Umstrittene Asienreise des DFB
Weihnachtsshopping fürs Sommermärchen
Die Asienreise der Nationalelf im Dezember 2004 hatte sportlich keinen Wert. Dass sich das Team dem Reisestress unterwarf, hatte einen anderen Grund: Den Gastgebern wurde damit ein finanzieller Gefallen getan.
Der damalige Bundestrainer Jürgen Klinsmann beim Sightseeing in Busan: dass »sich die Jungs besser kennenlernen«
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Jürgen Klinsmann hat immer schon über die Gabe verfügt, zuweilen Dinge in schönerem Licht dastehen zu lassen, als sie es wirklich sind. So fand er auch als frischgebackener Bundestrainer 2004 schmückende Worte für die damalige Asienreise der Nationalmannschaft. Der Trip des DFB kurz vor Weihnachten zu Testspielen gegen Japan, Südkorea und Thailand sei »ein wirklicher Lernbaustein für die Mannschaft«, sie sei wichtig »für die Intensivierung des Gemeinschaftsgefühls«, dafür, dass »sich die Jungs besser kennenlernen«.
Das klang schon alles weniger nach einer sportlichen Herausforderung als eher nach einer sozialpädagogischen Maßnahme. In Wirklichkeit hatte dieser Ausflug nach Fernost allerdings noch eine ganz andere Bedeutung: Es war eine sportpolitische Pflichtübung des Verbands, eine Gegenleistung für die Unterstützung der Exko-Mitglieder aus Südkorea und Thailand bei der Vergabe der Fußball-WM 2006 nach Deutschland. Und, wie die Dokumente zeigen, die dem SPIEGEL und der »Süddeutschen Zeitung« vorliegen, ein knallharter Deal, um die Funktionäre der beiden Länder und ihre Verbände auch finanziell zufriedenzustellen.
Südkorea und Thailand ließen sich die Bandenwerbung in den Stadien in Busan und Bangkok durch die deutsche Seite teuer bezahlen: zwei Millionen Dollar für die Südkoreaner, zwei Millionen für Thailand. Ganz offensichtlich ein Freundschaftsdienst für die Abstimmung der zwei Exko-Wahlmänner im Jahr 2000 pro Deutschland. Das erste Spiel der Reise gegen die Japaner in Yokohama (3:0 für die DFB-Elf) war in jeder Hinsicht eine Beigabe. Der japanische Markt galt vor allem der Liga als interessant.
Kader im Europapark Rust bekannt gegeben
Sportlich mussten sich die Verantwortlichen schon damals verbiegen, um der strapaziösen Reise, die vom 12. bis zum 21. Dezember durch drei asiatische Länder führte, zu begründen. Vom »Kennenlernen der asiatischen Spielweise« war da beim DFB auch die Rede, die hatte die Nationalelf allerdings schon zwei Jahre zuvor bei der WM in Japan und Südkorea gut kennenlernen dürfen – spätestens, als das Team im Halbfinale gegen Südkorea anzutreten hatte.
Klinsmann war zu jenem Zeitpunkt im Advent 2004 gerade einmal seit August im Amt, er und seine neue Entourage, Assistent Joachim Löw und Manager Oliver Bierhoff, hatten gerade erst angefangen damit, »jeden Stein beim DFB umzudrehen«, wie Klinsmann zu seinem Amtsantritt angekündigt hatte. Aber schon nach vier Monaten war der neue Stil der Verantwortlichen spürbar: Der Kader für die Reise wurde nicht per schnöder Pressemitteilung bekannt gegeben, sondern bei einem Auftritt im Europapark Rust.
Klinsmann hatte wieder eine Handvoll Debütanten eingeladen, unter ihnen auch einige, die anschließend ganz schnell wieder aus dem Dunstkreis der Nationalmannschaft verschwanden: den Lauterer Marco Engelhardt zum Beispiel oder den Wolfsburger Torwart Simon Jentzsch. Auch der Bremer Christian Schulz, bei dem sich auch die wenigsten an seine Zeit als Nationalspieler erinnern dürften, gehörte zum Reisekader. Die Spieler des VfB Stuttgart reisten erst später nach, weil sie noch im Uefa-Cup beschäftigt waren, zu ihnen gehörten neben Andreas Hinkel und Kevin Kuranyi auch Philipp Lahm, damals noch in Stuttgarter Diensten.
