür zuständig sind, die Schutzmaßnahmen durchzusetzen. Vielleicht werden einige ein mulmiges Gefühl behalten, aber dabei sein möchte man dann doch.

Es wird sich erst noch zeigen, welche Folgen das hat.

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