Deutschland nach dem WM-Aus Aufgeben gilt nicht

Wenn es tatsächlich einen Zusammenhang gibt zwischen Fußball und Politik, dann können jetzt alle resignieren, die noch positiv auf dieses Land und auf Europa schauen. Oder eben gerade nicht.
Trauernde deutsche Fans

Trauernde deutsche Fans

Foto: Uwe Anspach/ dpa

Den will man jetzt natürlich überhaupt nicht mehr sehen: Joachim Löw im Werbeblock, noch ganz weltmeisterlich schlenzt er locker einen Fußball, um die automatische Glastür zur Terrasse seines Architektentraumhauses zu öffnen. Scheiß Fußball, Scheiß Glastür, Scheiß WM. Keine Lust mehr. Schnell ausschalten.

So schnell geht das also vom Weltmeister zum Vorrunden-Aus, von der Supermannschaft zu den peinlichsten Verlierern der deutschen Fußball-Geschichte. Aber stimmt ja nicht: Dieses ungute Gefühl war die ganze Vorrunde über da, nur kurz betäubt durch den Freistoß von Kroos in allerletzter Minute gegen Schweden. Aber beim Spiel gegen Südkorea kroch es von Anfang an wieder heran, dieses ungute Gefühl: Das wird nix. Zweimal hintereinander wird das Glück nicht so heftig zuschlagen, es reichte nur für einen Lottogewinn gegen Schweden.

Tatsächlich fehlte der Mut, der Glaube, die Begeisterung von Anfang an, ganz offensichtlich der Mannschaft, aber mau war die Stimmung auch im ganzen Land: Kein Vergleich mit 2006, mit 2010, von 2014 ganz zu schweigen. Deutschland ist bleiern geworden seither.

Die Verfasstheit der Fußballnation wird gerne mit der politischen Stimmung in Verbindung gebracht, und vielleicht ist ja tatsächlich was dran: beide sind getragen von Volksseele. Eine Politik, die keine Mehrheit hat, kann sich nicht durchsetzen. Und eine Mannschaft, die keine Begeisterung spürt, in sich und außerhalb, auch nicht.

Wenn es diesen Zusammenhang wirklich gibt, dann kann Angela Merkel eigentlich sofort zurücktreten. Ähnlich lange wie Joachim Löw ist sie im Amt, beide haben wenig Lust darauf, umstrittene Entscheidungen zu erklären, beide haben sie Großes geleistet, sind erfolgsverwöhnt, vielleicht zu erfolgsverwöhnt, um noch richtig für den Erfolg arbeiten zu wollen und zu können. Merkel muss jetzt, ähnlich Kroos, in letzter Minute eine Einigung im großen Spiel mit der EU erzielen, damit ihre Regierung nicht scheitert. Wahrscheinlich aber wird der EU-Gipfel eher enden wie das Spiel gegen Südkorea: Keine starke Initiative, wenig Mut, dafür erstaunlich unangenehme Gegner, die allzu lange unterschätzt wurden.

Vielleicht brauchte es so einen Schock

Wenn es diesen Zusammenhang gibt, dann können im Grunde alle resignieren, die noch positiv auf dieses Land und auf Europa schauen, sie könnten angesichts der ständigen Rückschläge jede Bemühung einstellen und das Feld den politischen Pendants von Mario Basler, Stefan Effenberg und Lothar Matthäus überlassen, den Gestrigen, die schon immer gewusst haben: Wir schaffen es nicht. Denn so wie das Sommermärchen, das 2006 begonnen hat und seinen Höhepunkt 2014 feierte, ist auch die damit verbundene Welle der Weltoffenheit, die Deutschland damals erfasst hatte, ganz offensichtlich abgeebbt und aus und vorbei.

Aber vielleicht ja gerade nicht. Vielleicht brauchte es so einen Schock wie das Vorrunden-Aus der Nationalmannschaft, um sich daran zu erinnern, dass es harte Arbeit braucht, um etwas Gutes zu erreichen. Vielleicht brauchte es so einen Schock, um diese Arbeit wiederaufzunehmen. Die Behäbigkeit jedenfalls, die damit einherging, Weltmeister zu sein und als Führungsnation Europas das Zentrum der freien Welt, sie sollte spätestens jetzt restlos verschwunden sein. Es ist nicht so selbstverständlich, wie es lange aussah, ein Fußballspiel zu gewinnen. Und es ist nicht selbstverständlich, in einem freien und vereinten Europa zu leben. Es wäre schlimm, jetzt sein Heil in den Rezepten der Vergangenheit zu suchen - Blutgrätschen sind keine gute Verteidigung des eigenen Tores. Und auch nicht der eigenen Grenzen.

Klar, Enttäuschung ist jetzt erlaubt, und ein Kater auch. Aber die Größe einer Idee, sei es die eines modernen Fußballs oder die einer weltoffenen Gesellschaft, zeigt sich im Aufstehen und Weitermachen nach der Niederlage. Wir sind noch lange nicht geschafft. Aufgeben gilt nicht. Joachim Löws Vertrag läuft noch bis 2022.

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