Frankfurts Fredi Bobic "Wir sind eine Fabrik für die ganz großen Vereine"

Vor dem Europa-League-Halbfinale gegen Chelsea verrät Eintracht-Sportvorstand Fredi Bobic, wie man Spieler bekommt, die man sich gar nicht leisten kann. Und warum es ein Erfolg wäre, Stürmer Luka Jovic zu verkaufen.
Fredi Bobic, 47 Jahre alt, ist seit 2016 Sportvorstand bei Eintracht Frankfurt

Fredi Bobic, 47 Jahre alt, ist seit 2016 Sportvorstand bei Eintracht Frankfurt

Foto: Sascha Steinbach/EPA-EFE/REX

SPIEGEL ONLINE: Herr Bobic, wieviel Prozent des Erfolgs einer Saison sind planbar?

Fredi Bobic: Hundertprozentig planen können den Erfolg nur Klubs, die über sehr viele Mittel verfügen. Sie können dafür sorgen, dass sie immer in der Champions League spielen. Das sind in Deutschland aber nur Bayern und Dortmund. Wir bei Eintracht Frankfurt können sehr vieles gut durchdenken, aber wir brauchen auch immer etwas Glück. Dass sich ein Spieler schneller entwickelt, als man das erwarten konnte, etwa. Dass sich auf der psychologischen Ebene im Team etwas tut, das uns durch die Saison trägt. Man kann das nicht perfekt planen, nur in die Wege leiten.

SPIEGEL ONLINE: Sie stehen in der Bundesliga auf Rang vier und in der Europa League im Halbfinale gegen den FC Chelsea (21 Uhr/Liveticker bei SPIEGEL ONLINE, TV: RTL). Wie haben Sie diese Erfolge in die Wege geleitet?

Bobic: Wir achten bei unserer Spielerauswahl verstärkt auf den Faktor Mentalität. Wenn ich das kurz erklären darf: Ich war schon als aktiver Spieler immer mehr begeistert von Underdog Teams, die aus weniger Möglichkeiten das Optimum herausgeholt haben. Das muss kein Titel sein. Es kann auch bedeuten, dass ein Team die eigenen Fans mitreißt, indem es immer über die eigenen Grenzen geht. Im Zeitalter des HD-Fußballs, den es in der Champions League gibt, geht uns das heute etwas verloren. Natürlich sind das dort tolle Fußballer. Aber es ist irgendwie auch fast alles erwartbar für die Zuschauer. Wir bei Eintracht Frankfurt wollen ein Team sein, das überrascht. Und dafür brauchen wir Spieler mit einer besonderen Mentalität.

SPIEGEL ONLINE: Als Sie 2016 in Frankfurt angefangen haben, hatten Sie 2,5 Millionen Euro für Transfers zur Verfügung. Wie haben Sie daraus eine Mannschaft geformt, die drei Jahre später im Europa-League-Halbfinale steht?

Bobic: Mit Mut zum Risiko. Wirtschaftlich mussten wir uns überlegen, wie wir unser Budget steigern können. Hier ist der Sport der Treiber. Denn sportlicher Erfolg sorgt für den Aufbau von Spielerwerten, steigert das Interesse am Verein, was für weitere Geldflüsse von außen sorgt. Wir mussten versuchen, Spieler zu bekommen, die wir uns eigentlich gar nicht leisten konnten. Das haben wir über bestimmte Vertragskonstellationen wie Ausleihen geschafft, oder über Empathie, indem wir Spieler davon überzeugen konnten, sich in Frankfurt für die großen Klubs zu empfehlen. Darüber hinaus mussten wir Spieler in der Nische finden, die es noch nicht geschafft hatten. Wir brauchten dann Trainer, die bereit waren, diese Spieler auf eine neue Stufe zu heben. Kommt alles zusammen, entsteht sportlicher Erfolg, und damit steigert man Spielerwerte. Das ist der Frankfurter Weg.

