Nationalelf nach 2:4 gegen Holland Schwache Abwehrkräfte

Eigentlich hatte die DFB-Elf gehofft, nach dem WM-Debakel und dem Umbruch schon wieder wer zu sein im Weltfußball. Doch das 2:4 gegen die Niederlande schürt neue Zweifel - vor allem an der Defensive.
Niklas Süle (vorne) und Matthias Ginter verteidigen Virgil Van Dijk. Toni Kroos (r.)scheint Schlimmes zu ahnen

Niklas Süle (vorne) und Matthias Ginter verteidigen Virgil Van Dijk. Toni Kroos (r.)scheint Schlimmes zu ahnen

Foto: Alexander Hassenstein/ Getty Images

Was macht eigentlich Mats Hummels?

Ziemlich genau, als die deutsche Fußballnationalmannschaft am späten Freitagabend ihre erste, dafür herbe Niederlage in der EM-Qualifikation hinnehmen musste, ein 2:4 (1:0) gegen die Niederlande, schrieb der im März aus der DFB-Auswahl aussortierte Weltmeister von 2014 auf Instagram: "Toller Test heute in Cottbus bei einer besonderen Atmosphäre. Danke Energie Cottbus und allen Fans, die im Stadion waren."

Hummels spielte am Freitag mit seinem Klub Borussia Dortmund eine Freundschaftspartie beim Regionallisten in der Lausitz. Und wem klar ist, dass der Verteidiger alle seine Tweets selbst verfasst und auch neben dem Spielfeld ein Stratege sein kann, der entwickelt schnell eine Fantasie dafür, dass in dieser Kurznachricht und ihrem Timing vielleicht eine versteckte Botschaft zu finden ist: Während ihr da beim DFB jetzt über Kalamitäten in der Abwehr diskutiert und euch fragt, ob ihr stabil genug für eine EM seid, spiele ich hier in der Fußballprovinz - und fühle mich gut dabei.

Eigentlich hatten sie beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) nach dem WM-Debakel von Russland und dem mit Verzögerung durchgeführten Umbruch gehofft, langsam schon wieder ein bisschen wer zu sein im internationalen Fußball. Vor der Partie gegen die Niederlande hatte DFB-Direktor Oliver Bierhoff gesagt, Deutschland gehöre zwar in der Fifa-Weltrangliste nicht mehr zur absoluten Spitze (da steht man auf Platz 15 hinter Dänemark und Chile), "aber irgendwie doch dazu". Allerdings schürt das 2:4 gegen den Erzrivalen und die Art der Entstehung dieser Niederlage jetzt neue Zweifel - vor allem an den eigenen Abwehrkräften.

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DFB-Pleite in der EM-Qualifikation: Niederlage gegen die Niederlande

Foto: Odd Andersen / AFP

Zum vierten Mal hat die DFB-Elf nun innerhalb eines Jahres gegen das wieder erstarkte Holland gespielt. Insgesamt kassierte Löws Team dabei elf Gegentore (es gab ein 0:3, ein 2:2, ein 3:2 und nun ein 2:4). Zweimal gab man den Sieg nach eigener Führung noch aus der Hand. Am Freitag waren es vier Gegentreffer, und sie fielen nach zum Teil bemerkenswert kuriosem Fauxpas.

Jonathan Tah stand beim 1:1-Ausgleich von Frenkie de Jong falsch und grätschte so vorbei an der Flanke ins Leere. Das 1:2 war ein Eigentor des Leverkusener Innenverteidigers, was zwar immer mal passieren kann, sich an diesem Abend aber einreihte in einen ansonsten auch unglücklichen Gesamteindruck Tahs. Das 2:3 leitete Innenverteidiger Matthias Ginter mit einem Fehlpass ohne Bedrängnis ein. Und das 2:4 hätte Tah mit einem beherzteren Eingreifen am eigenen Strafraum gegen Memphis noch verhindern können. "Das sind so Fehler, die man sich gegen Holland nicht erlauben kann", sagte Löw und fand, dass sein Team unter den eigenen "technischen Möglichkeiten" gespielt habe.

Bundestrainer Löw im Video

Deutschland sollte nun dringend am Montag im nächsten EM-Qualifikationsspiel gegen den noch ungeschlagenen Tabellenführer Nordirland in Belfast gewinnen (20.45 Uhr; Liveticker SPIEGEL; TV: RTL), um im Rennen um einen der ersten beiden Plätze in Gruppe C nicht ins Rechnen zu kommen: Einen möglicherweise notwendigen direkten Vergleich mit Holland hat das Team durch das 2:4 verloren (Hinspiel: 3:2).

