Hoffnungsträger Florian Wirtz beim DFB-Team Plötzlich auch noch Superdribbler

Florian Wirtz zählt zu den neuen Hoffnungsträgern beim DFB
Foto: Alexander Hassenstein / Getty ImagesDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Noch ein wenig schüchtern wirkte Florian Wirtz, als er neben den Endzwanzigern Matthias Ginter und Emre Can zur DFB-Presserunde Platz nahm. Während die Routiniers als Ausblick auf die Europameisterschaft 2024 in Deutschland von ihren Kindheitserinnerungen an die Heim-WM 2006 erzählten, saß Wirtz stumm daneben. Er, Jahrgang 2003, war beim »Sommermärchen« drei Jahre alt.
Auch ein großes Turnier hat Wirtz noch nicht gespielt – nun spülte ihn die Kadernominierung von Bundestrainer Hansi Flick auf einmal ins Rampenlicht, und das nicht nur als Mitläufer, sondern als Hoffnungsträger. Alles halb so wild, versicherte Wirtz: »Druck verspüre ich nicht.« Eine erwartbar geschliffene Antwort, die in den kommenden Wochen und Monaten einem Praxistest unterzogen wird.
Zurück auf die große Bühne
Dabei hat Wirtz eine lange Leidenszeit hinter sich. Acht Monate musste der Ausnahmekönner von Bayer 04 Leverkusen mit einem Kreuzbandriss pausieren, die Verletzung zählt zu den schwersten im Fußball. Um so beeindruckender ist, wie schnell Wirtz nach seiner Rückkehr im Januar zu alter Form gefunden zu haben scheint: In 13 Pflichtspielen war er bereits an acht Treffern direkt beteiligt, im Rückspiel gegen die AS Monaco hielt der Spielmacher Bayer fast im Alleingang in der Europa League. »Ich habe keine Schmerzen mehr«, sagte Wirtz. »Das Knie ist gut verheilt.«
Zu solch langen Verletzungspausen gehört in der Regel allerdings auch, dass es leistungsmäßig nicht ständig bergauf geht, es wird Rückschläge geben, gerade bei einem Spieler in Wirtz’ Alter.
Der Offensiv-Allrounder ist ein Frühentwickler, der in seiner Karriere bis zur Verletzung an keine echte Grenze gestoßen war. Seine Nachwuchstrainer erzählen über ihn, dass der junge Wirtz im Training jedes Spiel gewann – egal mit welchen Mitspielern sie ihn zusammensteckten. In der Bundesliga knackte niemand die Marke von 50 Einsätzen so jung wie er. Nun will sich auch das Nationalteam die Qualitäten Wirtz’ zunutze machen. Bisher stehen vier Kurzeinsätze für die A-Auswahl des DFB in der Vita des 19-Jährigen. Das macht in der Summe 77 Einsatzminuten – aber auch schon zwei Vorlagen.

Am Wochenende gewann Florian Wirtz mit Bayer Leverkusen noch gegen Joshua Kimmichs FC Bayern, im DFB-Team ist Kimmich nun Wirtz’ Kapitän
Foto: Martin Meissner / APSportlich, so ehrlich muss man sein, füllt der Spielertyp Florian Wirtz keine Lücke im DFB-Team. Der deutschen Nationalmannschaft mangelt es an tauglichen Außenverteidigern, defensiven Sechsern, einem Mittelstürmer mit Weltklassepotenzial. Wirtz ist nichts von alledem, er ist vielmehr das, was passiert, wenn die am Spanien der Guardiola-Barcelona-Ära orientierte DFB-Ausbildung auf eine herausragende Begabung trifft.
Wirtz kann in der Offensive jede Position spielen, die des Stürmers mit seinen 1,76 Meter Körpergröße aber eher im Stile eines vorgezogenen Spielmachers denn als klassische Nummer neun. Am liebsten bewegt sich der Leverkusener durch das offensive Mittelfeld, besetzt klug die Räume und spielt Pässe, die das Spiel beschleunigen.
Woher kommt die Dribbelstärke?
Seit Wirtz’ Rückkehr aus der langen Verletzungspause scheint sich sein Repertoire noch erweitert zu haben. »Dass er regelmäßig ins Dribbling geht und im Eins-gegen-eins an den Leuten vorbeikommt, das ist eine neue Qualität«, lobte Bundestrainer Hansi Flick seinen Hoffnungsträger. Das Statistikportal Fbref.com weist Wirtz anhand der kleinen Stichprobe an Einsätzen seit der Verletzung als einen Spieler aus, der unter den offensiven Mittelfeldleuten Europas zum besten Prozent bei den gewonnenen Offensivzweikämpfen zählt. So wirklich erklären kann sich Wirtz die neue Dribbelstärke nicht. »Ich habe nichts bewusst verändert«, beteuert er. »Ich habe immer noch die gleiche Idee von meinem Spiel.«
Die scheint zu genügen, um seine Förderer bei aller Vorsicht schon heute oft in Superlativen reden zu lassen. »Florian ist ein Geschenk für mich als Trainer. Er ist ein Spieler, der anders ist«, lobte Leverkusens Coach Xabi Alonso Wirtz unlängst in einem Interview mit der »Süddeutschen Zeitung« – und zog einen gewagten Vergleich: »Warum ist Messi so gut? Weil er weiß, wie und wann man einfache Pässe spielt.« Es gehe nicht immer darum, die brillanteste Aktion zu machen, sondern die beste und klügste. »Florian kann das. Deshalb ist er so gut.« Dass Wirtz auf der Wunschliste des FC Barcelona stehen soll, passt ins Bild.
Mit oder gegen Musiala?
Noch aber ist Wirtz kein Superstar, sondern »nur« ein hoffnungsvolles Talent. Eines, das auf seiner Position eine solch große Konkurrenz im Nationalteam hat, dass auch ein Stammplatz bei der Heim-EM 2024 kein Selbstläufer wird: Sein Vorgänger in Leverkusen, Kai Havertz, kommt für ähnliche Positionen infrage, Dortmunds Julian Brandt und Bayerns Jamal Musiala sowieso.
Mit Letzterem hätte Wirtz schon im Test gegen Peru am Samstag (20.45 Uhr, TV: ZDF) zusammen das Spiel gestalten sollen, ein Muskelfaserriss Musialas verhindert das allerdings. »Schade, dass Jamal verletzt abreisen musste«, befand Wirtz, der sich auf das Zusammenspiel mit dem Bayern-Topscorer bereits vorgefreut hatte. »Das hätte auf jeden Fall Spaß gemacht.« Spaß, und das spricht für Wirtz, ist eine Währung, mit der man beim DFB derzeit sehr gut punkten kann.