Doping im Fußball "Schärfer und hungriger"

Radsport und andere Ausdauerdisziplinen wie Triathlon sind dopingverseucht. Der Fußball gilt weitgehend als Hort der Tugend. Ist das Kickergewerbe wirklich sauber? Kritiker gehen eher davon aus, dass kaum etwas gefunden wird, da Kontrollen vergleichsweise selten sind.
Von Malte Oberschelp und Daniel Theweleit

Wenn Mitte der neunziger Jahre ein Profi zu Olympique Marseille wechselte, wurde er mit einem seltsamen Brauch begrüßt. Bernard Tapie, der damalige Clubboss, ehemalige Adidas-Chef und große Charismatiker, feierte ein bemerkenswertes Initiationsritual, bei dem jedem neuen Spieler erstmals die spezielle Behandlung zuteil wurde, die bei dem Champions-League-Sieger von 1993 üblich gewesen sein soll.

"Tapie hob sein Hemd am Rücken, und wartete auf einen Satz Spritzen mit 20 Nadeln, von denen eine in seinen unteren Rücken injiziert werden sollte. Dann streckte er die Arme, ballte die Fäuste und brüllte", schrieb Tony Cascarino, der 88-fache irische Nationalspieler 2003 in einer Kolumne der britischen Zeitung "The Times". Nach dem Chef sei dann der neue Spieler mit dem Medikament behandelt worden, das nach den Schilderungen Cascarinos "schärfer, energischer und hungriger auf den Ball" machte – die typische Wirkung eines Stimulans. Es soll in Marseille sogar einen speziellen Raum für diese Form der Medikation gegeben haben.

Der englische Nationalspieler Chris Waddle, der von 1989 bis 1992 in Marseille spielte, hat Cascarinos Schilderungen bestätigt. Und im Februar ist ein Buch mit dem Titel "Ich spiele nicht mehr" erschienen, in dem der französische Verteidiger Jean-Jacques Eydelie detailreich schildert, wie die regelmäßige Praxis der Injektionen in Marseille abgelaufen sein soll. Eydelie hat zwar keinen guten Leumund, da er einst für Tapie Bestechungsgelder an andere Clubs überbrachte, doch der Franzose Arsène Wenger, der heute den Londoner Club FC Arsenal trainiert, sagt zu Eydelies Vorwürfen: "Er spricht aus, was damals jeder in Frankreich dachte."

Olympique Marseille ist damit neben Juventus Turin der zweite europäische Club, dem systematisches Doping in den neunziger Jahren vorgeworfen wird. In Frankreich wurde nur nie ermittelt. Es ist unbekannt, was die Spritzen enthielten. "Bis heute weiß ich nicht, was es war", schreibt Cascarino. "Ich klammere mich an die Hoffnung, dass es legal war, aber ich bin mir zu 99 Prozent sicher, dass es das nicht war. Was auch immer es gewesen ist, meine Leistung verbesserte sich." Einen positiven Befund gab es nie.

Genau dies gilt im Fußball oftmals als hinreichender Beweis, dass tatsächlich nicht gedopt wird. Es ist sogar ein weit verbreiteter Glaube, dass verbotene Substanzen überhaupt keine Rolle spielen, zu vielseitig seien die Anforderungen an Körper und Geist. "Doping ergibt in diesem Sport keinen Sinn", sagt Thomas Pfeifer, der Mannschaftsarzt von Bayer Leverkusen und Vertreter der DFL in der Antidopingkommission des DFB. Pfeifer ist ein Mann mit polierter Glatze und einer sanften, Ruhe ausstrahlenden Stimme, die Vertrauenswürdigkeit suggeriert.

Seine Argumente jedoch sind keineswegs so klar und überzeugend. "Wer nicht mehr kann, wird ohnehin ausgewechselt, der Kader ist viel zu groß", sagt er und poltert: "Wer auf dem Spielfeld steht, muss auch 45 Minuten rennen können." Pfeifer verteidigt die Fußballer mit einer erstaunlichen Vehemenz. "In unserem Kontrollsystem kommt Doping früher oder später ans Licht, das würde ich einfach so behaupten", sagte er und bekräftigt: "In Deutschland würde ich für jeden Club meine Hand ins Feuer legen."

Der Spezialist für Knieoperationen ist sicher, dass alle Dopingfälle aus der ersten und zweiten Bundesliga "Verfahrensfehler" sind: ohne Rücksprache mit dem Mannschaftsarzt geschluckte Grippemedikamente, Haarwuchsmittel, versehentlich angewendetes Asthmaspray, verunreinigte Nahrungsergänzungsmittel oder Cannabiskonsum. Einen echten Dopingfall, in dem ein Spieler zweifelsfrei zum Zwecke der Leistungssteigerung verbotene Substanzen eingenommen hat, gibt es im deutschen Fußball tatsächlich nicht. Und solche Fälle sind auch im Weltfußball äußerst selten. Aber liegt das tatsächlich daran, dass Doping im Fußball sinnlos ist? Oder ist das Netz der Kontrollen den Methoden der Betrüger einfach nicht gewachsen?

"Dopingpraktiken lediglich verfeinert"

Raffaele Guariniello hat eine klare Meinung zu diesen Fragen. Der italienische Staatsanwalt ermittelte im spektakulären Dopingprozess gegen Juventus Turin und glaubt, dass der Gebrauch leistungssteigernder Mittel unter Fußballern durchaus verbreitet ist. "Die Dopingpraktiken wurden lediglich verfeinert", sagt der kleine Mann, der in einem abgedunkelten Büro im Justizpalast von Turin arbeitet. Seine Stimme surrt leise, manchmal huscht ein Lächeln über sein Gesicht. Die Indizienlage gegen Juventus war erdrückend, die Blutwerte legten ein systematisches Doping mit Erythropoetin nahe. Die unter den Kürzel Epo bekannte Lieblingsdroge der Radfahrer fördert die Produktion roter Blutkörperchen und führt zu stark verbesserten Ausdauerwerten. Positive Tests gab es trotz aller Hinweise bei Juve nicht. Denn es gibt Lücken im System.

"Früher wurden Medikamente benutzt, die zu medizinischen Zwecken entwickelt wurden, heute werden Substanzen allein zum Dopen hergestellt", sagt Toni Graf-Baumann, Vorsitzender des Dopingkontrollausschusses der Fifa. "Da gibt es ein mafiöses Business dahinter." Roland Augustin, Chef der deutschen Antidopingagentur Nada in Bonn, vermutet solche Labore im "Umfeld der russischen Kosmonauten". Chemisch sei da "relativ einfach was zu machen".

Lesen Sie morgen in der nächsten Folge der dreiteiligen Serie, wieso Betrüger leichtes Spiel haben.

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