DFB-Gegner Ukraine "Wir haben keine Angst vor Deutschland"

Andriy Yarmolenko
Foto: Uefa/ dpaMykhaylo Fomenko ist ein Mann, der sich gerne im Hintergrund hält. Wenn der Nationaltrainer der Ukraine zu einer Pressekonferenz erscheint, dann mit einer Miene, die keine Rückschlüsse auf seinen Gemütszustand zulässt. Das Mastermind mit den grauen Haaren wirkt im Verborgenen.
Und so verwundert es kaum, wenn der 67-Jährige vor dem Deutschlandspiel lediglich sagen möchte: "Es wird ein schwieriges Spiel. Die Taktik bespreche ich mit meinen Spielern." Was ein zarter Hinweis darauf ist, dass der Fußballlehrer alter sowjetischer Prägung, stark beeinflusst vom legendären Walerij Lobanowskij, tatsächlich ausführlich reden kann: mit seinen Profis, aber nicht mit der Presse.
Aus dem Teamquartier, das der erste deutsche Gegner mitten in einem Fünf-Sterne-Hotel in der Universitätsstadt Aix-en-Provence bezogen hat, drang nach außen, dass Fomenko viele seine Fußballer zum Einzelgespräch gebeten hat. So wie es sein Mentor Lobanowskij gerne tat. Weil sich Fomenko für den Sonntag in Lille durchaus ausrechnet, die in der Defensive anfälligen Deutschen zu überrumpeln. Nur muss er dieses Vorhaben nicht öffentlich ausplaudern.

EM-Kader der Ukraine: Zwei Superstars, zwei Supertalente
Diesen Part hat Yevhen Konoplyanka übernommen. "Wir haben keine Angst vor Deutschland", sagte der 26-Jährige vor wenigen Tagen. Der Linksaußen vom FC Sevilla kann an guten Tagen den Unterschied ausmachen - wenn auch Rechtsaußen Andriy Yarmolenko ähnlich gut drauf ist. Aber alles auf zwei Flügelspieler abzuladen, könnte gegen den Weltmeister unterm Strich zu wenig sein.
Und dummerweise prasselt auf den europaweit umworbenen Yarmolenko gerade verdammt viel ein. Aber der 26-Jährige ist ja selbst schuld: Anfang Mai kam es im Ligaspiel zwischen den rivalisierenden Topklubs Dynamo Kiew und Schachtjor Donezk zu einer handfesten Prügelei, die ausgerechnet der Dynamo-Star mit einem absichtlichen Tritt gegen seinen Nationalmannschaftskollegen Taras Stepanenko von Schachtjor angezettelt hatte.
Und auch wenn vom Verbandschef bis zum Pressesprecher alle beschwichtigen und abwiegeln: Der Vorfall wirkt nach. Yarmolenkos Frau Irina gab sogar der Boulevardzeitung "Komsomolskaja Prawda" ein Interview zur Wiedergutmachung. Und was sagt Fomenko? "Die Jungs haben verstanden, dass sie sich als Einheit zeigen müssen. Wäre das gestern passiert, hätten wir ein Problem. Aber Zeit ist der beste Doktor."
Doch welche Heilwirkung hat der Fußball überhaupt in der Ukraine? Die Trennlinien auf dem Territorium und die Grabenkämpfe in der Gesellschaft sind offensichtlich, zumal der Krieg zwischen den prorussischen Rebellen und den Regierungstruppen im Osten des Landes trotz eines Waffenstillstands weiterschwelt.
Der Burgfriede ist brüchig
"Alle 46 Millionen Menschen in der Ukraine hoffen darauf, dass wir ihnen positive Emotionen und Freude schenken. In einer so schweren Zeit für unser Land warten die Ukrainer auf Siege der Nationalmannschaft", sagte Verbandspräsident Andrij Pavelko. Wie der Verband mitteilte, haben sich 8000 Ukrainer für die erste Partie in Lille ein Ticket gesichert, sogar 9000 wollen das letzte Spiel in Marseille gegen Polen sehen.
"Wenn wir ein gutes Turnier spielen, wird das über Jahre in Erinnerung bleiben", glaubt auch der prominente Fomenko-Helfer Andrij Schewtchenko, der sich vor allem als Mittler zwischen den beiden Blöcken sieht. "Alles was passiert ist, ist Vergangenheit", beteuerte der 39-Jährige. "Als die Spieler zur Nationalmannschaft kamen, zählten allein unsere Aufgaben und nicht die Probleme in den Klubs."
Doch viele halten den Burgfrieden zwischen den Fraktionen aus Kiew (fünf Spieler) und Donezk (acht) für brüchig. Denn es fehlt an Charakteren wie Schewtchenko, der allein aufgrund seiner Erfolge im Ausland ein Vorbild war. Und vielleicht auch an Typen wie Anatoliy Tymoshchuk, der mit 37 Jahren wieder einen Platz im Kader ergattert hat, obwohl er in Kasachstan nur noch in der zweiten Liga kickt.
Als er am Samstag in Lille zur Abschlusskonferenz kam, verkündete der ehemalige Bayern-Spieler: "Wir haben eine der vielleicht stärksten Gruppen in dieser EM, das sind alles Topmannschaften. Aber keine Mannschaft ist unbesiegbar. Nicht einmal Deutschland." Tymoshchuk dürfte allerdings wegen seines fortgeschrittenen Alters kaum in der Anfangself stehen.
"Er ist ein sehr wichtiger Mann für uns, gerade in der Kabine. Wenn er eingewechselt wird, bringt er seine Erfahrung auf den Platz", sagt Schewtchenko über Tymoshchuk: "Er weiß, wie man Spiele gewinnt, wie man die Mannschaft zusammenhält." Doch hier zeigt sich das ganze Dilemma: Der eine kann gar nicht mehr, der andere nur eingeschränkt auf dem Platz helfen.
Vielleicht ist Deutschlands Gruppengegner auch sich selbst ein Rätsel. In den Tests gegen Rumänien (4:3) und Albanien (3:1) zeigten sich Licht und Schatten. Vor allem Torwart Andriy Pyatov patzte teils grotesk - aber öffentliche Kritik gab es keine. Erst recht nicht von Mychailo Fomenko.