Ex-Bundesliga-Trainer Stepanovic Mit 66 Jahren, da fängt das Lebbe an

Er war Fußballprofi, Kneipier und fast Meister. Er trainierte in Ägypten, China und den USA. Jetzt ist Dragoslav Stepanovic wieder da. Das Magazin "11FREUNDE" hat ihn bei seinem neuen Klub in Serbien besucht.
Fußballtrainer Stepanovic: "Vielleicht sterbe ich eines Tages auf dem Platz"

Fußballtrainer Stepanovic: "Vielleicht sterbe ich eines Tages auf dem Platz"

Foto: Gunnar Berning/ Bongarts/Getty Images

"Hallo und guten Tag, ich bin der Stepi", sagt Stepi, aber das weiß man natürlich sofort. Denn Stepi im Juli 2014 sieht aus wie: Stepi im Juli 1991. Er trägt immer noch Stepi-Schnurrbart, Stepi-Frisur, Stepi-Jeansjacke. Er spricht immer noch Stepi-Serbo-Hessisch. Nur die Haare sind ein bisschen grauer, beinahe weiß. Der Gang ist ein wenig gebückter und der Zigarillo fehlt. Vor ein paar Jahren hat er das Rauchen aufgegeben.

Doch Dragoslav Stepanovic ist wirklich 20 Jahre älter, und er hat noch mehr Geschichten auf Lager. Also fängt er einfach mal an zu erzählen: von seiner Jugend, der Hochzeit mit Jelena, den Spielerjahren bei Eintracht Frankfurt oder Wormatia Worms, den Trainerjahren in Leverkusen oder Bilbao, und natürlich der Beinahe-Meisterschaft mit Frankfurt, von Andi Möller, Uli Stein und Alfons Berg aus Konz, Lebbe geht weider.

Stepanovic kann die Pointen, er hat es alles tausende Male erzählt. Und wenn er doch mal was vergisst, erzählt Jelena die Geschichte zu Ende. Stepi war der Erste hier, der Beste dort, der Beckenbauer Serbiens. Stepi, Stepi, ach, mein Stepi. Sie könnten jetzt auch in Spanien am Meer liegen. Dort haben sie sich ein Haus gekauft, wo sie ihren Lebensabend verbringen wollten. Doch vor einigen Wochen rief Vidak Perovic an. Der Präsident des FK Radnički Niš sagte, dass er einen neuen Trainer brauche und sich dafür nur einen vorstellen könne: nicht Pep Guardiola, nicht José Mourinho, nur ihn, Dragoslav Stepanovic. The Special One aus Hessen fühlte sich geschmeichelt und packte seine Koffer. "Was sollte ich da tun?", fragt Jelena. "Ich kann nicht ohne Fußball", sagt Stepanovic.

Stepanovics Hochphase war schillernd - und kurz

Die großen Zeiten des FK Radnički sind lange vorbei. In den sechziger Jahren gaben die Fans dem Verein den Namen Real sa Nišave, Real vom Fluss Nišava, denn die Spieler zauberten auf dem Platz wie das "Weiße Ballett" aus Madrid. 1975 gewann der Klub den Balkanpokal, 1982 schaffte die Mannschaft den Einzug ins Uefa-Cup-Halbfinale, wo sie im Hinspiel den HSV sensationell 2:1 besiegte, das Rückspiel allerdings 1:5 verlor. Danach ging nicht mehr viel. Seit 2009 gab es elf Trainerwechsel in Niš.

Stepanovic sieht die Sache gelassen, natürlich. "Mich entlässt man nicht. Das hat noch kein Verein getan", hat er irgendwann Mitte der Neunziger mal gesagt. Danach taten es doch ein paar: Frankfurt, Athletic Bilbao oder AEK Athen. Manchmal ist er auch selbst gegangen, bei seiner vorletzten Station in Novi Sad zum Beispiel, wo er 2009 nach ein paar Monaten nicht mehr bezahlt wurde.

Stepanovic war da bereits lange aus dem Blickfeld der Bundesliga verschwunden. Er war eines von diesen Trainer-Fossilen geworden, von denen man glaubte, sie seien längst in Rente oder würden ihr Geld verdienen, indem sie Geschichten aus einer Zeit erzählen, als Verträge noch mit Handschlag besiegelt wurden. Stepanovics Hochphase in der Bundesliga mag schillernd gewesen sein, doch sie dauerte gerade mal dreieinhalb Jahre, bis 1996.

"Stepi, bist du verrückt, da gehst du nicht hin!"

Danach bekam er die Bundesliga nur noch aus der Ferne mit. Er sah das Verschwinden des Liberos und Tikitakafußball. Er sah, wie neue Stadien entstanden und wie sie voller wurden. Während Stepanovics Lebbe weiterging, schienen ganze Dekaden des Fußballs in einem Wahnsinnstempo an ihm vorbeizuziehen. Trotzdem verstand er nie so recht, warum ihn keine Top-Klubs mehr anriefen.

Eines Tages musste er erkennen, dass junge Trainer gefragt waren, Typen mit Sportwissenschaftsdiplom, kaum älter als die Spieler. Er musste erkennen, dass er vom modernen Fußball schlichtweg vergessen worden war.

