Tragischer Held Aaron Ramsey Der Prinz von Wales

Aaron Ramsey zwischen Kevin De Bruyne und Radja Nainggolan
Foto: DENIS CHARLET/ AFPAusgangslage: Es war das erste Viertelfinale für Wales bei einem großen Turnier nach dem 0:1 gegen Brasilien bei der WM 1958. Belgien konnte auf etwas mehr K.o.-Spielerfahrung zurückgreifen, hatte aber auch schon seit 30 Jahren kein Halbfinale mehr erreicht. Während Wales in Bestbesetzung antreten konnte, musste Belgiens Trainer Marc Wilmots auf zwei weitere Verteidiger seiner ohnehin schon dezimierten Defensive verzichten: Thomas Vermaelen (Barcelona) war gesperrt, Jan Vertonghen (Tottenham Hotspur) verletzt.
Das Ergebnis: 3:1 für Wales. Hier geht es zum Spielbericht.

Wales vs. Belgien: Sieg des Außenseiters
Die erste Hälfte: Sehr unterhaltsam. In einer einzigen Szene hatte Belgien in der siebten Minute mehr Großchancen als Polen und Portugal bei ihrem 120-Minuten-Sleepover am Vortag zusammen: Yannick Carrasco scheiterte an Keeper Wayne Hennessey, der erste Nachschuss von Thomas Meunier wurde auf der Linie geblockt, der zweite Nachschuss von Eden Hazard von einem Abwehrspieler über die Latte gelenkt. Wales konnte sein Glück kaum fassen, lag aber trotzdem sechs Minuten später zurück. Ein Linksschuss von Radja Nainggolan schlug aus 28 Metern im linken Torwinkel ein. Dann aber nahm Wales das Spiel in die Hand: Mehr Ballbesitz, mehr Torschüsse, und der verdiente Ausgleich: durch eine Eckenvariante und Kapitän Ashley Williams (dazu gleich mehr).
Wie in der Bezirksliga: Oft sieht man das im internationalen Spitzenfußball nicht. Bei einer walisischen Ecke in der 30. Minute standen vier Waliser an der Strafraumgrenze hintereinander wie eine Viererbob-Crew. Im Amateurfußball gerne genommen, um Manndeckungen bei Ecken zu erschweren. Aber in einem EM-Viertelfinale? Der Trick klappte jedenfalls: Gareth Bale und zwei weitere Waliser sprinteten Richtung Tor, als Aaron Ramsey den Ball in den Strafraum schlug. So dachte niemand mehr an Kapitän Ashley Williams. Der konnte fast im Stand das 1:1 köpfen. Auch, weil Kevin De Bruyne so verwirrt war, dass er seinen zugewiesenen Platz am kurzen Pfosten verließ.
Die zweite Hälfte: Belgien begann zunächst wieder stärker, Romelu Lukaku vergab eine sehr gute Kopfballchance kurz nach Wiederanpfiff. Aber in der 55. Minute bediente Ramsey von rechts Hal Robson-Kanu. Gleich drei Belgier antizipierten eine Bewegung des Stürmers weg vom Tor und machten ihm die Schussbahn auf. So schloss der Angreifer, dessen Vertrag beim Zweitligisten Reading nicht verlängert worden war, zum 2:1 ab. Belgien kam kaum zu klaren Chancen und verlegte sich auf von Panik gezeichnete Halbfeldflanken. Dafür machte der eingewechselte Sam Vokes fünf Minuten vor Schluss sogar noch das 3:1, mit einem Kopfball nach Flanke von Chris Gunter.
Wales I love you- I absolutely LOVE YOU ❤️❤️❤️❤️❤️❤️❤️❤️❤️❤️❤️❤️❤️❤️❤️❤️❤️❤️❤️❤️❤️❤️❤️❤️❤️❤️❤️❤️❤️❤️❤️❤️❤️❤️❤️❤️❤️❤️❤️❤️❤️❤️❤️❤️❤️❤️❤️
— Manic Street Preachers (@Manics) July 1, 2016
Der tragische Held: Belgien, so hieß es vorher, habe Angst vor Gareth Bale. Aber es war nicht Bale, sondern Aaron Ramsey, der in Lille alle überragte. Die ersten beiden Tore seiner Mannschaft bereitete der Arsenal-Spieler vor. Aber in der 75. Minute sah Ramsey für ein Handspiel die Gelbe Karte von Schiedsrichter Damir Skomina. Damit ist er im Halbfinale gegen Portugal (Mittwoch, 21 Uhr, High-Liveticker SPIEGEL ONLINE) gesperrt. Das kann den Finaleinzug kosten.
Auf den Trainer kommt es an: Als Belgien am ersten Spieltag des Turniers 0:2 gegen Italien verlor, sprachen viele von einem Sieg der besseren Taktik. Das stimmte, war aber noch verzeihlich. Immerhin ist Antonio Conte einer der besten Trainer der Welt. Dass Coach Marc Wilmots aber gegen Chris Coleman und Wales seine taktischen Grenzen aufgezeigt bekommt, das war bitter und nicht zu entschuldigen. Wilmots fand die gesamte zweite Hälfte über kein Mittel, wie seine Mannschaft Chancen für die Superstars De Bruyne, Hazard und Lukaku herausspielen sollte. Die einzig gute Nachricht: Belgiens Startelf war die jüngste, die seit fast 50 Jahren bei einem EM-Spiel auflief. Wilmots' Nachfolger kann noch etwas mit diesem Team erreichen.