DFB-Sieg gegen Portugal Und es war Sommer
Deutschland ist das Land der Märchen. Aschenputtel, Frau Holle und Sommermärchen heißen die erfolgreichsten, und nachdem an diesem Abend das Märchen von Basel hinzugekommen war, erzählte Bastian Schweinsteiger gleich noch ein weiteres. Er saß auf dem Podium des Pressebereiches, eine Flasche Wasser in der Hand, ein Lächeln im Gesicht und sagte: "Wir haben heute deutsche Tugenden gezeigt."
Ja, schon klar.
Deutsche Tugenden sind in etwa das, was diese deutsche Mannschaft an diesem Abend nicht gezeigt hatte. Jedenfalls nicht die, die Bundestrainer Joachim Löw nach dem unter größtem Druck gewonnenen Österreich-Spiel als deutsche Tugenden verkauft hatte. Er sprach vor allem vom Kampf, und er meinte damit etwas sehr Handwerkliches, Einfaches, Schlichtes.
Gegen Portugal, den vermeintlichen Top-Favoriten, spielte diese deutsche Mannschaft mitunter schöner, direkter und schneller, als das in den schönsten Sommermärchen-Erinnerungen vorkam. Sie kämpfte auch, erst gegen das leichte Unbehagen mit dem neuen, ungewohnten 4-2-3-1-System, dann gegen aufkommende Portugiesen und schließlich in den letzten Minuten um den Sieg. Aber über all dem schwebte diese Leichtigkeit, die mit dem Spiel gegen Kroatien abhanden gekommen zu sein schien.
"Das Entscheidende war, dass wir etwas verändert haben", sagt Michael Ballack. Er spricht von all dem, was vor dem Spiel gefehlt habe, Kreativität, Leidenschaft, Ideen. Von all dem, was so plötzlich und überraschend wieder da war. Dank des neuen Systems mit ihm selbst hinter den Spitzen, zwei offensiven Außen (Schweinsteiger, Lukas Podolski), einer Spitze davor (Miroslav Klose) und zwei defensiven Mittelfeldspielern (Simon Rolfes und Thomas Hitzlsperger). "Das war der Schlüssel", sagt Ballack, der dribbelte, flankte, köpfte, grätschte und von all dem ganz viel. Er fühlte sich sehr wohl in seiner Rolle. Und Deutschland spielte holländisch.
Wirklich paradox, dieses Märchen von Basel.
Der Top-Favorit ist draußen. Der Außenseiter im Halbfinale. Es geht alles so schnell bei dieser EM.
Wer erinnert sich eigentlich noch an die Kaderverkündung auf der Zugspitze Ende Mai? Und wer an die Geschichte von den fast gescheiterten Gipfelstürmern?
Sie ging so: Es war einmal eine Bergsteigergruppe. 23 Männer, die in die schöne Schweiz kamen, um zusammen den Gipfel zu erklimmen. Sie wollten schneller oben sein als die Italiener, Spanier oder Holländer. Am ersten Anstieg wurden die Polen distanziert, doch schon die Kroaten hatten die bessere Ausrüstung und marschierten davon. Die Österreicher waren zum Glück schnell außer Atem.
Trotzdem: Es sah nicht gut aus für die Gipfelstürmer aus Deutschland. Der Weg nach oben schien aussichtslos, denn man hatte ihnen kurz vor der nächsten Steigung den Bergführer Löw genommen. Und der Gegner hieß Portugal. Das Märchen von der Bergsteigergruppe des DFB drohte eines ohne Happy End zu werden.
Und jetzt sitzt da oben Bastian Schweinsteiger und freut sich, die "beste Mannschaft aus dem Turnier gekegelt" zu haben. Ausgerechnet Schweinsteiger, der die Gruppe laut dem stellvertretenden Bergführer Hans-Dieter Flick mit seiner Roten Karte gegen Kroatien "im Stich gelassen hatte". Der am Berg offenbar das falsche Schuhwerk trug und immer wieder zurückfiel. Dieser Schweinsteiger gab der Geschichte seiner Gruppe und der eigenen gegen Portugal die entscheidende Wendung.
Er schoss das 1:0 nach Vorarbeit von Podolski, er legte danach erst Miroslav Klose und später Michael Ballack die Bälle per Freistoß auf den Kopf. Schweinsteiger wirkte so ausgeruht nach seiner Sperre, dass der portugiesische Außenverteidiger Paulo Ferreira schon beim ersten Tunnel ahnen musste, dass etwas nicht stimmte an diesem Abend. "Hungrig und heiß" seien die Spieler gewesen, sagte Flick. Schweinsteiger brannte sogar und war "überglücklich" dabei.
Das größte Lob gebührt allerdings einem, der nicht auf der Bank saß, sondern auf der Tribüne und eine Zigarette rauchte: Joachim Löw. Lob für den Mut, ein seit vier Jahren praktiziertes System innerhalb von wenigen Tagen über den Haufen zu werfen. Der Bundestrainer tat das richtige, weil seine Spieler vorher so viel falsch gemacht hatten. Löw war zu seinem Glück gezwungen worden. "Nach dem Österreich-Spiel wussten wir, es muss eine Veränderung geben. Die Mannschaft musste auch ein Zeichen bekommen. Es war wichtig, gegen spielerisch starke Portugiesen im Mittelfeld die Räume eng zu machen", sagte Löw.
Zwei Mann vor der Viererkette, davor Ballack, zwei offensive Außen, die in der Rückwärtsbewegung Dreiecke mit den zentralen Defensiven bilden sollten, auf dass sich die Portugiesen darin verfingen. Das klappte oft gut und vor allem im Fall von Podolski manchmal auch überhaupt nicht. Dann, wenn Portugals Rechtsaußen Simao Philipp Lahm nach hinten zog, Bosingwa in den Rücken der deutschen Viererkette lief und Podolski nicht mitging. Gefährlich wurde es dann immer.
Bedenklich auch der Abwehrfehler von Per Mertesacker vor dem 1:2 oder das späte Attackieren von Clemens Fritz und Ballack vor dem 2:3. Aber geschenkt. Wer wünscht sich nicht insgeheim die Zeiten zurück, als das deutsche Team immer mindestens ein Tor mehr schoss als der Gegner, auch wenn es vier werden mussten, um zu gewinnen?
Die DFB-Elf hat sich gegen Portugal befreit. Nicht wie erwartet gegen Österreich, sondern gegen den Turnierfavoriten. Nun ist der ehemalige Favorit wieder der ehemalige Außenseiter und im Halbfinale gegen Kroatien oder die Türkei Favorit. Und der Gipfel ist wieder ein Stück näher gerückt.