Deutschland bezwingt Italien Finito!

Trauma überwunden, grenzenloser Jubel - das Viertelfinale gegen Italien wird das DFB-Team wohl nie wieder vergessen. Trotzdem zeigt die deutsche Mannschaft eine ähnliche Demut wie schon bei der WM 2014.
Jubelnde DFB-Spieler

Jubelnde DFB-Spieler

Foto: Federico Gambarini/ dpa

Wenige Sekunden, nachdem Jonas Hector als neunter Schütze angelaufen und seinen Elfmeter im italienischen Tor versenkt hatte, drehten auf dem Spielfeld alle durch. Die meisten deutschen Spieler rannten zu Hector, sie begruben ihn unter sich. Die Ersatzspieler des DFB-Teams schmissen sich gegenseitig auf den Boden, sie jubelten wie kleine Kinder. Sogar der deutsche Mannschaftsarzt, Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, baute sich auf und wedelte mit seinen Fäusten in Richtung Publikum. Er sah wenige Augenblicke lang aus wie Brad Pitt in seiner Rolle als Achilles in Troja. Müller-Wohlfahrt ist 73 Jahre alt.

Die Nacht in Bordeaux gab nicht nur dem deutschen Spitzenarzt neue, jugendliche Kraft. Sie belebt auch die deutsche Fußballgeschichte. Denn dieses gewonnene Viertelfinale (7:6 nach Elfmeterschießen) wird in die Historie eingehen als das Ende eines Traumas: Zum ersten Mal gelang es einer deutschen Nationalmannschaft, ein italienisches Team aus einem internationalen Turnier zu schmeißen. Finito!

Löw dechiffriert Italiens Code

"Wir wussten, dass das ein schweres Spiel wird. Aber wenn man dann da unten steht, merkt man erst, wie hart die Arbeit wirklich ist", sagte Mats Hummels nach der Partie. Bundestrainer Joachim Löw hatte dies bereits vor dem Spiel geahnt und deshalb das deutsche Team erstmals bei dieser Europameisterschaft elementar umgebaut: Dreier- statt Viererkette, der gegen die Slowakei noch so starke Julian Draxler auf der Bank, Benedikt Höwedes dafür wieder zurück in der Startelf.

"Das Spiel der Italiener ist super, aber auch leicht berechenbar", sagte Löw nach der Partie. Er wollte mit der veränderten Aufstellung auf eine taktische Variante der Italiener reagieren: Die "Squadra Azzurra" spielt sehr gerne über die Außenpositionen ins Zentrum, wo ein Spieler den Ball prallen lässt und anschließend die Stürmer in die Tiefe geschickt werden. "Das wollten wir verhindern", sagte Löw.

Es gelang dem deutschen Team recht gut, die italienische Mannschaft hatte aus dem Spiel heraus nur wenige kleinere Chance. Der erste Gegentreffer für die DFB-Elf bei diesem Turnier resultierte dann auch aus einem unglücklichen Handspiel von Jérôme Boateng und einem anschließenden Elfmeter. "Ansonsten haben wir fast alles umgesetzt, was wir uns vorgenommen haben. Uns hat manchmal im Angriff lediglich etwas die Ruhe gefehlt, um den allerletzten Pass auch noch sauber auszuspielen", sagte Toni Kroos.

Italien-Trauma nach "Nervenschlacht" überwunden

Am Ende musste dann das Elfmeterschießen herhalten. "Das war eine Nervenschlacht", sagte Manuel Neuer. Der Welttorhüter sprach später wahlweise auch noch von einem "Drama" oder einem "Krimi". Sein Gesicht war vollkommen farblos, während er seine Einschätzungen von sich gab. Auch Neuer, der zwei Elfmeter der Italiener hielt, war klar, dass "wir hier mit sehr viel Glück gewonnen haben". So ist das immer im Elfmeterschießen.

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Deutschland gegen Italien: Sieg nach Elfmeterkrimi

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Beinahe jeder deutsche Spieler wirkte nach der Partie angefasst, mancher sogar leicht neben der Spur. Julian Draxler, der seinen Elfmeter am sichersten von allen Spielern verwandelte, sagte, er habe "sehr zittrige Beine gehabt. Das war die bislang größte Drucksituation in meinem Leben. Ich habe einfach nur versucht, den Ball irgendwie aufs Tor zu bekommen".

Toni Kroos, der ebenfalls starke Nerven vom Elfmeterpunkt bewies, sagte: "Gut, wir haben unser Italien-Trauma oder wie man das nennen will, jetzt also endlich besiegt. Das ist schön. Aber was können wir uns dafür kaufen? Wir sind in diesem Turnier nur einen Schritt weiter gekommen, aber noch nicht an unserem Ziel." Es klang fast genau wie die Analyse, die Kroos nach dem 7:1-Erfolg im Halbfinale über Brasilien von sich gegeben hatte.

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Deutschland gegen Italien: So haben die Fans gefeiert und gelitten

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Während das DFB-Team vor dem EM-Halbfinale 2012 noch vollkommen euphorische Kampfansagen (Marco Reus: "Der Titel kann nur über uns gehen") von sich gab, ist seit dem WM-Sieg über Brasilien eine merkliche Demut in der Mannschaft eingekehrt. Dieses Löw-Team ist mittlerweile mehr denn je zu einem Ergebnisfußball-Monster geworden. Die Mittel für den Sieg sind der Mannschaft vollkommen gleichgültig.

"Das hat mich heute am meisten beeindruckt: Wir haben immer einen kühlen Kopf behalten, sind nie von unserer Linie abgewichen, kein Einziger", sagte der Teammanager Oliver Bierhoff. Auch das ist ein wichtiger Aspekt: Unabhängig von der Aufstellung oder der Taktik zeigt das DFB-Team eine große Disziplin. Und zwar jeder einzelne Spieler. "Wir müssen aber weiter fokussiert und gierig bleiben. Das Turnier wird jetzt erst heiß", sagte Müller.

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