Also trainierte er überall, wo er einen Job angeboten bekam. Mal Mannschaften in den Niederungen der deutschen Ligen, dann Teams in den USA oder Ägypten. Bei Shenyang Jinde in China bedrohten ihn Unbekannte kurz nach der Vertragsunterzeichnung mit Macheten, und seine Frau sagte: "Stepi, bist du verrückt, da gehst du nicht hin!" Doch Stepi sagte: "Am Ende ist's doch egal, wo ich sterbe, ob in Frankfurt oder in China."

Seit 1996 hat er es so auf zwölf Klubs gebracht. Manchmal ging er schon nach wenigen Wochen, nirgendwo blieb er länger als ein Jahr. Und zwischendurch? "Dies, das", sagt Stepanovic und zählt auf. Er trainierte bis vor kurzem ein Team für Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung. Er besuchte die Heimspiele seiner Eintracht. Er schrieb mit zwei Autoren ein Buch, das natürlich "Lebbe geht weider" heißt. Er sprach mit der "Bild", wenn etwas in seinem Privatleben passierte, wie neulich, als eine Schlange in seinem Pool gelandet war. Und natürlich saß er bei Sky oder bei Markus Lanz, wo die Gäste lachten, wenn Stepanovic in seinem Anekdotenschrank kramte.

"Du wirst für die Medien immer interessant sein!"

Nach diesen Auftritten ging es ihm gut und er dachte an den Journalisten, dem er 1966 nach seinem Debüt für OFK Belgrad sein erstes Interview gegeben hatte. "Du wirst für die Medien immer interessant sein!", hatte dieser gesagt. Den Satz merkte er sich. Vielleicht ist das ein bisschen sein Problem. Denn so gutmütig und herzlich Dragoslav Stepanovic ist, einen solchen Mann, der neben dem Fußball vor allem auch die Aufmerksamkeit vermisst, kann man problemlos überall dort hinstellen, wo ein bisschen Unterhaltung gebraucht wird. Wie ein Maskottchen.

Dann gibt es da noch seine Homepage stepiswelt.de. Während der WM erklärte er dort in selbstgedrehten Videoclips, wie die Teams spielen sollten. Er bietet Autogrammstunden ("Sie suchen einen charismatischen Fußballprofi? Dann sind Sie bei mir richtig!") oder Unternehmenscoachings ("Mit einer gelungenen Portion an Witz und Ernst vermittele ich Motivation!") an.

Am Nachmittag zeigt das Thermometer 38 Grad an. Im Schatten. Während seine Spieler vom Fitnesscoach gescheucht werden, sitzt Stepanovic auf einem Stein unter einem Baum. Als der Ball ins Spiel kommt, trottet Stepanovic über den Platz. Er ruft: "Unutra! Unutra!" Nach innen! Nach innen! Die meiste Zeit beobachtet er aber seine Spieler. Stepanovic sieht dann aus wie ein Junge, der zum ersten Mal etwas sieht, das er ganz außergewöhnlich findet. Den Mund leicht geöffnet, die Augen weit aufgerissen. Am Ende der Einheit klopft er ein paar Spielern auf die Schultern, gut gemacht. Auch deswegen ist er hier. "Ich sach ma so: Der Präsident möchte, dass ich deutsche und serbische Tugenden verbinde", sagt Stepanovic. Es gehe um Disziplin und Freude.

Er kann nicht loslassen

In ein paar Wochen wird Stepanovic 66 Jahre alt. Er plant seinen Tag mittlerweile minutiös. Zu Bett geht er um 22.30 Uhr, der Wecker klingelt um 6 Uhr. Früher hat er dann Nordic-Walking gemacht und sein Deuserband eingesteckt. Immer wenn er sich dehnen wollte, hat er das Band an Objekte in Bergen-Enkheim gespannt, an Gartenzäune Laternenmasten, kurz ein paar Beugen, weiter. Jetzt verbringt er den Morgen mit der Lektüre der internationalen Sportpresse. Auch deswegen glaubt Stepanovic, dass er heute noch einen Bundesligaverein trainieren könne. Er habe ja immer alles gelesen und gesehen. Er kennt jeden Spieler, jedes System, er spricht von falschen Neunern und einem klassischen 4-4-2.

Stepanovic wird nie wieder einen internationalen Topverein trainieren. Dennoch kann er nicht loslassen. Da ist diese Unruhe, diese Hoffnung, vielleicht muss er nur wieder die richtige Abbiegung finden, einmal etwas Glück haben, schon steht er wieder im Rampenlicht.

Wer hätte damals denn gedacht, dass er Frankfurt beinahe zum Titel führen würde? Er, der Wirt aus Bergen-Enkheim. Hallo und guten Tag, ich bin der Stepi. Und so wird auch nach Niš nicht Schluss sein. Es wird nie Schluss sein, solange der Kopf klar ist. "Vielleicht sterbe ich eines Tages auf dem Platz", sagt er. Lebbe wäre dann vorbei, doch es wäre gut gewesen.

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