Erkenntnisse der bisherigen Bundesligasaison Zerstörer werden bestraft

Schalkes Spieler Ahmed Kutucu: Schlechte Laune vor Weihnachten
Foto: Guido Kirchner / dpaTrotz Mehrfachbelastung, trotz Geisterspielen, trotz Corona: An der Tabelle lässt sich die spezielle Situation dieser Saison nicht ablesen, die Topteams der vergangenen Saison spielen auch dieses Jahr um die Champions League, die Abstiegskandidaten gegen den Abstieg. Woran liegt das? Und welche weiteren Erkenntnisse lassen sich aus den bisherigen Spielen ziehen?
1. Die Verhältnisse sind fest zementiert
Die Tabelle nach 13 Spieltagen ist arm an Überraschungen. Der beste Indikator für die Platzierung bleibt der Personaletat. Wer viel Geld für Gehälter ausgibt, steht ganz oben. Es gibt nur wenige Ausnahmen von der Regel. Union Berlin und der VfB Stuttgart überraschen in positiver Hinsicht, Hertha BSC und Schalke 04 enttäuschen. Der Rest sortiert sich dort ein, wo er finanziell hingehört.
Wie zementiert die Verhältnisse sind, beweist mal wieder der FC Bayern. 22 Pflichtspiele haben die Bayern in den vergangenen 14 Wochen bestritten, nur die TSG Hoffenheim konnte die Bayern beim 4:1-Erfolg bezwingen. Nicht die Müdigkeit, nicht der volle Terminkalender, nicht einmal die Verletzung von Schlüsselspieler Joshua Kimmich konnte die Bayern stoppen.
Dabei ließen sie der Konkurrenz durchaus Chancen. In jedem der vergangenen sieben Bundesliga-Spiele lagen die Bayern 0:1 zurück. Kein Gegner konnte diesen Vorsprung über die Zeit retten. Mittlerweile scheinen selbst viele Gegner nicht mehr an einen Sieg gegen die Bayern zu glauben. Während die Bayern in Duellen gegen Spitzenteams wie Leipzig oder Leverkusen in der Schlussphase auf Sieg spielten, schienen diese sich mit einem Unentschieden zufriedenzugeben.
Selbst in einer Spielzeit, in der alles gegen die Bayern spricht, liegt der Rekordmeister nach 13 Spieltagen vorn. Das könnte für den Willen der Bayern sprechen, gegen die Qualität der Verfolger – oder dafür, dass das finanzielle Gefälle der Liga einfach zu groß geworden ist.
2. Guter Fußball wird belohnt
Obwohl seit Jahren praktisch immer dieselben Teams um die Europapokalplätze mitspielen, gibt es doch in jeder Saison ein oder zwei Teams, die in die Phalanx einbrechen. Häufig zeichnen sich diese Teams durch einen hohen Grad an defensiver Organisation aus, den gegnerischen Spielaufbau zu zerstören, ist Trumpf. Der SC Freiburg etwa überraschte mehrfach dank seiner herausragenden Organisation im Spiel gegen den Ball.
Die Überraschungsteams dieser Saison lassen sich keineswegs auf ihre Defensive reduzieren. Union Berlin etwa hat nach dem Klassenerhalt der vergangenen Saison bewusst den Weg gewählt, mehr fußballerische Klasse zu verpflichten. Mit Max Kruse holten sie sich einen spielstarken Stürmer, nach 13 Spieltagen haben sie aus dem Spiel heraus die viertmeisten Tore erzielt.
Vor Union liegen in dieser Statistik die Bayern, Borussia Dortmund – und der VfB Stuttgart. Sportchef Sven Mislintat hat eine dribbelstarke wie schnelle Mannschaft zusammengestellt. Trainer Pellegrino Matarazzo lässt sie auffallend hoch pressen und enorm schnell kontern.
Am anderen Tabellenende stehen wiederum Teams, die sich dem Spielaufbau verweigern. Schalke etwa sucht seit Jahren das Heil in der Defensive. 2020 fiel das Kartenhaus zusammen: Die Schalker haben keine Spielkultur, die ihnen hilft, aus dem eigenen Spiel heraus Torchancen zu kreieren. Ähnlich ergeht es Teams im Tabellenkeller wie Mainz, Köln oder auch der Hertha.