Luka Jovic (l.) ist die Entdeckung der Frankfurter Saison: Der Serbe hat bereits 25 Pflichtspieltore erzielt

Luka Jovic (l.) ist die Entdeckung der Frankfurter Saison: Der Serbe hat bereits 25 Pflichtspieltore erzielt

Foto: Matthias Hangst / Getty Images

SPIEGEL ONLINE: Ihr Stürmer Luka Jovic war international kein unbekanntes Talent. Wie haben Sie ihn nach Frankfurt gelotst?

Bobic: Bei Luka war es einfach. Er war bei Benfica Lissabon komplett in der Versenkung verschwunden. Wir mussten nur das Risiko eingehen, auf ihn zu setzen. Aber wir haben geglaubt, sein Potenzial für uns aktivieren zu können. Der Vorteil war, dass er mit unserem damaligen Trainer Niko Kovac, mir und anderen Leuten im Klub in seiner Sprache kommunizieren konnte. Doch wir haben ihm auch klar signalisiert, dass wir ihm seine gefühlt letzte Chance bieten. Neulich hat er mal gesagt, wie er seine Entwicklung sieht: "Als ich nach Frankfurt kam, war ich ein Junge. Unter Kovac wurde ich zum Mann. Jetzt unter Adi Hütter kann ich mich voll ausleben", sagte er. Das ist dann der Idealfall.

SPIEGEL ONLINE: An Jovic sollen einige größere Vereine interessiert sein. Allerdings gibt es bei ihm auch eine undurchsichtige Geschichte. Aus den Football-Leaks-Daten geht hervor, dass Jovic schon ein Jahr vor seinem Wechsel von Belgrad zu Benfica im Februar 2016 von der Öffentlichkeit unbemerkt an den zypriotischen Klub Apollon Limassol verkauft  wurde. Ohne jemals für den Verein gespielt zu haben, wechselte er dann zu Benfica. Was heißt das für Eintracht Frankfurt bei einem möglichen Verkauf von Jovic?

Bobic: Das ist nicht unser Thema. Wir haben eine Vereinbarung mit Benfica getroffen. Sollten wir Jovic verkaufen, wird es Anteile für Benfica geben. Das ist ein ganz normales Geschäft. Wenn überhaupt, ist diese Geschichte das Thema von Benfica.

SPIEGEL ONLINE: Alles, was vor Jovics Zeit bei Benfica war, betrifft Frankfurt also nicht?

Bobic: Nein. Denn wir haben nur einen Vertrag mit Benfica. Und zwar einen üblichen. Deshalb interessiert mich auch nicht, was vorher war.

SPIEGEL ONLINE: Sie haben Jovic durch eine Kaufoption fest bis 2023 verpflichtet. Doch ist es realistisch, dass er nach 25 Pflichtspieltoren in dieser Saison wirklich in Frankfurt bleibt?

Bobic: Wenn es die Möglichkeit gibt, einen Spieler für eine große Summe zu verkaufen, dann können wir das gar nicht ausschlagen. Es ist Teil unserer Strategie, dass wir Spieler für deutlich mehr Geld verkaufen, als wir bezahlt haben. So finanzieren wir Eintracht Frankfurt. Wir sind eine Fabrik für die ganz großen Vereine. Wir produzieren, und sie kaufen uns die Leute weg. Das gab es ja auch schon bei Trainern. Also wäre es ein Erfolg, wenn Jovic bei uns toll spielt und dann für viel Geld geht.

SPIEGEL ONLINE: Was ist eine realistische Zukunftsprognose für einen Klub wie Eintracht Frankfurt mit einer solchen Strategie?

