DFB-Erfolg in England Tanz im neuen Wohnzimmer

Wenn das mal nicht historisch ist: Die deutsche Nationalmannschaft gewann gegen England nach dem letzten Spiel im alten Wembley-Stadion auch als erster Gast in der neuen Arena - und das auch noch mit einer bestenfalls aufgemotzten B-Elf - eine Schmach für die Briten.

Und dann singen die deutschen Fans auch noch dieses Lied. Als wenn nicht alles schon bitter genug wäre. "Football's coming home" schallt es aus Tausenden Kehlen, der Fußball kommt nach Hause, aber es ist nicht der englische.

Ein paar Minuten sind nur noch zu spielen, 2:1 führt die deutsche Mannschaft gegen England, es wird nach dem letzten Sieg 2000 im alten Wembley-Stadion der erste im neuen. Eine neuerliche Schmach für die enttäuschten Gastgeber, ein perfekter Rahmen für die deutschen Anhänger. "Hier gewinnt man immer gern", wird Philipp Lahm später sagen.

Und das immer wieder.

Es hat seit Boris Becker eine gewisse Tradition, dass deutsche Sportler sich ein behagliches Wohnzimmer in London suchen. Für den Tennisspieler war es der Rasen von Wimbledon, wo er dreimal gewann, und die deutschen Fußballer fühlten sich spätestens seit dem Halbfinalsieg bei der EM 1996 auf dem Grün des alten Wembley besonders wohl. Nun macht man es sich eben im neuen gemütlich - und feiert die Einweihung mit Gesang und Tanz.

Seine "sehr junge Mannschaft" habe nach dem Sieg in der Kabine jedenfalls ausgelassen gefeiert, berichtet Joachim Löw später im Pressesaal. Der Bundestrainer sitzt gelassen auf seinem Stuhl, die Schultern nach vorn geneigt und die Hände auf dem Tisch. Er sieht nicht so aus, als habe er mitgetanzt. "Die innere Freude" sei schon da gewesen, sagt er zwar, "es gibt ja sehr wenige Orte, wo es schöner ist, zu gewinnen". Aber viel mehr Emotionales ist von Löw nicht zu hören. Die Überhöhung eines Fußballspiels ist ihm fremd, der Analytiker reduziert es lieber auf seinen Wert für die Weiterentwicklung der Mannschaft.

Das Spiel gegen England war vor allem ein taktisches Experiment - ein erzwungenes zwar, aber auch ein gelungenes. Löw, dem verletzungsbedingt eine komplette Mannschaft fehlte, hatte sich "nach langem Überlegen" für eine Aufstellung mit nur einem Stürmer (Kevin Kuranyi) entschieden. Das ist ungewöhnlich, schließlich galt schon unter Jürgen Klinsmann ein System mit zwei Spitzen als Dogma. Nach 90 Minuten war klar, warum ansonsten auch Löw diese taktische Formation bevorzugt, sich auf Grund der vielen Absagen jedoch zu dieser Variante gezwungen sah. Kuranyi stand zwar beim 1:1-Ausgleich richtig, als er eine verunglückte Faustabwehr des englischen Torhüters Paul Robinson nutzte. Gefährlich wurde der Schalker ansonsten aber nur für den Spielfluss der eigenen Mannschaft.

Dass es den in Wembley überhaupt gab, war nach den ersten 20 Minuten nicht unbedingt zu erwarten gewesen. Die später so lautstarken deutschen Fans waren so still, dass man sich immer wieder vergewissern musste, ob sie denn wirklich noch im Stadion waren. Auf dem Platz ließ sich der Länderspieldebütant Christian Pander von Micah Richardson erst überspringen und dann ausspielen, nach zehn Minuten traf Frank Lampard nach Pass des Rechtsverteidigers zur frühen Führung. Sein Team habe sich womöglich "beeinflussen lassen von den 90.000 Fans", sagt Löw.

Aber eben nur 20 Minuten lang. Danach passierte etwas, was der Bundestrainer nach dem Spiel als Gefühl bezeichnete, "hier Tore machen zu können". Eine Ecke Panders köpfte Christoph Metzelder neben das Tor, ein Weitschuss Thomas Hitzlspergers ging noch knapp daneben - so hat sich dieses Gefühl wohl entwickelt, das erst durch Kuranyis Treffer in der 26. Minute nach einem katastrophalen Fehler von Torwart David Robinson und eine Viertelstunde später dank Pander zur Gewissheit wurde. Ein Zuspiel von Lahm schoss der Linksverteidiger von halblinks fulminant ins rechte obere Eck, "fast aus dem Stand", wie Löw bewundernd feststellte.

Pander wurde so nach dem Spiel zu einem gefragten Interviewpartner ("Es ist natürlich ein unglaubliches Gefühl") und zu einem neuerlichen Beleg dafür, dass Löw auf jeder Position mindestens einen passenden Ersatz hat. Pander verteidigte für Marcell Jansen links hinten, Arne Friedrich für Lahm auf der rechten Seite. Der nur 1,70 Meter große Lahm wiederum gab in London sein Debüt auf der Frings-Position - und wurde so zum wohl schmächtigsten Abräumer in der DFB-Geschichte. Dass der Münchner demnächst auch zur Konkurrenz für Jens Lehmann im Tor oder die Stürmer Klose, Gomez und Kuranyi wird, wollte Löw nicht bestätigen. Lahm werde schon beim EM-Qualifikationsspiel in Wales im September wieder links oder rechts verteidigen: "Da kann ihm weltweit keiner das Wasser reichen."

Im Pressesaal kommt danach noch Hektik auf. Joachim Löw spricht gerade darüber, dass sein Team es in der zweiten Hälfte versäumt habe, noch einige Tore mehr zu erzielen, da stapft der englische Pressesprecher herein. Letzte Frage bitte an den Bundestrainer, der Sprecher deutet sehr bestimmt auf seine Uhr. Die Antwort Löws wird nicht mehr übersetzt. Zum Abschied sagt der Bundestrainer "thank you very much", dann verlässt er den Raum. England-Coach Steve McClaren soll auch noch zu Wort kommen.

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