Rollentausch im Mittelfeld: Sami Khedira nimmt im Nationalteam eine Position ein, die ihm vor zwei Jahren nur wenige zugetraut haben. Der Real-Madrid-Profi ist der neue Denker - und drängt Bastian Schweinsteiger in den Hintergrund.
Es war nur eine kurze Bewegung, die jedoch viel Aussagekraft hatte. Nach einer Stunde Spielzeit bedeutete Sami Khedira Bastian Schweinsteiger mit einem schnellen Handwinken, dass der Bayern-Profi in der Defensive bleiben solle. Khedira selbst nahm Tempo auf und lief bis in den gegnerischen Strafraum. Dort nahm er eine Flanke von Jérôme Boateng auf und bugsierte den Ball mit einem furiosen Volleyschuss ins griechische Tor. Das war das 2:1 - der Befreiungsschlag in diesem Viertelfinale.
Der 25-Jährige spielte in dieser Szene so, wie man es von Anführern einer Mannschaft erwartet. Er übernahm Verantwortung, ging einen weiten Weg für diese eine, wichtige Flanke und verwertete den Ball eiskalt. "Khedira ist eine wahre Führungspersönlichkeit. Er hat in dieser Hinsicht in den vergangenen Monaten noch mal enorm dazugewonnen", sagte Bundestrainer Joachim Löw nach dem 4:2-Erfolg gegen Griechenland über den Profi von Real Madrid.
Wasserträger für die Offensive
Dabei müsste Löw den Zeitraum für Khediras Leistungsschub eigentlich noch weiterfassen. Die rasante Entwicklung des gebürtigen Stuttgarters begann schon mit der WM 2010 in Südafrika und seinem anschließendem Wechsel zu Real Madrid. Vor dem damaligen Turnier in Südafrika galt Khedira noch als Ersatzspieler, als Option, falls Michael Ballack einmal ausfallen sollte. Als Ballack sich dann tatsächlich vor Turnierstart verletzte, rutschte Khedira in die Startelf.
In der öffentlichen Wahrnehmung war er damals der solide Läufer, der unauffällige Hintermann für die zaubernde Offensivabteilung um Mesut Özil und Thomas Müller. Er stopfte damals die Löcher in der Defensive, spielte aber seine eroberten Bälle schnell zu anderen Mitspielern ab.
Heute ist das anders: "Khedira ist bei diesem Turnier sehr dynamisch, sehr präsent. Es ist mittlerweile sehr schwer, gegen ihn im Zweikampf zu bestehen", sagt Löw. Der Madrilene ist der neue Denker im deutschen Team. Einer, bei dem die Fäden des Spiels zusammenlaufen.
Er macht damit alles das, was eigentlich Schweinsteiger zugedacht war. Weil der Münchner diese Rolle 2010 so annähernd perfekt ausgefüllt hatte - als er unter anderem mit Sololäufen die argentinische Abwehr im WM-Viertelfinale zerlegte. Bei diesem Turnier ist davon bisher wenig zu sehen gewesen. Gegen die überforderten Niederländer konnte sich Schweinsteiger in Szene setzen und zwei präzise Torvorlagen auf seinen Teamkollegen Mario Gomez geben, aber in den übrigen Spielen war er wie der Khedira von 2010, der Unauffällige.
Der dazu noch ungeahnte Schwächen offenbart. Gegen die Griechen verursachte er allein in der ersten Halbzeit vier unnötige Fehlpässe, die zu Konterversuchen führten. "Vielleicht hat er noch ein paar körperliche Probleme", sagte Innenverteidiger und Teamkollege Holger Badstuber.
Schweinsteiger, in der abgelaufenen Saison immer wieder mit Verletzungen kämpfend, trainierte auch in der vergangenen Woche nur unregelmäßig mit der Mannschaft. Stattdessen arbeitete er mit den Physiotherapeuten an seiner individuellen Verfassung.
Khedira trägt Schweinsteiger durch das Turnier
"Khedira ist derzeit auch sehr wichtig für diejenigen, die um ihn herum spielen", sagt Löw - und wird damit vor allem Schweinsteiger meinen. Während der Münchner sich nach dem Dänemark-Spiel über seine Müdigkeit beschwerte, lief Khedira mit breitem Grinsen zu dem Bus, der das Team zum Flughafen brachte. Von Erschöpfung war bei dem Mittelfeldspieler nichts zu sehen.
Khedira bestritt in der vergangenen Primera-Division-Spielzeit 28 Matches, dazu noch acht in der Champions League. Er gilt bei den Königlichen als Stammspieler mit hohem Einfluss innerhalb der Mannschaftshierarchie. "Ich mag es, Verantwortung zu übernehmen", hatte er bereits im Trainingslager der Nationalmannschaft im französischen Tourettes gesagt.