Bobic: Das Ziel ist, ein stabiler Bundesligist zu bleiben, der immer in den einstelligen Tabellenplätzen abschließt. Wir wollen oben angreifen und am liebsten in Europa spielen. Aber die Bundesliga muss uns demütig machen. Sie ist ein brutaler Verdrängungskampf. Was ich für die Zukunft vorhersagen kann: Wir werden nie Meister werden. Dafür sind die Machtverhältnisse in Deutschland zu zementiert. Aber wir werden uns ständig erneuern. Und wir sind ein Klub, der wächst.

Nach dem Sieg gegen Benfica Lissabon feiern Frankfurts Ante Rebic (l.) und David Abraham mit den Fans den Einzug ins Europa-League-Halbfinale

Nach dem Sieg gegen Benfica Lissabon feiern Frankfurts Ante Rebic (l.) und David Abraham mit den Fans den Einzug ins Europa-League-Halbfinale

Foto: Ralph Orlowski / REUTERS

SPIEGEL ONLINE: Kann man als Fußballverein auch zu schnell wachsen wie ein junges Unternehmen? Man hatte zuletzt das Gefühl, um Eintracht Frankfurt sei ein regelrechter Hype ausgebrochen.

Bobic: Vielleicht. Denn die Ansprüche wachsen mit. Dann heißt es nach einem 0:0 gegen Hertha wie am Wochenende, wir hätten 0:0 verloren. Wir müssen lernen, damit umzugehen. Bei unseren Fans aber merke ich: Sie sind eher dankbar dafür, dass es endlich mal Jahre ohne Abstiegsangst gibt. Und dass wir dazu besondere Momente in Europa schaffen konnten. Deswegen muss ich auch etwas schmunzeln, wenn ich lese: Was passiert, wenn Frankfurt jetzt das Halbfinale gegen Chelsea verliert und die Champions-League-Qualifikation verpasst? Alles, was jetzt noch kommt, ist Bonus. Es ist und bleibt ein Topjahr für uns, das uns keiner zugetraut hat.

SPIEGEL ONLINE: Was bedeutet das Europa-League-Halbfinale gegen Chelsea für Ihren Klub?

Bobic: Die Freude bei uns ist fast schon kindlich. Dieses Jahr in Europa hat Eintracht Frankfurt mal wieder scheinen lassen. Darauf dürfen wir stolz sein. Und wenn ich mir ansehe, wohin sich der Fußball entwickelt, dass die Geldverteilung so geregelt wird, dass irgendwann nur noch die Großen unter sich bleiben, dann wird es so eine Geschichte wie unsere vielleicht auch nicht mehr allzu häufig geben. Ajax Amsterdam ist noch ein aktuelles Beispiel, wie es anders laufen kann.

SPIEGEL ONLINE: Sehen Sie tatsächlich Parallelen zwischen Frankfurt und Ajax?

Bobic: Ja, Ajax begeistert in der Champions League, wir in der Europa League. Beide Klubs haben nicht die ganz großen Mittel und spielen trotzdem mit, auch wenn wir unterschiedliche Wege gehen.

SPIEGEL ONLINE: Chelseas Strategie ist so etwas wie das Gegenteil der Frankfurter: Der Klub kauft viele Spieler und leiht sie dann in alle Welt aus. Vor diesem Hintergrund der unterschiedlichen Machtverhältnisse, glauben Sie im Halbfinale wirklich an eine weitere Überraschung?

Bobic: Die Strategie von Chelsea kenne ich gut. Vor meiner Zeit in Frankfurt habe ich mich mehrfach mit den Verantwortlichen dort getroffen, um das Modell zu verstehen. Sie machen einen tollen Job. Aber warum sollen wir sie denn nicht schlagen können? Natürlich wird das schwer. Aber war bisher denn nicht alles schwer? Olympique Marseille, Lazio Rom, Inter Mailand, Schachtar Donezk, Benfica Lissabon? Und trotzdem haben wir es geschafft. Deshalb glauben wir daran, dass wir es jetzt auch gegen Chelsea schaffen können. Und wenn nicht, sagen wir trotzdem: Was für ein geiles Jahr!

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