Edelreservisten Höwedes und Draxler Auf der Bank geparkt

Julian Draxler (l.), Benedikt Höwedes
Foto: imago/Sportfoto RudelZu den unumstößlichen Wahrheiten des Sports gehört der Satz: Da, wo es Gewinner gibt, gibt es auch immer Verlierer.
Im abschließenden Gruppenspiel gegen die Nordiren hat Mario Gómez sein erstes Spiel gemacht und das einzige und entscheidende Tor geschossen. Auch Joshua Kimmich stand erstmals bei der EM auf dem Platz, und alle waren begeistert. Julian Draxler und Benedikt Höwedes wird es schon eine gewisse Überwindung gekostet haben, diese Begeisterung zu teilen. Beide haben ihren zuvorigen Startelfplatz eingebüßt.
Der Weg hinaus aus der Anfangsformation auf die Bank ist im Laufe eines Turniers schon häufig eine nachhaltige Maßnahme gewesen. Per Mertesacker und Lukas Podolski haben das zum Beispiel bei der WM in Brasilien erfahren, beide waren nicht mehr von Beginn an dabei, als es ab dem Viertelfinale um die ganz großen Spiele ging. Mario Gómez war bei der EM vor vier Jahren der Leidtragende, als er nach drei durchaus erfolgreichen Gruppenspielen aus der Startelf flog.
Jetzt profitiert Gómez von der Offensivflaute aus der Partie gegen Polen und daraus, dass Nordirland eine Mannschaft war, gegen die auch ein klassischer Mittelstürmer ein Mittel zum Erfolg war. Da auch die Slowakei taktisch ähnlich defensiv erwartet wird, dürfte Gómez auch am Sonntag in Lille (18 Uhr, High-Liveticker SPIEGEL ONLINE; TV: ZDF) seine Chancen bekommen.
Draxler droht dauernde Zuschauerrolle
Draxler wird wieder von draußen zusehen, und es ist wahrscheinlich, dass dies auch im weiteren Turnierverlauf sein Schicksal sein wird - falls es einen weiteren Turnierverlauf gibt. Der Wolfsburger hat gegen die Ukraine und die Polen kaum Durchschlagendes zuwege gebracht. Draxler war der Nutznießer vom Ausfall des Dortmunders Marco Reus, der ihm auf der linken Offensivseite ansonsten zweifellos vorgezogen worden wäre.
Gegen Nordirland hat es der Bundestrainer mit Mario Götze hinter Gómez probiert, aber für das Slowakei-Spiel ist auch Podolski eine denkbare Option. Das gilt gegebenenfalls auch für folgende Runden. Draxler hat seine Chance gehabt. Er hat sie nicht genutzt.
Bei seinem früheren Gelsenkirchener Teamkollegen Benedikt Höwedes sieht das anders aus. Der Schalke-Kapitän hat intern und in der Öffentlichkeit gepunktet, indem er die Aufstellung von Kimmich auf der Position des Rechtsverteidigers als "richtige Entscheidung" akzeptiert hat. Er könnte jetzt rascher als gedacht in die Startelf zurückkehren, wenn Jérôme Boatengs Wadenverletzung sich als hartnäckiger erweisen sollte. Dann würde Höwedes neben Mats Hummels in der Innenverteidigung agieren, so wie er es gegen die Nordiren schon die letzte halbe Stunde getan hat und wo er sich ohnehin am wohlsten fühlt.
Statt Kimmich für Höwedes hieße es dann also Kimmich und Höwedes - für die Slowakei kann man sich das gut vorstellen. Für die dann drohende Spitzenpartie gegen Spanien oder Italien im Viertelfinale wird Joachim Löw neu denken und planen. Kimmich wird eventuell gegen die Slowaken schon zeigen können und müssen, was er in der Rückwärtsbewegung kann, wie sehr er den Flügel auch gegen gegnerische Angriffe abdichtet. Nordirland hatte ihn in dieser Hinsicht nicht gefordert.
Kimmich muss defensiver denken
Eine so offensive Ausrichtung, wie sie der junge Bayernprofi gegen die Nordiren demonstrierte, wird man sich gegen Spanier und Italiener nicht erlauben können. Das weiß Kimmich selbst: "Gegen die Nordiren habe ich relativ hoch stehend gespielt, so etwas ist natürlich vom Gegner abhängig." Wenn der Einser-Abiturient dieses theoretische Wissen jetzt praktisch umsetzt, dann wäre er auch für die großen Aufgaben ab dem Viertelfinale der richtige Mann für den Bundestrainer.
Und davon ist auch Mario Gómez abhängig. Der Stürmer braucht Flanken, die bekommt er von Kimmich, von Höwedes eher nicht. Der wiederum wäre aber eben der bessere Abwehrmann. Wie auch immer Löw sich auf dieser Position entscheidet: Er geht in beiden Fällen ein gewisses Risiko ein.
Benedikt Höwedes hat bis zur Partie gegen die Nordiren neun Turnierspiele am Stück von der ersten bis zur letzten Minute durchgespielt. Löws Standardsatz zu ihm: "Ich weiß, was ich an ihm habe." Für ihn ist das EM-Turnier noch lange nicht vorbei. Julian Draxler könnte ein bisschen neidisch werden.