2000 Minuten in der Luft
Es war eine Reise, die aus vielerlei Hinsicht keinen Sinn ergab – ein Spiel gegen Thailand, irgendwo in den Kellerräumen der Weltrangliste, wie sollte das eine Mannschaft, die immerhin Vizeweltmeister war, weiterbringen? Die Mannschaft musste, um es rechtzeitig von Japan nach Südkorea zu schaffen, einen Nachtflug einlegen. Ohnehin war die Delegation mehr in der Luft als auf dem Platz. So hatte die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« ausgerechnet, dass die Nationalmannschaft in diesen zehn Tagen 270 Minuten auf dem Fußballfeld verbrachte, aber 2000 Minuten im Flugzeug. Trainer Jürgen Klinsmann verlegte spontan die Trainingseinheiten ins Hotel und funktionierte sie zur Regeneration um. In dem gesamten Zeitraum des Asien-Aufenthalts hatte die Mannschaft nur zweimal regulär trainiert.
Zwischen der Partie im südkoreanischen Busan (1:3, Klinsmanns erste DFB-Niederlage) und dem letzten Spiel in Bangkok (5:1) lagen gerade zwei Tage. »Ich bin total kaputt, zum Schluss hatte ich überhaupt kein Zeitgefühl mehr, weil ich ständig müde war«, klagte Torwart Oliver Kahn. Das »Handelsblatt« sprach von der »Asien-Tortour«.
Gegen Japan durfte auch Debütant Patrick Owomoyela ran
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ARD und ZDF übertrugen die Spiele in Deutschland zur ungewohnten Mittagszeit, die TV-Quoten waren demnach auch die geringsten, die die Nationalmannschaft in neuerer Zeit eingefahren hatte. Bei der ARD saß Experte Günter Netzer im Studio und beklagte die Reisestrapazen: »Mit dem HSV haben wir auch mal so eine Reise zum Weltpokal nach Asien gemacht. Die Spieler wollten laufen, aber sie konnten einfach nicht.« Dass er mit seiner Vermarktungsfirma Infront auch an der Asienreise verdiente, fand dabei aber keine Erwähnung.
Magath moserte aus der Heimat
In der Heimat wurde die gesamte Operation schon damals kritisch gesehen, allerdings allein unter dem Aspekt der sportlichen und körperlichen Belastung. Felix Magath, zu jener Zeit Trainer des FC Bayern, moserte: »Wir können nicht immer alles auf die Nationalmannschaft ausrichten.« Klinsmann sollte sich fragen, »ob er sich damit einen Gefallen tut«. Das angespannte Verhältnis zwischen dem Bundestrainer und den Vereinen, das Klinsmann bis zur WM 2006 begleiten sollte, hat auch einen seiner Ursprünge in dieser Reise.
Den Verantwortlichen der Mannschaft war das wohl durchaus bewusst, dass sie hier nicht vorrangig den Teamspirit weiterentwickelten, sondern im Dienste des Verbandes unterwegs waren. Noch sechs Jahre später fiel Bierhoff in einem Interview mit dem »Tagesspiegel« auf die Frage, ob sich die Nationalmannschaft zu sehr vom DFB abkapsele, ein: »Ich kann mal auflisten, was wir für den DFB machen: von den sportpolitischen Verpflichtungen wie der Asienreise und den Benefizspielen über das Oliver-Kahn-Abschiedsspiel bis hin zu unseren TV-Image-Spots.«
So lockten Klinsmann und Bierhoff die Nationalspieler denn auch mit einem besonderen Zuckerstück: Während der Reise gab es zwar kaum Zeit zum Trainieren, dafür wurde den Spielern aber die Möglichkeit von »Freizeit und Weihnachtsshopping« offeriert.