Doping im Fußball Die Mauer beginnt zu bröckeln
Jens Lehmann weiß es, Benno Möhlmann weiß es, Peter Neururer weiß noch viel mehr. Paul Breitner und Toni Schumacher wussten ohnehin schon immer Bescheid. Nur der frühere DFB-Arzt Wilfried Kindermann will von alledem nichts wissen. Das überrascht am meisten.
Denn eines sollte nach einer ganzen Reihe von Meldungen der vergangenen Tage eigentlich klar sein: Im bezahlten Fußball in Deutschland wurde gedopt und das nicht zu knapp. Zwar hat spätestens seit Toni Schumachers Buch "Anpfiff" von 1987 kaum jemand an dieser Tatsache gezweifelt, doch überraschenderweise gelang es bislang, das Thema fast vollständig aus der Öffentlichkeit herauszuhalten. Weder Sportler noch Trainer noch Funktionäre oder Ärzte hatten ein Interesse daran, den Fußball zu beschädigen - und viele Medien, die gut vom Sport leben, schon gar nicht.
Doch nachdem die Mauer des Schweigens im Radsport an einigen Stellen in sich zusammengefallen ist, beginnt es offenbar auch im Fußball zu bröckeln. Erst wies Paul Breitner, Weltmeister von 1974, darauf hin, dass auch hier gedopt werde, dann erinnerte sich Nationaltorhüter Jens Lehmann daran, dass er in seinen ersten Profijahren bei Schalke 04 bemerkt habe, wie Spieler das Aufputschmittel Captagon einnahmen. Das bestätigte in der vergangenen Woche auch der vielgereiste Trainer Peter Neururer, der sogar frühere Nationalspieler kennen will, die sich dopten - und darauf hinwies, das alles "nicht nur vom Hörensagen" zu wissen. Neben Schalke gerieten auch Rot-Weiß Essen und Alemannia Aachen unter Verdacht.
Seitdem melden sich täglich frühere Profis zu Wort, denen plötzlich auch einfällt, dass Captagon, Ephedrine und andere Substanzen in der Kabine kursierten. Benno Möhlmann, einst Bundesligaspieler bei Werder Bremen und heute Trainer bei Eintracht Braunschweig, will es bei Preußen Münster in der Zweiten Liga erlebt haben, Michael Krüger, künftig Coach des 1. FC Saarbrücken, in der gleichen Spielklasse bei Arminia Hannover. Der frühere Bayern-Spieler Jürgen Röber hatte zumindest davon gehört, nach seinen Angaben aber nie bei den Vereinen, bei denen er gerade spielte.
Heute beschuldigte mit dem früheren Braunschweiger Stürmer Uwe Nester erstmals ein Ex-Profi seine Trainer, ihm Dopingmittel verabreicht zu haben. Es dürfte kaum die letzte Aussage dieser Art sein, weitere Enthüllungen werden wohl in den kommenden Tagen folgen.
Die Art und Weise, auf die frühere Akteure über Doping berichten, erinnert verblüffend an das ganz frühe Stadium der Beichten im Radsport. Ja, man hat etwas gewusst, gehört, gesehen, hat aber selbst nie etwas genommen - und will auch nicht konkret werden, geschweige denn Namen nennen. Nur der frühere Nationaltorwart Schumacher und Krüger räumten ein, Captagon probiert zu haben. Man gibt das zu, was sich ohnehin kaum noch leugnen lässt - aber keinen Deut mehr. Kommt etwas Neues ans Tageslicht, wird sich der eine oder andere vielleicht auch daran erinnern. Wie Erik Zabel, Rolf Aldag oder Bjarne Riis.
Der DFB-Arzt hat nichts bemerkt
Auch manche Reaktion kommt einem unangenehm bekannt vor. Kaum hatte Neururer sein Wissen via "Sportbild" an die Öffentlichkeit gebracht, giftete Professor Kindermann, früher Chefmediziner des DFB: "Es ist ein Hammer, wenn er sagt, Ende der achtziger Jahre hätten fünfzig Prozent der Spieler gedopt. Das wird er nicht beweisen können." Kindermann, der 1990 die medizinische Betreuung der Nationalelf übernahm, ist sich sicher: "Zu meiner Zeit wurde ich nie von Spielern nach Dopingmitteln gefragt, und ich hatte nie das Gefühl, dass da was an mir vorbeiläuft." Obwohl regelmäßige Dopingkontrollen erst 1988 in der Bundesliga eingeführt wurden, fällt es Kindermann schwer, "an systematisches Doping in den achtziger Jahren zu glauben".
Nichts zugeben, was nicht bewiesen ist, alles auf Einzelfälle abwiegeln - es scheint, dass der Fußball vom Radsport schnell gelernt hat.
Noch fehlen trotz diverser Aussagen zwar Beweise und die Nennung von Namen, doch der Mythos, dass Doping im Fußball wenig nütze und deswegen auch nicht im großen Stil praktiziert werde, könnte bald zerbrechen. Natürlich verbessert kein Mittel die technischen Fähigkeiten eines Spielers, doch wer schon einmal ein Spiel in einer höheren Liga gesehen hat, hat möglicherweise bemerkt, wie schnell, laufintensiv und körperbetont dieser Sport ist. Ohne hervorragende Ausdauerwerte und einen robusten Körper kann kaum jemand seine Fähigkeiten am Ball umsetzen, seien sie noch so außergewöhnlich.
Nicht nur die Zweite Liga
In diesem Zusammenhang verwundert es nicht, dass bislang Mannschaften der zweiten Liga und Abstiegskandidaten der Bundesliga unter Verdacht geraten sind. Gerade solche Teams leben traditionell von Kampf und Laufbereitschaft, während sich die technisch brillanten und taktisch versierten Überflieger bei den Top-Mannschaften sammeln.
Was nicht bedeutet, dass es bei den reichen Clubs kein Doping gibt. Ein italienisches Gericht stellte kürzlich klar, dass zwischen 1994 und 1998 bei Juventus Turin planmäßig mit Epo gedopt wurde. Konsequenzen musste der Verein nicht befürchten, weil die Vergehen verjährt waren.
Angesichts des Milliardengeschäfts Fußball mit seiner auch erfolgsabhängigen Finanzierung über TV-Gelder wäre es naiv zu glauben, dass nur im Ausland und hierzulande nur in früheren Zeiten zu unerlaubten Mitteln gegriffen wurde. Die Aufdeckung hat gerade erst begonnen.