Deutschlands letztes Gruppenspiel bei der EM Die Mahnung der Weihnachtsgans

Linda Dallmann (l.) im Zweikampf mit der Italienerin Marta Carissimi
Foto: Tullio M. Puglia/ Getty ImagesWenn die Weihnachtsgans anhand ihrer Erfahrung ihre Zukunft deutet, dann ist der Bauer ein netter Mann, der täglich kommt, um sie zu füttern. Bis er sie schlachtet. So gesehen ist es irrelevant, dass Deutschland noch nie ein Fußballspiel gegen die russische Frauennationalmannschaft verloren hat. Wenn das DFB-Team heute in Utrecht sein letztes Gruppenspiel bei der EM gegen Russland bestreitet (20.45 Uhr, Liveticker SPIEGEL ONLINE; TV ZDF), würde eine Niederlage das Vorrundenaus bedeuten.
Ein russischer Sieg wäre zwar eine Überraschung, aber denkbar. Es gibt konkrete Anhaltspunkte: Die drei Punkte im zweiten Gruppenspiel gegen Italien hatte die Elf von Steffi Jones fest eingeplant - und durch ein 2:1 auch verbucht. Doch statt sich gegen ein mittelmäßiges Team in Torlaune zu schießen, offenbarte sie ungewohnte Schwächen. Auch Russland hatte Italien zuvor 2:1 besiegt.
Gegen Deutschland musste Ilaria Mauro, zweifache EM-Torschützin und bis dahin beste italienische Spielerin, schon in der ersten Hälfte verletzt ausgewechselt werden. Zudem spielte das Team von Antonio Cabrini die letzten 25 Minuten nur noch zu zehnt. Und dennoch brachte Italien den Rekordeuropameister ins Schwimmen.
Was nützt es, den Ball zu haben, wenn der Gegner bestimmt, wo?
An einer zu offensiven Ausrichtung lag es nicht, dass Deutschland kurz nach der Führung den Gegentreffer hinnehmen musste. Gleich drei DFB-Verteidigerinnen misslang es, die Torvorlage von Barbara Bonansea auf Mauro zu verhindern. Dabei waren sie beim italienischen Konter rechtzeitig und in Überzahl in den Strafraum zurückgeeilt. Solche Stellungsfehler sollte man sich gegen Russland nicht erlauben. Deren Angreiferin Elena Danilowa nutzt jede Lücke der Abwehr zum direkten Abschluss und ist dabei auch aus der Distanz gefährlich.
Immer wieder isolierte die Squadra Azzurra Leonie Maier an der Außenlinie, indem eine Stürmerin durch geschicktes Positionieren den Passweg auf beide Innenverteidigerinnen versperrte, und sich das deutsche Mittelfeld vom italienischen aus der Spielfeldzentrale verdrängen ließ. Der stockende Spielfluss beeinflusste das Tempo, Deutschland sah sich um seine größte Stärke gebracht - das zügige Kombinationsspiel durch die Mitte. Wer sich jedoch so leicht von der eigenen Ausrichtung abbringen lässt, für den kann auch Russland zum Problem werden.
Die Abwehr schießt die Tore
Männerbundestrainer Joachim Löw hat sich vor ein paar Jahren davon verabschiedet, bei seinen Feldspielern zwischen Mittelfeld und Angriff zu unterscheiden. An der Arbeitsteilung zwischen Abwehr (verhindert Tore) und Offensive (soll welche schießen) hält aber auch er bislang fest. Und dennoch waren es die Innenverteidigerinnen Josephine Henning und Babett Peter, die bislang als Einzige für die Deutschen bei der EM trafen. Beide nach Standards bei großzügiger Unterstützung der italienischen Torfrau Laura Giuliani.
Steffi Jones hat zurecht zu viel "Klein-Klein" und die Qualität des letzten Passes bemängelt. Hier standen sich die Stürmerinnen am gegnerischen Strafraum häufig gegenseitig auf den Füßen. Ein Querpass über zwei Meter, der weder Raumgewinn bringt, den Ball sichert, noch eine besser postierte Mitspielerin freispielt, hilft nicht weiter. Hier gilt es einerseits, zielstrebiger abzuschließen, und andererseits, aus dem Weg zu gehen und dabei bestenfalls die Gegenspielerin gleich mit aus der Schusslinie zu ziehen.
Abschlussschwäche - ein Luxusproblem
Bei all der Kritik an der Offensive geht ein Aspekt unter: Ausschließlich Mannschaften, die sich vielversprechende Torchancen herausspielen, müssen sich Abschlussschwäche vorwerfen lassen. So auch Deutschland, das sich gegen Italien genau wie gegen Schweden wieder viele erstklassige Möglichkeiten erarbeitete. Mandy Islacker und Anja Mittag scheiterten mehrfach nur knapp vor dem Tor. Auch Sara Däbritz stand nach einer schlauen Eckballvariante nur noch der Pfosten im Weg.

Fußball-EM der Frauen: Torwartfehler, Elfmeter, Platzverweis
Werden die Offensivkräfte weiterhin im Strafraum mit Bällen versorgt, ist es nur eine Frage der Zeit, nicht des Könnens, bis sie treffen. Die russische Torhüterin Tatjana Shcherbak könnte ihren Teil dazu beitragen. Zwar zeigte sie schon einige spektakuläre Paraden, aber dicke Patzer vor Gegentoren sind ebenfalls schon dabei gewesen.
Die Punkteausbeute der Deutschen ist nicht zu beanstanden, der Pflichtsieg gegen Italien folgte einem Unentschieden gegen den Mitkonkurrenten um den Gruppensieg Schweden. Dennoch gibt es an allen Ecken und Ende Baustellen, bei denen sich das DFB-Team verbessern muss.
Gewinnen die Deutschen oder spielen unentschieden gegen Russland, ist das Viertelfinale sicher. Sogar bei einer Niederlage bleibt der Hauch einer Chance aufs Weiterkommen. Dazu müsste Schweden um zwei Tore höher gegen Italien verlieren als Deutschland gegen Russland. Mit solchen Rechenspielchen sollte sich die deutsche Mannschaft allerdings nicht befassen. Bevor sich der Bauer als Schlachter entpuppt, kann für sie nur gelten: "Wir spielen auf Sieg!"