Schweiz im Finale der Eishockey-WM Kein Wunder

Der Sieg der Schweiz im Halbfinale der Eishockey-WM wunderte Gegner Kanada mehr als das eigene Team. Das geht nun als selbstsicherer Außenseiter ins Finale gegen Schweden, um eine offene Rechnung zu begleichen.
Die Schweiz in Angriffslaune

Die Schweiz in Angriffslaune

Foto: imago

Der Vorplatz der Royal Arena in Kopenhagen ist dieser Tage ein beliebter Treffpunkt für Fernsehteams. Der Himmel ist stets blau, die Fassade der schicken Multifunktionshalle macht etwas her, und davor feiern Eishockey-Fans aus aller Welt in bunten Trikots oder noch bunteren Kostümen.

Auch am späten Samstagabend stand da ein Kameramann und filmte eifrig. Dabei gab es nur noch knapp 50 Schweizer zu sehen. Doch die sangen und hüpften, und wenn aus dem Seitenausgang der Arena einer ihrer Spieler kam, dann schrien sie und zückten ihre Handys, um den Moment festzuhalten. Denn die Schweiz steht nach einem 3:2-Erfolg über Kanada im WM-Finale.

Das ist nicht nur "eine super Möglichkeit, um Geschichte zu schreiben", wie Stürmer Timo Meier hinterher sagte. Das ist die größte Überraschung des Turniers. Eine Sensation ist das allerdings nicht, denn das Schweizer Eishockey hat sich enorm entwickelt. "Gute Arbeit im Nachwuchs, unglaubliche Coaches. Wir haben immer mehr Spieler, die nach Nordamerika in die Juniorenligen oder die NHL gehen", sagt Roman Josi, Kapitän des letztjährigen Stanley-Cup-Finalisten Nashville Predators. Neben dem Abwehrchef spielen mittlerweile 14 weitere Schweizer in der NHL. Zudem gilt die heimische Liga als eine der stärksten Europas.

NHL-Profis wieder für die Nationalmannschaft begeistert

Bereits vor fünf Jahren waren die "Eisgenossen" ins WM-Endspiel in Stockholm gestürmt. Damals hieß der Gegner genau wie heute Abend (20.15 Uhr; TV: Sport 1) in Kopenhagen Schweden. Und weil die Skandinavier 2013 5:1 gewannen, sagte Nino Niederreiter nun: "Wir haben mit Schweden noch eine Rechnung offen." Der wuchtige Stürmer von den Minnesota Wild stand damals in Stockholm auf dem Eis. Geblieben ist von dem Spiel nicht nur eine Sonderbriefmarke der Schweizerischen Post, sondern auch die Gewissheit, von nun an dazuzugehören, etwas schaffen zu können. Auch wenn die erste Euphorie nur ein Jahr später verflogen war.

Patrick Fischer

Patrick Fischer

Foto: GRIGORY DUKOR/ REUTERS

2015 übernahm Patrick Fischer das Traineramt. Smart, jung, mit der Gabe gesegnet, Menschen zu begeistern. Fischer machte sich gleich daran, den Charakter seines Teams zu ändern. Gegen die Größen des Welt-Eishockeys wollen sie nicht mehr bloß reagieren und auf einen guten Torhüter hoffen. Es brauche eine offensive Identität, gegen jeden Gegner. Das kam nicht überall gut an, weil die Ergebnisse zu selten stimmten. 2016 wurden sie nur WM-Elfter, diesen Februar schieden sie bei Olympia gar gegen Deutschland aus, den gern belächelten Rivalen. Fischers Stuhl wackelte.

"Die Medien waren nicht glücklich, aber ehrlich gesagt, ist es relativ egal, was die Medien sagen. Ich war nicht glücklich", sagt er nun drei Monate später in Kopenhagen. Wo nun alle glücklich sind. Spieler, Fans, Medien - sie liegen dem 42-Jährigen zu Füßen, weil er den Generationswechsel geschafft hat. Vom 2013er-Kader sind nur noch fünf Spieler dabei, dafür zwölf Neulinge. Und vor allem: Er hat die NHL-Profis wieder für die Nationalmannschaft begeistert.

Schweiz ist gern Außenseiter

Bis auf Jungstar Nico Hischier und Sven Bärtschi sind die großen Namen dabei: Allen voran Abwehrchef Roman Josi und Stürmer Nino Niederreiter, wegen seiner draufgängerisch Art "El Nino" genannt. Drei Tore und fünf Vorlage hat er in acht Spielen gesammelt. "Wir haben schon in der Gruppe gegen Tschechien (4:5 nach Penaltyschießen) und Russland (3:4) sehr gutes Eishockey gespielt", sagte er nach dem Sieg gegen Kanada. "Und als wir Frankreich schlagen mussten, um ins Viertelfinale zukommen, haben wir das souverän getan (5:1). Da wussten wir: Jetzt ist alles möglich.

Leonardo Genoni (l.) und Verteidiger Roman Josi (v.)

Leonardo Genoni (l.) und Verteidiger Roman Josi (v.)

Foto: Salvatore Di Nolfi/ dpa

Das zeigten die Schweizer im Viertelfinale beim 3:2 gegen Finnland. Auch danach war keine Zufriedenheit zu erkennen. "Wir sind noch nicht fertig", sagte Sven Andrighetto. Und er sollte Recht behalten: Mit Disziplin (nur eine Strafzeit), gutem Powerplay (zwei Tore) und einem überragenden Leonardo Genoni im Tor (43 Paraden) knackten sie nun den Favoriten Kanada. Der war zwar feldüberlegen, doch die Schweizer ließen wenige Großchancen zu. "Peinlich" sei das, sagte Kanadas Verteidiger Marc-Édouard Vlasic. Man dürfe niemals gegen die Schweiz verlieren.

"Das ist keine Sensation" sagte deren Stürmer Timo Meier weniger überrascht: "Wir wollen mehr, wir wollen die Goldmedaille." Zwar ist Schweden heute haushoher Favorit, aber das hat die Schweizer zuletzt auch nicht gestört. Hauptsache, sie selbst glauben dran.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten