Dortmunder CL-Sieg 1997 Triumph eines zerstrittenen Teams
Der größte Triumph der Clubgeschichte lag nicht gerade in der Luft, in dieser Bundesliga-Saison 1996/1997. Der Deutsche Meister kassierte neun Niederlagen, allein sechs davon in der zweiten Hälfte der Saison. Das Star-Ensemble um Neuzugang Paulo Sousa, der für sieben Millionen Mark vom Champions-League-Titelverteidiger Juventus Turin gekommen war, spielte die schlechteste Rückrunde in der sechsjährigen Amtszeit von Trainer Ottmar Hitzfeld. "Die Zeit" analysierte ein Jahr später: "Die mit selbstbewussten, aber oft maladen, nicht mehr ganz frischen Spielern gespickte Mannschaft hatte sich allmählich von ihrem Meistermacher Hitzfeld distanziert, war in Grüppchen zerfallen und im Grunde nur durch extreme Erfolgsanreize zusammenzuhalten." Die konstanteste Saisonleistung boten bezeichnenderweise jene Borussen, die sich in keines der Grüppchen oder Untergrüppchen einordnen ließen: Jürgen Kohler, Jörg Heinrich, Paul Lambert und Lars Ricken.
Der schwarz-gelbe Zweckverbund spielte nur noch im Europapokal auf höchstem Niveau. In den Gruppenspielen der Champions League traf der BVB auf Widzew Lodz, Steaua Bukarest und Atlético Madrid und beendete die Vorrunde als Gruppenzweiter. Die Mannschaft profitierte vom letztmals gültigen Modus, nach dem nur die Meister zugelassen waren. In Madrid siegte der BVB 1:0, obwohl er wieder einmal ersatzgeschwächt aufgelaufen war, wie so oft in dieser Spielzeit. Die beiden Manndecker Jürgen Kohler und Julio César und der österreichische Ersatz-Libero Wolfgang Feiersinger bremsten die Stürmer des spanischen Titelträgers.
Die spanische Sportzeitung "Marca" lästerte, die Borussen hätten "Zweckfußball" gespielt. Die Tageszeitung "El País" sekundierte: "Das Glück ist immer deutsch." Es waren die Ersatzhelden, die den späteren Triumph möglich machten. Matthias Sammer absolvierte in dieser Saison lediglich 13 Meisterschaftsspiele. Er wurde meist vom bereits 31-jährigen Feiersinger vertreten, der erst 48 Stunden vor dem ersten Bundesliga-Spieltag für 1,3 Millionen Mark von Casino Salzburg gekommen war.
Das Viertelfinal-Hinspiel gegen Auxerre (3:1) entschieden sogar zwei Spieler, die man ansonsten kaum zu Gesicht bekam: René Schneider, der es zuvor auf insgesamt 46 Saisonminuten im BVB-Trikot gebracht hatte, und der lange verletzte Ibrahim Tanko. Auch das Halbfinal-Hinspiel gegen Manchester United (1:0) gewann wieder mal eine typische Dortmunder Notelf, die in dieser Formation nie wieder auflaufen sollte.
Der Borussen-Fußball der Hitzfeld-Ära war von einer gewissen Schmucklosigkeit geprägt. Und keiner verkörperte diese Spielweise besser als ein ehemaliger Waldhof-Bub, der sein Zerstörerspiel wie Kunst zelebrierte. Der 20-jährige Lars Ricken, in dieser Champions-League-Saison der Mann für die entscheidenden Tore, hatte in Manchester in der 8. Minute das 1:0 erzielt. Dann tat sich der Himmel über dem Old Trafford auf und alles schien still zu stehen: Die Chronometer zeigten die 18. Spielminute, als Jürgen Kohler auf der Torlinie liegend einen Schuss aus nur drei Metern abblockte.
