Serge Gnabry in der Nationalelf Immer besser

Acht Monate vor der EM ist die DFB-Auswahl noch eine Mannschaft in der Pubertät: Sie weiß noch nicht, wer sie ist und was sie kann. Nur der Münchner Angreifer Serge Gnabry beweist konstant seine Klasse.
Serge Gnabry in der Nationalelf: Immer besser

Serge Gnabry in der Nationalelf: Immer besser

Foto: Martin Meissner/AP

Gegentore erfreuen sich im Fußball keiner Beliebtheit. Aber vielleicht wird sich das im Fall der DFB-Elf rückblickend noch ändern.

Lucas Ocampos traf in Dortmund in der 85. Minute zum 2:2-Endstand für die argentinische Fußballauswahl im Test gegen die deutsche. Und weil dadurch aus einem deutschen Sieg noch ein Remis wurde nach einem 2:0 zur Halbzeit, könnte es dazu beitragen, dass sich der Blick auf die Realität nicht verstellt.

Man male sich aus, Deutschland hätte Argentinien geschlagen, und das mit einer Mannschaft, die insgesamt 14 verletzungs- und krankheitsbedingte Ausfälle kompensieren musste. Noch am Spieltag selbst den von Innenverteidiger Niklas Stark wegen eines Magen-Darm-Infekts. Ein Team, das nur einmal zusammen trainieren konnte. Und das am Ende vier Neulinge auf dem Feld hatte. Es hätte ein paar Hymnen auf die Widerstandskräfte gegeben, auf die Debütanten wohl auch. Und man hätte sich vielleicht sogar gefragt, ob der deutsche Fußball die bei der WM 2018 betretene Talsohle schon wieder durchschritten habe.

Das deutsche Nationalteam ist in der Findungsphase

Das deutsche Nationalteam ist in der Findungsphase

Foto: Federico Gambarini/DPA

Tatsache aber ist: Die DFB-Elf ist acht Monate vor der EM eine Mannschaft in der Pubertät. Sie weiß noch nicht, wer sie ist. Was sie wirklich kann. Und sie neigt deshalb dazu, sich nach Erfolgen zu groß zu fühlen und nach Niederlagen zu klein.

"Wir hatten gedacht, dass wir schon weiter sind"

So war es nach dem späten und auch etwas glücklichen 3:2-Sieg in Amsterdam gegen die Niederlande im März, oder den beiden EM-Qualifikationssiegen gegen Weißrussland und Estland. Danach vermittelten manche Spieler sowie DFB-Direktor Oliver Bierhoff den Eindruck, als glaube man, schon wieder wer zu sein im Weltfußball. Dann folgte das 2:4 im Rückspiel gegen Holland im September. Und das gerade zart wiederaufgebaute Selbstvertrauen litt. Beim 2:0 gegen Nordirland kurz darauf sah man das der DFB-Auswahl lange an.

"Die letzten Monate sind nicht so optimal gelaufen. Wir hatten gedacht, dass wir schon weiter sind", hatte Löw noch vor dem Spiel gegen Argentinien gesagt. Und diese Partie gegen ein Team ohne seinen Besten, Lionel Messi, hat eigentlich auch nur eine Gewissheit gebracht: Von den Feldspielern beweist allein Angreifer Serge Gnabry in dieser noch nach ihrer Identität suchenden deutschen Nationalmannschaft gerade konstant seine Klasse.

In den vergangenen fünf Länderspielen hat Gnabry sechs Tore erzielt. Gegen Argentinien traf er selbst zum 1:0 und legte zum 2:0 für Kai Havertz auf. Seit dem Kreuzbandriss von Leroy Sané ist Gnabry fast ausschließlich für die Überraschungseffekte zuständig - und eben auch hauptverantwortlich für das Zählbare. Im Basketball nennt man einen Spieler, den man den Ball gibt, wenn es in die entscheidende Phase geht, "Go-to-Guy". Gnabry ist das im Moment für die Löw-Auswahl.

Der, der immer spielt

"In den letzten Monaten hat Serge bei uns überragende Spiele und einen unglaublichen Schritt nach vorn gemacht", sagte Löw. Gegen Argentinien habe er, "die ganze Abwehr eine Halbzeit lang verunsichert". "Serge tut uns einfach gut - mit seiner Dynamik, seinem Eins-gegen-Eins und seinem Abschluss", befand auch Joshua Kimmich, der diesmal Kapitän war. Kimmich war auch dabei, als Gnabry kürzlich für die Bayern vier Treffer beim 7:2 gegen Tottenham erzielte.

Wie wichtig Gnabry mittlerweile für das deutsche Team ist, bewies nicht nur die Aussage vor dem Holland-Spiel, wonach dieser bei Löw immer spiele. Auch die Tatsache, dass ihn der Bundestrainer gegen Argentinien just in der Phase auswechselte, als die Südamerikaner immer stärker wurden, und zwar um ihn für das EM-Qualifikationsspiel gegen Estland am Sonntag zu schonen (20.45 Uhr/Liveticker SPIEGEL; TV: RTL). "Ich wollte ihn nicht über 90 Minuten spielen lassen, denn wir brauchen ihn für die nächsten Spiele", sagte Löw.

Serge Gnabry ist Deutschlands "Go-to-Guy"

Serge Gnabry ist Deutschlands "Go-to-Guy"

Foto: Friedemann Vogel/EPA-EFE/REX

Spieler für Überraschungseffekte hat er derzeit nicht so viele. Und die, die er hat, haben gerade mit sich selbst zu tun:

  • Havertz muss mit 20 Jahren erst noch in sein enormes Talent hineinwachsen.
  • Timo Werner, der weniger mit dem Ball, dafür aber durch Geschwindigkeit Effektvolles erzeugen kann, hat in Leipzig gerade seine Abschlussstärke verloren. Und wann hat er eigentlich zuletzt im Nationaltrikot ein wirklich gutes Spiel gezeigt?

Gegen Argentinien fehlten Reus (Knieprobleme) und Werner (Infekt) noch. Gegen Estland werden wohl beide einsatzfähig sein - und vielleicht auch wieder Ilkay Gündogan (Muskelprobleme). Bliebe noch Julian Brandt, aber er hat bisher weder im Nationalteam noch in seiner neuen Dortmunder Elf dauerhaft einen Stammplatz errungen.

Nein, im Augenblick ist es Gnabry, der dem deutschen Spiel die Raffinesse und Torgefahr verleiht. Und das ist eigentlich zu wenig, um damit wirklich wieder wer zu werden im Weltfußball.

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