
Guus Hiddink: Hoffnungsträger der Türken
DFB-Gegner Türkei Glücksbringer aus Holland
Wenn man Guus Hiddink auf der Straße träfe, hätte man den Eindruck, einem ebenso ausgeruhten wie wohlbeleibten Rentner zu begegnen, der seinen Lebensabend zum Großteil irgendwo unter südlicher Sonne verbringt, auf Madeira oder Mallorca. Braungebrannt, entspannt, freundlich.
Aber dieser Mann ist der vielleicht ausgefuchsteste Trainer der Welt.
Mit den Niederlanden stand er im WM-Halbfinale, mit Südkorea auch, die spielerisch limitierten Australier führte er ins Achtelfinale einer Weltmeisterschaft, Russland bis ins Halbfinale der EM. Jetzt soll der Mann, der in Holland mit dem Spitznamen "Guus Geluk", der glückliche Guus, bedacht wird, den Türken Heil und Segen bringen. Überall hat er Erfolg gehabt - nur gegen Deutschland hat er die wichtigen Spiele immer verloren.
Hiddink hat mit Deutschland Rechnungen offen, und er scheint mit aller Macht gewillt, sie am Freitag beim EM-Qualifikationsmatch gegen Deutschland (20.45 Uhr, Liveticker SPIEGEL ONLINE) zu begleichen. Noch vor einem Jahr als damaliger Coach der Russen hat das Team von Joachim Löw ihm den Traum von der vierten WM-Teilnahme zerstört. Damals hatte Hiddink anschließend beklagt, dem Team habe die Durchschlagskraft gefehlt: "Am Freitag kann und wird das anders sein", sagt er in seinem fast fehlerfreien Deutsch vor der Presse.
Bei der vergangenen EM vor zwei Jahren, bei der die von ihm trainierte russische Mannschaft im Halbfinale ebenso scheiterte wie die türkische, habe es nur zwei Mannschaften gegeben, die wirklich attraktiven Fußball geboten hätten: Russland und die Türkei. "Mittlerweile gibt es ein drittes Team in Europa, das das kann: Deutschland." Von daher sei er sicher, dass es am Freitag "kein überkontrolliertes Spiel" geben könne.
Viel Skepsis gegenüber Sahin
Ob Nuri Sahin, der Shootingstar der hiesigen Bundesligasaison und derzeit Liebling der Fußball-Feuilletons, dabei mithelfen wird? Für die deutsche und türkische Öffentlichkeit ist das keine Frage. Schließlich ist der eigentliche Mittelfeldregisseur Arda Turan verletzt und schon wieder nach Istanbul zurückgeflogen. Also muss jetzt der Dortmunder Sahin nach seinen überragenden Vorstellungen in der Liga in die Bresche springen, das scheint mehr als logisch. Nur für einen nicht: Guus Hiddink.

Türkisches Nationalteam: Viel Süper Lig und eine Prise Bundesliga
Bei der Dortmunder 2:0-Gala gegen den FC Bayern saß Hiddink im Stadion, er habe "60 Minuten lang eine Dominanz der Bayern gesehen", lässt er die Journalisten wissen, "und ein nicht gut organisiertes Dortmunder Mittelfeld" - für das Sahin verantwortlich ist. "Ich habe mit ihm anschließend über das Spiel geredet und ihm gesagt, dass auch ein junger Spieler in der Lage sein muss, auf eine Dominanz des Gegners besser zu reagieren". Dann sagt er noch: "Er macht seine Entwicklung durch, und das ist doch auch gut." So schmallippig ist Lob sehr lange nicht ausgefallen. Ganz anders hört es sich an, was Hiddink über einen anderen Spieler türkischer Herkunft sagt: "Ein sehr guter Mann. Einer, der zeigt, wie man Fußball spielen sollte." Hiddinks Lob gilt Mesut Özil, dem Mittelfeldspieler der DFB-Auswahl.
Hiddink hat Sahin in den vergangenen zwei Qualifikationsspielen, die die Türken gegen Kasachstan und gegen Belgien gewonnen haben, mit Nichtachtung gestraft, und dem Trainer ist es zuzutrauen, dass er den Dortmunder selbst beim Spiel des Jahres gegen das Land, in dem er lebt und Fußball spielt, wieder auf die Bank setzt. Der Niederländer hat andere Akteure, die er bevorzugt, auch wenn sie im Verein seit Wochen ihre Form suchen. Tuncay Sanli zum Beispiel, der Angreifer von Stoke City, der zwar seit Jahren sein Geld in der englischen Premier League verdient, aber dort zurzeit ungefähr genauso harmlos ist wie seine deutschen Kollegen Miroslav Klose oder Lukas Podolski. Dennoch wird Tuncay auch gegen Deutschland wieder auflaufen, da ist Hiddink wie ein Joachim Löw auf Niederländisch. Wem er einmal vertraut hat, der hat Kredit.
Leistungsträger im Formtief
"Jeder, der am Freitag auf dem Platz steht, ist in der Lage, ein Tor zu machen", sagt Hiddink, und man weiß nicht genau, ob er sich mit dem Satz selbst Mut macht oder tatsächlich daran glaubt. Der zweite Stürmer, Nihat von Besiktas Istanbul, hängt ebenfalls im Formtief fest, Kapitän Emre, früher Profi bei Inter Mailand, hat ungefähr so viele Verdienste um den türkischen Fußball wie Michael Ballack um den deutschen und ist ähnlich weit vom Leistungszenit entfernt, Mittelfeldantreiber Hamit Altintop knabbert an der Bayern-Krise und wird zusätzlich von den schmerzenden Adduktoren behindert. Der einzige, der sich zuletzt in blendender Verfassung präsentierte, war Galatasaray-Spieler Arda. Und der ist verletzt.
"Jeder weiß, was Arda für das Team bedeutet", sagt der Trainer, "aber das passiert im Fußball, dass sich Spieler verletzen, das muss man akzeptieren". Wer weiß das besser als Hiddink, der als Coach schon in einem EM-Viertelfinale stand, als sein Gegenüber Joachim Löw noch Assistenztrainer beim VfB Stuttgart war. "Guus Hiddink ist einer, der einem Team ganz schnell seine ganz eigene Handschrift verpassen kann", sagt der Bundestrainer über den niederländischen Kollegen. Die Türken seien in der Lage, "hervorragend den Ball zirkulieren zu lassen und ihn schnell vor das Tor zu bringen", attestiert Löw. In Hiddinks Sprache klingt das ein bisschen weniger fachspezifisch: "Wir spielen einfach zu gerne Fußball."