Einige Beobachter wollen zwar gesehen haben, dass der Franzose Eric Cantona das Kunststück fertig gebracht hatte, den Eisenfuß allein vorm verlassenen Tor anzuschießen. Doch in diesem Moment hatte Manchester verloren. "Jürgen Kohler, Fußball-Gott", riefen die mitgereisten Dortmunder Fans. Statt vor Cantona musste sich das englische Publikum anschließend vor Kohler verneigen, der das Spiel seines Lebens absolviert hatte, obwohl er während der 90 Minuten unter Magen- und Darmkrämpfen litt. Kohler sagte anschließend: "Dieses Spiel widme ich meiner neuen Freundin."
Die Verwerfungen bei Dortmund waren vor dem Finale am 28. Mai 1997 im Münchner Olympiastadion nicht mehr zu übersehen. "Zum größten Spiel des Jahres kommen etliche Beteiligte in Trauerkleidung", kommentierte die "Süddeutsche Zeitung". Vizepräsident Ernst G. Breer sagte, man könne "den großen Schnitt" schließlich nicht vorher machen. Doch die Mannschaft, die, so BVB-Profi Stefan Reuter "wie ein Zocker alles auf eine Karte gesetzt hatte" und ihren Bundesliga-Pflichten nur noch im Schongang nachgekommen war, hielt dem auf ihr lastenden Druck stand.
Mit auf dem Platz stand auch wieder Sammer. Sein Stellvertreter Feiersinger war nicht einmal für die Bank nominiert. Zwei Tore von Karl-Heinz Riedle (29. und 34.) schockierten den hohen Favoriten aus Turin. Da Zinedine Zidane nur den Pfosten traf und ein Treffer von Christian Vieri wegen Handspiels nicht anerkannt wurde, ging Dortmund mit einer 2:0-Führung in die Halbzeitpause.
Nach einem Hackentor von Alessandro del Piero (64.) schien das 2:2 nur eine Frage der Zeit, als Hitzfeld Ricken einwechselte. Das Dortmunder Eigengewächs stand gerade fünf Sekunden auf dem Rasen, da schickte ihn Andreas Möller mit einem genialen Pass gen Juventus-Tor. Ricken schaute nur kurz auf, um dann den Ball aus fast 30 Metern Entfernung über Angelo Peruzzi hinweg ins Tor zu lupfen.
TV-Kommentator Marcel Reif sagte: "Das muss man sich selber erstmal klar machen: Borussia Dortmund Champions-League-Sieger 1997. Gegen alle Widerstände von außen, sicherlich auch von innen." Wie genau er die Lage erfasst hatte, zeigte sich einige Wochen später: Hitzfeld, dessen Team im Dezember auch den Weltpokal gewinnen sollte, wurde auf den Posten des Sportdirektors weggelobt.
Sammer hatte nach dem 3:1-Erfolg noch im verschwitzten Trikot festgestellt: "Auch dieser Erfolg kaschiert nicht alles." Nicht mal zu einer Ehrenrunde hatte sich der Abwehrchef aufraffen mögen. "Hätten die Dortmunder verloren, wären sie pleite gewesen, und wir auf Jahre auf und davon", bilanzierte der damalige Bayern-Vizepräsident Fritz Scherer.
Borussia Dortmund - Juventus Turin 3:1 (2:0)
(28. Mai 1997, Olympiastadion in München)
1:0 Riedle (29.)
2:0 Riedle (34.)
2:1 Del Piero (64.)
3:1 Ricken (71.)
Dortmund: Klos - Kohler, Sammer, Kree - Reuter, Lambert, Sousa, Heinrich, Möller (89. Zorc) - Riedle (67. Herrlich), Chapuisat (70. Ricken), Trainer: Hitzfeld
Turin: Peruzzi - Iuliano, Montero, Ferrara, Porrini (46. Del Piero) - Jugovic, Zidane, Deschamps, Di Livio - Vieri (73. Amoruso), Boksic (88. Tacchinardi), Trainer: Lippi