Deutsche Fußballtalente in der Eredivisie Junger Mann, geh nach Holland!

Amin Younes (rechts) spielte bis 2018 für Ajax Amsterdam und wurde in dieser Zeit zum Nationalspieler. Seine Entwicklung gilt heute manchen Talenten als Vorbild
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Es gibt keinen guten Zeitpunkt für die Unterbrechung einer Saison aufgrund einer Pandemie. Aber es gibt besonders schlechte. Für Mats Köhlert etwa ist die jetzige Zwangspause wegen der Coronakrise aus sportlicher Sicht ziemlich schlecht. Denn sie stoppt die bisher beste Spielzeit in der noch jungen Karriere des 21-Jährigen - und mithin den rasanten Aufstieg eines deutschen Talents im Ausland.
Vor einem Jahr lief der Linksaußen noch für die zweite Mannschaft des Hamburger SV in der Regionalliga Nord auf. Nun spielt er im Trikot des niederländischen Erstligisten Willem II Tilburg um die Plätze, die zur Teilnahme an internationalen Wettbewerben berechtigen. Mit seinem beim VfL Bochum ausgebildeten Sturmpartner Vangelis Pavlidis bildet er das zweitgefährlichste U21-Duo der Liga (24 Torbeteiligungen).
"Anders als beim HSV fühle ich mich bei Willem II wertgeschätzt und spiele regelmäßig", sagt Köhlert im Gespräch mit dem SPIEGEL. "Dass meine persönliche Entwicklung und die unseres Teams nun durch die Pandemie unterbrochen wird, ist schade."
Bei jungen Spielern aus Südamerika und Afrika gilt die Eredivisie schon lange als beliebte Destination. Der Brasilianer Ronaldo und Uruguays Luis Suárez etwa haben in den Niederlanden den Grundstein für Weltkarrieren gelegt. Doch nun zieht es vermehrt auch deutsche Fußballprofis ins Nachbarland.
Seit der Saison 2014/2015, in der nur fünf Spieler aus der Bundesrepublik bei niederländischen Erstliga-Klubs unter Vertrag standen, stieg die Zahl der deutschen Akteure jährlich an. In der aktuellen Spielzeit sind es 31 deutsche Profis in der Eredivisie - so viele wie noch nie zuvor. Ihr Durchschnittsalter von 22,7 Jahren zeigt, dass es vor allem junge Spieler in die Niederlande zieht.
Ausrichtung der Liga kommt Talenten entgegen
In der Eredivisie scheint es perfekte Entwicklungschancen zu geben. Mats Köhlert, der in seinen drei Profijahren beim HSV nur auf drei Kurzeinsätze in der zweiten Liga zurückblicken kann, spürt in der niederländischen Liga ein weitaus größeres Grundvertrauen in Nachwuchsspieler, als zu Hause in Deutschland. Zusätzlich käme die taktische Ausrichtung der Eredivisie jungen Spielern entgegen.
"Hier lernt man, Fußball zu spielen. In Deutschland heißt es eher Fußball kämpfen", sagt Frank Wormuth. Nachdem der 59-Jährige zehn Jahre die Leitung der Trainerausbildung beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) innehatte, entschied er sich 2018, den Trainerposten beim niederländischen Erstligisten Heracles Almelo zu übernehmen.

Frank Wormuth war zehn Jahre lang Trainerausbilder beim DFB. Seit 2018 ist er Trainer bei Heracles Almelo in der niederländischen Liga
Foto: Thomas Niedermueller/ Bongarts/Getty ImagesDie Attraktivität der Eredivisie liege für ihn in der Natur der Spielweise, die er als technisch offensiv beschreibt. "Lieber 5:4 als 1:0 gewinnen. Alles denkt offensiv. Der Ballführer kann den Ball vor allem im Mittelfeld relativ unbedrängt und mit wenig Gegenhärte führen. Da können sich junge Spieler technisch richtig gut entwickeln", sagt Wormuth dem SPIEGEL. Der Offensivgeist der Liga hat jedoch auch seine Schwächen. Häufig müsse er seine Spieler zu mehr Härte in den Zweikämpfen ermahnen. Systemwechsel während des Spiels seien ebenfalls eine Herausforderung.
Begrenzte finanzielle Mittel der Klubs
Die Jugendorientierung der Eredivisie liege laut Wormuth zu einem erheblichen Teil an den begrenzten finanziellen Mitteln vieler Klubs. Talente seien günstiger als fertig ausgebildete Stammkräfte. Junge Spieler können von der Spielzeit und der Ausbildung, die ihnen in der Eredivisie geboten werde, profitieren – wenn Geld nicht die größte Rolle für sie spiele. "Wenn sie das sogenannte beste Fußballeralter erreicht haben, können die Jungs dann in die großen Ligen wechseln, um gutes Geld zu verdienen", so Wormuth.
Für Mats Köhlert sind Spielpraxis und Umfeld wichtiger als das Gehalt. "Ich kann hier sehr gut leben und habe sicher keine finanziellen Engpässe", sagt er. Seine Wohnung liege nah am Trainingszentrum, die Einkäufe erledige er zu Fuß. In Tilburg sei alles etwas kleiner und familiärer als in Deutschland, trotzdem aber nicht weniger professionell. Ein Umfeld wie zu Hause, außerhalb der Heimat – zum Entwickeln sei das gerade richtig, findet Köhlert.

Robin Gosens (links) spielte einst für Heracles Almelo in Holland. Heute läuft er für Bergamo in der Champions League auf
Foto:Antonio Calanni/ dpa
Dass der Schritt in die Niederlande ein Türöffner in den europäischen Spitzenfußball sein kann, beweisen die Karrieren von Amin Younes (ehemals Ajax Amsterdam), Robin Gosens und Lennart Czyborra (ehemals Heracles Almelo). Auch sie spielten sich über die Eredivisie in den Fokus von Championsleague-Aspiranten. Heute stehen sie in den Kadern vom SSC Neapel und Atalanta Bergamo. Younes wurde bei Ajax zum deutschen Nationalspieler, Gosens rückte später bei Bergamo in den Fokus von Bundestrainer Joachim Löw.
"Die Eredivisie ist bekannt für günstige und gut ausgebildete Spieler, die sich auf gutem Niveau entwickelt haben", sagt Wormuth. Mit Derrick Köhn (21) vom FC Bayern München II hat sich im Winter ein weiterer Spieler für die Eredivise entschieden - mit der Hoffnung, es dort nach oben zu schaffen.