Kroatiens Sieg gegen Spanien Like it's 1998

Kroatien hat mit einer neuen Fußballgeneration den amtierenden Europameister Spanien besiegt. Gelingt der Mannschaft ein Coup wie bei der WM 1998?
Ivan Perisic (l.)

Ivan Perisic (l.)

Foto: GEORGES GOBET/ AFP

Fast wäre Ivan Perisic ins Stolpern geraten. Ein Stuhl stand im Weg, als der "Man of the Match" sich im Stadion von Bordeaux vom Podium schwang. Doch der Kroate wahrte das Gleichgewicht. "Verletzen Sie sich nicht!", empfahl die Uefa-Delegierte, was der Spieler mit einem Lächeln quittierte.

Für den ehemaligen Bundesligaprofi von Borussia Dortmund und des VfL Wolfsburg, erst vergangenen Sommer zum Leidwesen seines damaligen Arbeitgebers zu Inter Mailand gewechselt, war der Medienmarathon noch nicht beendet. Immer wieder sollte Perisic erklären, wie er denn in der 87. Minute den schwachen spanischen Keeper David de Gea überlistet hatte, um die Machtverhältnisse mit Kroatiens 2:1-Triumph gegen den Titelverteidiger auf den Kopf zu stellen. Nicht Spanien, sondern Kroatien hat als Gruppenerster jetzt den vermeintlich leichteren Weg - und geht im Viertelfinale einem möglichen Duell mit Weltmeister Deutschland aus dem Weg.

"Wenn man nicht schießt, kommt kein Tor zustande. Es war unglücklich für ihn, aber wir sind alle glücklich. Ein spezieller Abend für uns", richtete der Matchwinner aus, um stets zu beteuern: "Wir müssen weiter fokussiert bleiben. Wir haben einen richtig guten Job gemacht, aber das war erst der Anfang." Doch Kroatien wird wohl nicht so schnell nachlassen. Bei der Mannschaft war trotz fünf Umstellungen und des Verzichts auf die Spitzenkräfte Luka Modric und Mario Mandzukic kein Qualitätsverlust zu erkennen.

"Wir werden jetzt Schritt für Schritt unsere Aufgaben abarbeiten", versprach Trainer Ante Cacic, der vielleicht viel besser als die dekorierten Weltmeistertrainer Vicente del Bosque (Spanien) und Joachim Löw verstanden hat, worum es in der Vorrunde ging: Die Breite des Kaders ausschöpfen, die Kräfte auf mehrere Schultern verteilen, um ab dem Achtelfinale in den Vollgasmodus zu schalten.

Es steht außer Frage, dass die Kroaten am Samstag in Lens gegen einen noch zu bestimmenden Gruppendritten (aus den Gruppe B, E oder F) wieder in Bestbesetzung auflaufen werden. Bei Modric und Mandzukic gebe es "keine großen Probleme, beide werden spielen können", sagte Cacic. Im ungünstigsten Fall wartet Portugal, aber wahrscheinlicher sind schlagbare Kaliber.

"Italien muss froh sein, dass es nicht gegen uns spielt"

Für Kroatien soll auch das Achtelfinale nur Zwischenstation sein, im Viertelfinale winkt der Sieger aus Schweiz gegen Polen. Allein diese Konstellation erklärt so manch mutige Ansagen der Spieler. "Ich will nicht sagen, dass wir das Turnier gewinnen, aber wir haben eine sehr hohe Qualität, um weit zu kommen", kündigte Nikola Kalinic an, dessen feines Fersentor die Wende brachte (45. Minute). Klar, ohne die Elfmeterparade von Torwart Danijel Subasic, der sich auf einen Tipp von Kapitän Darijo Srna verlassen hatte, um gegen Sergio Ramos zu parieren (72.) und dabei irregulär weit von der Torlinie gekommen war, wäre der Kraftakt nicht geglückt. Aber verdient hatte es diese Mannschaft allemal.

Und so konnte Trainer Cacic, der im September vergangenen Jahres auf Niko Kovac folgte, genüsslich resümieren: "Diese Spieler haben gezeigt, wie man ein Land repräsentiert, wie man sich verhält. All die negativen Dinge haben mit meiner Mannschaft nichts zu tun." Der 62-Jährige spielte damit auf die Fanausschreitungen am vergangenen Freitag in St. Étienne an, die dem kroatischen Verband eine Geldstrafe eingebracht hatten. Außer bei einem mächtigen Böller, der beim Ausgleichstor explodierte, fielen die von Gendarmerie bewachten kroatischen Anhänger in Bordeaux nach bisherigen Erkenntnissen nicht aus der Rolle.

Kann also sein, dass die sportlichen Knalleffekte von kroatischer Seite am Ende der EM doch noch überwiegen. Für den inzwischen nicht mehr zur Nationalelf zählenden Altmeister Ivica Olic stand schon vor diesem Turnier fest: "Jeder in Kroatien ist der Meinung, dass die aktuelle Mannschaft die beste seit 1998 ist. Damals wurden wir bei der Weltmeisterschaft in Frankreich Dritter. Wir hatten nie mehr einen so guten Kader." Tatsächlich steckt in Spielern wie dem bei AC Florenz angestellten Nikola Kalinic oder Marko Pjaca mächtig Potenzial.

Der erst 21-jährige Offensivspieler Pjaca dürfte der nächste sein, den sein Heimatverein Dinamo Zagreb für viel Geld auf dem internationalen Markt veräußert. Selbstbewusst ist der junge Draufgänger auch schon: "Wenn wir so spielen, können wir jede Mannschaft schlagen. Wer Spanien besiegt, kann weit kommen." Einen kesseren Spruch hatte da nur der Matchwinner parat. Perisic entgegnete auf die Frage, warum er als Italien-Legionär unbedingt ein Achtelfinalduell gegen Italien verhindern wolle: "Italien muss froh sein, dass sie nicht gegen uns spielen müssen."

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Kroatien bezwingt Spanien: Pleite für den Titelverteidiger

Foto: LOIC VENANCE/ AFP
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