DFB-Torwart Neuer Löws Spiderman
Am 1. März dieses Jahres standen drei Dinge fest: Deutschland spielt bei der WM in Südafrika. Michael Ballack würde das Team als Kapitän anführen. Und René Adler als Nummer eins das Tor der Nationalmannschaft hüten. Keine drei Monate später war klar: Weder Ballack noch Adler würden bei der WM spielen können. Vermisst wurden sie nicht. Ballack nicht, weil Bastian Schweinsteiger und Sami Khedira perfekt harmonierten. Bot diese Personalie immerhin noch Anlass zu Diskussionen, wurde das Fehlen Adlers hingegen kaum wahrgenommen. Der Grund: Manuel Neuer.
Als Folge von Adlers Verletzung hatte ihn das Trainerteam ins Tor beordert - obwohl er zu diesem Zeitpunkt erst drei Länderspiele absolviert hatte. Er rechtfertigte das Vertrauen und spielte ein gutes Turnier.
Chance bekommen, Chance genutzt.
Der Lohn: Am Mittwoch hat Bundestrainer Joachim Löw erklärt, dass der Schalker Keeper auch nach der WM die Nummer eins im Tor bleiben wird. Nicht nur in den EM-Qualifikationsspielen an diesem Freitag gegen Belgien (20.45 Uhr, Liveticker SPIEGEL ONLINE) und am Dienstag gegen Aserbaidschan. Sondern auch in den kommenden zwei Jahren, inklusive der Endrunde in Polen und der Ukraine - sofern Neuer seine Form hält. Doch davon ist auszugehen: Neuer kann mit Druck umgehen. Schon seine Bundesliga-Karriere hatte so begonnen. Selten stand ein junger Keeper derart im Blickpunkt der Öffentlichkeit.

Nationaltorhüter Neuer: Stärke in der Spieleröffnung, Schwächen in der Luft
Es war der 5. November 2006. Schalkes damaliger Coach Mirko Slomka hatte große Probleme mit seiner Mannschaft, es gab eine Cliquenbildung innerhalb des Teams, einen Interview-Boykott und viel schlechte Stimmung. Der als Cheftrainer noch recht unerfahrene Slomka wollte Stärke demonstrieren und setzte Stammtorhüter Frank Rost auf die Bank - ausgerechnet vor dem wichtigen Heimspiel gegen Bayern München. Dafür stellte er den damals 20-jährigen und noch unerfahreneren Neuer ins Tor, der bis dahin lediglich zwei Bundesliga-Partien absolviert hatte. Ein Affront für Rost. Obwohl Neuer patzte, beließ ihn Slomka im Tor - selbst als im nächsten Spiel der Uruguayer Gustavo Varela nach seinem Treffer gegen Gladbach demonstrativ über den gesamten Platz stürmte, um mit Rost zu jubeln. Neuer dankte es Slomka und spielte fortan eine überragende Saison.
Chance bekommen, Chance genutzt.
Seinen heutigen Stellenwert hat sich Neuer nie durch forsche Aussagen nach Spielen oder provokante Interviews erarbeitet. Ein Gehabe wie von Bremens Tim Wiese, der häufig öffentlichkeitswirksam seinen Einsatz fordert, ist ihm fremd. Der zurückhaltende Keeper weiß allein durch seine Qualitäten als Torwart zu überzeugen. Auch in der Nationalmannschaft. "Manuel Neuer hat eine hervorragende WM gespielt. Es war sein erstes großes Turnier, und es waren die ersten wichtigen Länderspiele. Da gab es überhaupt keine Zweifel an seiner Leistung", sagt Löw.
Schalke, Schalke, Schalke
Neuer ist bodenständig. Durch und durch Schalker. Geboren am 27. März 1986 in Gelsenkirchen. Aufgewachsen in Gelsenkirchen-Buer, unweit des Parkstadions. Sein Vater war aus Baden-Württemberg nach Gelsenkirchen gezogen, er wollte dort einen Friseurladen eröffnen, wurde später aber Oberkommissar bei der Polizei. Mit seiner Jugendclique, der "Buerschenschaft", von der er noch heute T-Shirts unter seinem Torwarttrikot trägt, besuchte Neuer junior regelmäßig das Schalker Stadion. Gespielt hat er nie für einen anderen Club als Schalke 04: Seit seinem fünften Lebensjahr in der Jugend. In der zweiten Mannschaft im Alter von 18 Jahren. Schließlich bei den Profis. Es folgte der Ruf der Nationalmannschaft. Und die Beförderung zur Nummer eins.
"Wenn ich weiter Leistung bringe, sehe ich keinen Grund, warum der Bundestrainer etwas ändern sollte", sagt Neuer. Für seine Verhältnisse eine fast schon unverschämt offensive Aussage. Löw hatte zuvor Neuers Konkurrenten Adler und Wiese zur gemeinsamen Nummer zwei erklärt und ihnen lediglich in Aussicht gestellt, bei Freundschaftsspielen das Tor zu hüten.
Neuer hat viele Fürsprecher. DFB-Sportdirektor Matthias Sammer lobt ihn bei jeder Gelegenheit. Und kaum eine Transferperiode vergeht, in der der Name Neuer nicht bei den großen europäischen Clubs gehandelt wird.

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Denn mit seinem Torwartstil fällt er auf. Nicht nur mit seinen Abwürfen, mit denen er Angriffe perfekt einleitet. Wie beim 4:1-WM-Erfolg gegen England, als er mit seinem Abschlag die direkte Vorlage zu Kloses 1:0 lieferte. Wenn er einen Gegenspieler direkt vor sich hat, wirkt Neuer wie ein Handballtorwart, der einen von außen geworfenen Ball aus nächster Nähe abzufangen versucht. Dann streckt er seine Glieder wie eine Spinne reaktionsschnell in alle Richtungen von sich - es hat etwas Spektakuläres. Das einzig Spektakuläre an ihm.
Bescheiden ist er trotzdem. Dem Magazin "Schalker Kreisel" sagte er einmal: "Als ich zum Beispiel in der C-Jugend spielte, war es mein Ziel, in die B-Jugend übernommen zu werden, denn diese Jungs durften Balljungen in der Arena sein."
Chance bekommen, Chance genutzt.