Die Rolle des Mitläufers, die er in den vergangenen Jahren beim DFB-Team inne hatte, hat ihn nie zufriedengestellt. Khedira ist einer, der in die erste Reihe drängt. Schon bei der U21-Nationalelf war er der Kapitän - aber als er noch in der Bundesliga beim VfB Stuttgart aktiv war, gehörte er zu den unterschätzten Nationalspielern.
Seitdem hat Khedira einen großen Sprung in seiner persönlichen und sportlichen Entwicklung gemacht. Derzeit ist Schweinsteiger sein Backup. Die Rollen sind getauscht im deutschen Mittelfeld.
Lockere Stimmung: Bei der Platzbegehung vor dem Viertelfinale zwischen Deutschland und Griechenland im Stadion von Danzig wirkten die deutschen Nationalspieler gelöst.
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Miroslav Klose (rechts) durfte gegen Griechenland von Beginn an stürmen. Bundestrainer Joachim Löw schenkte dem Lazio-Stürmer das Vertrauen und setzte dafür Mario Gomez auf die Bank.
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Selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel wollte sich das Viertelfinale zwischen Deutschland und Griechenland nicht entgehen lassen. Extra für die Partie war sie nach Danzig gereist, um die DFB-Elf live im Stadion anzufeuern.
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Kurz vor dem Anpfiff: Das deutsche Trainergespann um Joachim Löw und Co-Trainer Hansi Flick präsentiert sich als Einheit beim Singen der Nationalhymne.
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Deutschland startete furios: Bereits nach vier Minuten...
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...zappelte der Ball das erste Mal im Tor der Griechen. Klose (links) stand bei seinem Abschluss allerdings knapp im Abseits - der Treffer zählte nicht.
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Deutschland bestimmte das Spiel: Auch Sami Khedira suchte den Abschluss. Sein Schuss ging aber deutlich über das Tor der Griechen, die sich kaum aus der eigenen Hälfte befreien konnten.
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Der Bundestrainer durfte nach der guten Anfangsphase seiner Elf zufrieden sein. Einzig ein Treffer fehlte noch.
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Im Mittelfeld wirkte Bastian Schweinsteiger unsicher. Der Bayern-Profi hatte weniger Probleme mit den harmlosen Griechen (hier im Duell mit Giannis Maniatis), dafür unterliefen ihm mehrere leichte Fehlpässe.
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Mesut Özil hatte in der 23. Minute die bis dahin beste Chance für das deutsche Team. Der Mittelfeldspieler von Real Madrid scheiterte allerdings aus kurzer Distanz am Torhüter der Griechen.
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Deutschland rannte gegen das Abwehrbollwerk der Griechen an: Selbst Kapitän Philipp Lahm hielt es nicht mehr in der eigenen Hälfte. Mangels Beschäftigung in der Defensive...
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...schaltet sich der Bayern-Profi immer wieder im Angriff der DFB-Elf mit ein. Mit Erfolg! In der 38. Minute zog Lahm aus knapp 18 Metern ab...
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...und traf zum 1:0 für Deutschland! Jubelnd drehte Lahm ab. Marco Reus (rechts) konnte den Torschützen kaum stoppen.
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Die Erleichterung und die Freude bei den deutschen Spielern war groß: Lange rannte die DFB-Elf in der ersten Hälfte ohne Erfolg gegen das Abwehrbollwerk der Griechen an, bis Lahm mit seinem Schuss für die Führung sorgte.
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Schock nach der Pause: Mit der gefühlt ersten Torchance kam Griechenland nach einem Konter durch Giorgos Samaras in der 55. Minute zum Ausgleich.
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Der Jubel nach dem Ausgleich war bei den Griechen groß. Doch Deutschland ließ sich nicht beeindrucken. Kurz nach dem Gegentreffer...
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...traf Sami Khedira per Volley zur erneuten Führung (61.) für die DFB-Auswahl. Boateng hatte das Tor mit einer Flanke von der rechten Seite vorbereitet.
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Es war wie eine Befreiung für die deutsche Mannschaft. Dementsprechend fiel auch der Jubel von Khedira aus.
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Und Deutschland legte nach! Sieben Minuten nach der Führung durch Khedira traf Miroslav Klose nach einer Ecke per Kopf zum 3:1.
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Die Entscheidung: Marco Reus knallt den Ball in der 74. Minute zum 4:1 für Deutschland ins Tor der Griechen.
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Der Jubel bei Reus war nach seinem Treffer groß. Als erstes gratulierte Mesut Özil zum Tor des Noch-Gladbachers.
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Für den Endpunkt sorgte Dimitris Salpingidis: Nach einem Handspiel von Boateng verwandelte der Grieche per Handelfmeter zum 2:4 aus griechischer Sicht.
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Der Jubel kannte bei den deutschen Nationalspielern nach dem Abpfiff keine Grenzen.
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Reus und Boateng führten noch während des Spiels einen Freudentanz auf.