Pokalteilnehmer Barmbek-Uhlenhorst Brehme, Heino und der Pöbel

Der Heim-Sportplatz ist nach der Anfield Road benannt, Andreas Brehme unterhielt die Zuschauer schon als Sechsjähriger - und als die Insolvenz drohte, sprangen Schlagerstars ein. Barmbek-Uhlenhorst ist der kurioseste Klub im DFB-Pokal.
Hätten Sie ihn erkannt? Links, das ist Andreas Brehme, der bei BU anfing und später Deutschland zum WM-Titel schoss

Hätten Sie ihn erkannt? Links, das ist Andreas Brehme, der bei BU anfing und später Deutschland zum WM-Titel schoss

Foto: Barmbek-Uhlenhorst Archiv

Auf dem Wilhelm-Rupprecht-Platz im Hamburger Stadtteil Barmbek kommt man sich nahe. Kein halber Meter liegt zwischen dem Rand des Spielfelds und den Zuschauerrängen. Wenn sich ein Spieler nach einem Foul mit übertriebenem schauspielerischen Eifer in der Nähe der Begrenzung wälzt, muss er damit rechnen, dass sich ein paar Zuschauer über die Absperrung beugen und ihm mitteilen, er möge gefälligst aufstehen und weitermachen.

Die Fans des heimischen HSV Barmbek-Uhlenhorst, kurz BU, pflegen einen rauen Ton, sie nennen sich Barmbeker Pöbel. "Manchmal geht das auch unter die Gürtellinie", sagt Detlef Grandt, der schon lange zum Pöbel gehört. Anfang der Neunzigerjahre hätten die Fans beinahe einen Spielabbruch herbeigeführt. Der Schiedsrichter war derart genervt von den Zuschauern, dass er die Partie unterbrach, an die Seitenlinie lief und sich vor den Fans aufbaute. "Jetzt aber mal Ruhe hier an der Anfield, sonst ist Schluss!", soll er gerufen haben.

Die Aufforderung wirkte, das Spiel ging ohne weitere Zwischenfälle zu Ende - und die Anlage an der Steilshooper Straße hatte ihren Spitznamen: Anfield, nach dem Stadion des FC Liverpool an der Anfield Road, das bekannt ist für die Nähe zwischen Spielfeld und Zuschauern, für berauschende Atmosphäre.

Zuschauer von Barmbek-Uhlenhost: Pöbel an der Anfield

Zuschauer von Barmbek-Uhlenhost: Pöbel an der Anfield

Foto: Dimitri Ismer

Um Barmbek-Uhlenhorst, in der fünftklassigen Oberliga spielend, ranken sich viele Mythen und Anekdoten. Die Geschichte über die Herkunft des Stadion-Spitznamens gehört dazu, und genau wegen solcher Geschichten sind die Hamburger Amateure der kurioseste Klub, der in dieser Saison am DFB-Pokal teilnimmt. Am Sonntag (14.30 Uhr, Liveticker SPIEGEL ONLINE) geht es gegen den SC Freiburg.

BU wird mal wieder ein bisschen Aufmerksamkeit aus allen Ecken des Landes bekommen. Wie damals, in den Siebzigerjahren, als der Klub zur zweiten Kraft in Hamburg aufstieg, hinter dem HSV, vor dem FC St. Pauli, und eine Saison in der zweiten Bundesliga spielte.

Das Hoch war das Werk von Hermann Sanne, einem Entsorgungsunternehmer, der als Altpapier-Baron von Hamburg bekannt wurde. Sanne steckte viel Geld und noch mehr Ideen in den Klub, modernisierte auch die Anlage an der Steilshooper Straße. Zur Einweihung des neuen Rasenplatzes kamen 7000 Zuschauer, BU verlor knapp gegen den HSV mit Uwe Seeler. Zu den Attraktionen des Spiels gehörte ein Sechsjähriger, der in der Halbzeitpause im Mittelkreis Kunststücke mit dem Ball vorführte: Andreas Brehme, der später zum berühmtesten Sohn des Vereins werden und Deutschland 1990 zum WM-Titel schießen sollte.

Mäzen Sanne: Mit viel Geld in die zweite Liga

Mäzen Sanne: Mit viel Geld in die zweite Liga

Foto: Barmbek-Uhlenhorst Archiv

1974 stieg BU in die zweite Liga auf, doch die Saison wurde ein Fiasko, sportlich und finanziell. Weil der Wilhelm-Rupprecht-Platz nicht zweitligatauglich war, musste die Mannschaft ins Stadion am Rothenbaum umziehen. Die Miete war hoch, die Zuschauerzahlen waren schlecht. Statt der veranschlagten 4000 Menschen kamen anfangs die Hälfte, zum Ende der Saison sogar nur rund 500. Als Tabellenletzter stieg Barmbek-Uhlenhorst ab, die Verbindlichkeiten betrugen eine halbe Million D-Mark.

Nur durch eine Welle der Solidarität wurde das Aus verhindert. Das Ernst-Deutsch-Theater spendete 16.000 D-Mark, auch Privatleute gaben Geld. Entscheidend war der Einsatz von Schlagergrößen wie Heino, Roberto Blanco sowie Cindy und Bert. Sie nahmen einen Platte auf, der Titel: "Stars singen für BU". Die 10.000 Exemplare verkauften sich rasend und brachten die nötigen Einnahmen. "Mein letztes Geld geb' ich für Fußball aus", heißt das Lied eines gewissen Tony, das auch auf der Platte zu finden ist und noch heute bei den Spielen von BU gesungen wird (Hier der Link zum Lied - Achtung, Ohrwurmgefahr! ).

In der Fan-Landschaft des Klubs lässt sich Erstaunliches beobachten, nämlich die Eintracht eigentlich verfeindeter Lager. Anhänger des HSV und von St. Pauli unterstützen Barmbek-Uhlenhorst. "Egal ob braunweiß oder schwarzweißblau - unser Herz schlägt für BU", sagt Grandt vom Barmbeker Pöbel. Vor allem zu Schwarzweißblau gab es immer wieder Verbindungen.

Ehemalige HSV-Spieler wie Willi Giesemann und Charly Dörfel ließen ihre Karrieren an der Steilshooper Straße ausklingen. Ein Transfer in die entgegengesetzte Richtung scheiterte legendär: Der HSV wollte Barmbeks Verteidiger Hansi Hille holen, der wegen seiner langen Haare als einer der ersten Rebellen im Hamburger Fußball galt. Man war sich einig, nur die Haare, die solle sich Hille doch bitte schneiden. Er lehnte ab.

Neulich war Seeler wieder zu Gast auf dem Wilhelm-Rupprecht-Platz. Der Anlass war ein trauriger: das letzte Spiel auf der Anlage. Sie wird abgerissen, an gleicher Stelle sollen Wohnungen entstehen. "Wo man zu Hause ist, da möchte man auch bleiben", rief Seeler den Zuschauern beim Abschiedsspiel des Stadions zu, doch vorübergehend ist Barmbek-Uhlenhorst heimatlos.

Die Partie gegen Freiburg findet in Norderstedt nördlich von Hamburg statt, ab Februar 2016 soll BU auf einer neuen Anlage spielen. Auch sie soll den Spitznamen Anfield tragen.

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