Manche dieser Teams erschlichen sich in den vergangenen Jahren mit solider Defensive, Glück und einem engagierten Publikum Punkte. Diese Saison funktioniert das nicht. Schlechter Fußball wird in der Bundesliga derzeit bestraft und Spielkultur belohnt.
3. Ohne Zuschauer gibt es keinen Heimvorteil
Dass ausgerechnet in dieser Saison schnelle und offensive Teams punkten, liegt nicht zuletzt am fehlenden Heimvorteil. Gerade einmal 32 Prozent aller Spiele gewannen die Heim-Teams. Das ist der mit Abstand niedrigste Wert der Bundesliga-Geschichte, einzig in der ebenfalls schon von Corona beeinflussten Vorsaison (40,2 Prozent) lag der Wert bei unter 44 Prozent. Hält der Trend an, gibt es erstmals in einer Saison mehr Auswärts- als Heimsiege.
Die neue Auswärtsstärke hängt eng zusammen mit den ersten beiden Thesen. In einer Liga, in der die Topteams finanziell wie sportlich enteilt sind, fehlt den kleinen Teams ein wichtiger Faktor: das Publikum. Der Defensivstil der Kleinen leidet darunter, dass niemand ihre erfolgreichen Grätschen, Tacklings und Konter bejubelt.
Ohne den Faktor Publikum rückt der Faktor fußballerische Qualität in den Vordergrund. Bayern München und Bayer Leverkusen weisen eine makellose Auswärtsbilanz vor. Leipzig, Stuttgart und Union, ebenfalls spielstarke Mannschaften, haben auswärts nur eine Partie verloren.
4. Der Strafraumstürmer kehrt zurück
Vor einigen Jahren noch galten klassische Strafraumstürmer als Auslaufmodell. Wer groß war, galt als schwerfällig und fußballerisch weniger begabt. Das Blatt hat sich gewendet. Mit Wout Weghorst (1,97 Meter, neun Tore) und Lucas Alario (1,85 Meter, acht Tore) gehören zwei klassische Strafraumstürmer zu den Toptorjägern. Jean-Philippe Mateta (1,92 Meter, sieben Tore), Bas Dost (1,96 Meter, fünf Tore) und Sasa Kalajdzic (1,99 Meter, fünf Tore) weisen ebenfalls herausragende Torquoten vor.
Die groß gewachsenen Strafraumstürmer haben ihr Spiel angepasst. Sie lassen sich nicht mehr auf ihre Rolle im gegnerischen Strafraum reduzieren. Wolfsburgs Weghorst etwa ackert im Pressing seines Teams, er hat die fünftmeisten Sprints aller Bundesliga-Spieler vorzuweisen. Frankfurts 1,96 Meter großer Bas Dost bindet Gegenspieler und befreit damit seinen Nebenmann André Silva (neun Saisontore).
Aber auch die Teams haben sich verändert. In der Bundesliga sieht man vermehrt hohe Hereingaben. Einige Jahre war die Zahl der Flanken rückläufig, aktuell steigt sie wieder. Das spiegelt sich auch in der Anzahl der Kopfballtreffer wider: Der Anteil der per Kopf erzielten Tore liegt in dieser Saison bei 18,7 Prozent, das ist der höchste Wert seit acht Jahren. An ruhenden Bällen liegt das kaum: Der Anteil der Standardtore hat sich im Vergleich zur vergangenen Saison um zwei Prozent verringert.
Dass immer mehr Treffer per Kopf erzielt werden, wirft indes ein schlechtes Licht auf die Abwehrreihen. Häufig verpassen die Verteidiger den richtigen Zeitpunkt, im eigenen Strafraum von Raum- auf Manndeckung umzuschalten. Angreifer haben es so leicht, frei zum Kopfball zu kommen. Auch das erklärt, warum die Topstürmer der Liga mehr Tore erzielen.