Schon bei der WM 2018 war ein Grund für das Vorrundenaus die defensive Instabilität. Das lag weniger an der Qualität der Innenverteidiger, sondern mehr an der mangelnden Balance zwischen Offensive und defensiver Absicherung. Löw hatte versucht, das nach Russland zu beheben, und es schwebt ihm nun eine ähnliche Ausrichtung vor wie bei der WM 2010: aus einer kompakten Defensive heraus zu kontern.

Aber wirklich stabil scheint seine Elf nur gegen Gegner der Gewichtsklasse Weißrussland (2:0) und Estland (8:0) zu sein wie im Juni. Gegen schwerere Kontrahenten wie die Niederlande, die über aktuelle und künftige Weltstars wie Virgil van Dijk und de Jong verfügen, gegen die erkennt man an schlechten Tagen die immer noch allgemeine Verwundbarkeit der deutschen Mannschaft. "Wir haben heute gezeigt, dass wir noch nicht reif genug sind", sagte Mittefeldspieler Joshua Kimmich.

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DFB-Team in der Einzelkritik: Seltsam instabil

Foto: DAVID HECKER/EPA-EFE/REX

Wenn es aber selbst mit einer Fünferkette in der Abwehr wie gegen Oranje nicht gut genug funktioniert, dann gibt es Diskussionen über die Strategie. "Wir hatten Schwachpunkte nicht aufgrund von taktischen Ausrichtungen, sondern aufgrund von Fehlern, die wir gemacht haben", sagte Löw. Und wenn Tah sowie Ginter für solche Bredouillen verantwortlich sind und die einzige Alternative, die bei einem europäischen Topklub spielt, noch im Aufbautraining steckt ( Antonio Rüdiger vom FC Chelsea), dann wird es nur eine Frage der Zeit sein, bis irgendjemand die Rückkehr des ausquartierten Hummels im DFB-Lager fordert. Nach der Ausbootung hatte der 30-Jährige beim FC Bayern in der vergangenen Rückrunde starke Leistungen gezeigt und nach seinem Wechsel zum BVB in einem Interview erwähnt, dass er durchaus davon träume, noch einmal im Nationalelf-Trikot auflaufen zu dürfen.

Für Löw ist das erst einmal keine Option. Den Umbruch wird der 59-Jährige mit einer solchen Reaktivierung nicht abbrechen. Und es wäre auch das falsche Signal. Löw hatte schon vor dem Holland-Spiel gesagt, dass er zwar grundsätzlich davon überzeugt sei, dass seine Elf Fortschritte gemacht habe, "aber wir müssen es auch konstant zeigen". Nun reagierte er auf die Bedenken bezüglich der schwachen Abwehrkräfte auch mit starker Gelassenheit: Grundsätzliche Qualitätsmängel sehe er in der Abwehr keine. "Aber das sind junge Spieler wie Tah und Niklas Süle. Die müssen noch dazulernen", sagte Löw.

Und vielleicht ist es ja mit der deutschen Fußball-Nationalmannschaft im September 2019 so wie bei Forrest Gump, dem Leben und der Pralinenschachtel: Man weiß nie, was man bekommt. "Wir haben eine noch junge Mannschaft", sagte der bald 30 Jahre alte Toni Kroos, "da kann es mal so und mal so laufen".

Deutschland - Niederlande 2:4 (1:0)
1:0 Gnabry (9.)
1:1 De Jong (59.)
1:2 Tah (Eigentor, 65.)
2:2 Kroos (Handelfmeter, 73.)
2:3 Malen (79.)
2:4 Wijnaldum (90.+1)
Deutschland: Neuer - Tah, Süle, Ginter (84. Brandt) - Schulz, Kroos, Kimmich, Klostermann - Werner (61. Havertz), Reus (61. Gündogan), Gnabry
Niederlande: Cillessen - Blind, Van Dijk, De Ligt, Dumfries (58. Pröpper) - Wijnaldum, De Jong, De Roon (58. Malen) - Babel (81. Aké), Depay, Promes
Schiedsrichter: Soares Dias (Portugal)
Gelbe Karten: Kimmich / Depay, De Roon, De Jong
Zuschauer: 51.299

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