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EM-Bilanz: Grätsche statt Torrausch

Foto: Andreas Gebert/ dpa

EM-Bilanz Party ohne Rausch

Die EM in Polen und der Ukraine geht zu Ende - sie war weit davon entfernt, ein Spektakel zu sein. Fußballerisch neutralisierten sich die Top-Teams, das 1:0-Denken dominierte. Gelohnt hat sich das Turnier trotzdem dank der beiden Gastgeber.

Vor dem EM-Halbfinale erinnerten sich viele an das Jahrhundertspiel von 1970, dem 4:3 der "Azzurri" bei der WM gegen Deutschland. Das Fernsehen zeigte die historische Partie nochmals in voller Länge, und man konnte sich erneut ein Bild machen von der Dramatik und der teilweise abenteuerlichen Qualität des Spiels. 42 Jahre ist das her - und die Menschen sprechen immer noch von der "Mutter aller Spiele". Von der Europameisterschaft 2012 wird in 42 Jahren niemand mehr reden.

Die EM in Polen und der Ukraine reiht sich ein in eine Serie von Turnieren, während derer sich technisch und taktisch versierte Mannschaften neutralisierten. Das war teilweise schon bei der WM in Südafrika der Fall. Aber da gab es noch defensiv offen stehende Teams wie England oder Argentinien, die der deutschen Mannschaft den Offensivfußball von 2010 ermöglichten. Heutzutage spielen selbst die Engländer mit einer tiefen Abwehr - weshalb Spiele herauskommen wie das Viertelfinal-0:0 der "Three Lions" gegen Italien.

Es gab bei dieser EM viel zu bestaunen an Spielverständnis, an moderner Auffassung von Fußball. Aber es gab wenig Spaß. Die prinzipiell defensive Ausrichtung, aber auch die enorme Disziplin der Teams haben das große Fußball-Spektakel verhindert. Der coole Elfmeter-Chip von Italiens Andrea Pirlo war da eine Ausnahme.

Spanien hat sein System perfektioniert

Das Finale am Sonntagabend (20.45 Uhr, Liveticker SPIEGEL ONLINE) könnte diesen Eindruck leicht korrigieren - die Partie der Finalteilnehmer Spanien und Italien war schließlich der fußballerische Gipfel der Gruppenphase. Grundsätzlich ändern wird dieses Spiel aber nichts mehr.

Denn gerade die Spanier haben ihr Spielsystem, mit dem sie die Gegner seit 2008 überfordern, perfektioniert. Der Titelverteidiger hat seit 2006 in keinem K.o.-Spiel ein Gegentor kassiert. Eine überragende Bilanz. Der Fußball-Maschine des Vicente del Bosque reicht ein 1:0. Mehr will sie gar nicht.

Das deutsche Team war zuletzt so etwas wie ein Antagonismus der Spanier. Eine Mannschaft, die in Kauf nahm, einen Treffer zu kassieren, aber vorne stets ein Tor mehr erzielte als der Gegner. Joachim Löw ist bei diesem Turnier von dem Konzept abgerückt. Für viele Fußball-Romantiker, die ein rauschhaftes Spiel der Deutschen erwartet haben, war das eine Desillusionierung. Löw hatte angesichts der starken Vorrundengegner aber zunächst die richtige Taktik gewählt.

Aus DFB-Sicht ein gutes, kein sehr gutes Turnier

Doch als es dann im Halbfinale gegen die Italiener ging, fehlten Trainer und Team die Courage, den Gegner mit den Mitteln zu besiegen, welche die DFB-Elf in den vergangenen zwei Jahren ausgemacht hatten: Offensiv-Power, Flügelspiel, Tempo. Damit beraubte die Mannschaft sich ihrer eigenen Stärke. So war die Halbfinalpleite von Warschau letztlich ein Sieg des deutschen Kleinmuts. Doch ihr standen vier Siege voran - insofern war es aus deutscher Sicht ein gutes, aber eben kein sehr gutes Turnier.

Diese EM war kein "Sommermärchen reloaded". Und das lag nicht nur am kühlen Juniwetter in Polen (und in Deutschland). Sondern auch daran, dass die sportlich schwachen Gastgeberteams früh aus dem Rennen waren. Gelohnt hat sich dieses Turnier trotzdem. Allein schon für all die Besucher, die so beeindruckende Städte wie Kiew oder Lemberg kennenlernten. Die die Hitze in Charkiw aufsaugen durften und Altstädte von Danzig und Warschau durchstreiften.

Im Vorfeld war viel über die Vergabe der EM an die Ukraine diskutiert worden. Angesichts der politischen Verhältnisse im Land auch völlig zu Recht. Doch als dann der Ball rollte, war von politischem Protest nicht mehr viel die Rede. Das stimmt bedenklich, aber es ist nicht das erste Mal, dass es bei einem sportlichen Großereignis so läuft.

Es gab auch mal schlechte Organisation, Chaos an den Flughäfen, man musste lernen, dass Verspätungen kein Privileg der Deutschen Bahn sind. Aber das wurde aufgefangen durch großartige Stadien, durch Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit. Polen und die Ukraine machten diese EM zu einem Fest - auch wenn sich die Welt in 42 Jahren vielleicht nicht mehr daran erinnern wird.

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