DFB-Kader Löws letztes Aufgebot

Joachim Löw präsentiert am Mittwoch den letzten Turnierkader seiner DFB-Karriere
Foto:Christian Charisius/ dpa
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Am Mittwoch beginnt er, der lange Abschied des Joachim Löw. Zum siebten Mal präsentiert der Bundestrainer seinen Kader für ein großes Turnier, man hat sich an dieses Prozedere gewöhnt, so wie man sich an so vieles bei Löw gewöhnt hat. Der DFB hat aus der Nominierung in der Vergangenheit gern eine kleine Show gemacht. Zur EM 2008 wurde dafür sogar auf die Zugspitze gebeten, 2016 in die französische Botschaft am Brandenburger Tor.
Zur EM im Sommer, der letzten, die Löw als Cheftrainer des DFB verantwortet, fällt die Präsentation coronabedingt schmaler und rein digital aus, der Verband hat allerdings ausgewählte Fans der Nationalmannschaft zur Teilnahme eingeladen. So ein bisschen will man dann doch vermitteln, dass es etwas besonders ist, wenn Löw nach 17 Jahren beim DFB auf die Zielgerade einbiegt.
Dass es langsam losgeht mit der EM-Vorbereitung, zeigt auch die Meldungslage dieser Tage. Ab Montag plätschern nicht nur die ersten Berichte aus anderen Ländern ein, die ihre Kader festlegen, Italien, Belgien, auch für Joachim Löw häufen sich die relevanten Nachrichten. Mit der verletzungsbedingten Absage von Keeper Marc-André ter Stegen, der seiner unglücklichen Zweierbeziehung mit der Nationalmannschaft damit ein weiteres Kapitel hinzufügt, und der Coronainfektion von Toni Kroos sind allerdings gleich zwei Botschaften dabei, die eine störungsfreie Vorbereitung auf das Turnier beeinträchtigen.
Müller mit Sicherheit wieder dabei
Noch sind es genau vier Wochen bis zum ersten Turnierspiel gegen Weltmeister Frankreich (15. Juni), insofern herrscht noch keine Alarmstimmung beim Bundestrainer, auch der Muskelfaserriss von Schlüsselspieler Leon Goretzka könnte bis dahin verheilt sein. Aber die Kroos-Meldung aus Madrid macht auch klar: Bei einem Turnier inmitten der Ausläufer einer Pandemie sind solche Meldungen allen Schutzmaßnahmen zum Trotz einzukalkulieren. Dass die Uefa den Teams die Möglichkeit einräumt, erstmals 26 statt 23 Spieler zu nominieren, ist diesem Umstand geschuldet. Dass es zuletzt beim DFB mehrfach hieß, der Bundestrainer werde dieses Kontingent eventuell gar nicht ausschöpfen, wäre ein typisch eigenwilliger Löw-Move.
Der Bundestrainer werde »mit Überraschungen« aufwarten, wurde in den Vortagen aus Kreisen des Verbands raunend gestreut. Das Zurückholen von Thomas Müller würde mittlerweile nicht mehr dazu zählen. Dass Löw den Bayern-Profi mit seiner Erfahrung von 100 Länderspielen nach zwei Jahren Zwangspause wieder in den Kreis der Nationalelf aufnimmt, gilt als ausgemachte Sache. Auch Mats Hummels, damals gemeinsam mit Müller und Jérôme Boateng aussortiert, darf sich gute Chancen auf einen Rückruf ausrechnen. Zu stark war der BVB zuletzt, zu labil die Abwehrleistungen der Nationalmannschaft.
Andere, die jahrelang zum festen Kreis bei Löw gehörten, müssen dagegen mit einer Nichtberücksichtigung rechnen. Die beiden PSG-Profis Julian Draxler und Thilo Kehrer zum Beispiel. Beide sind in Paris im Lauf der Zeit aus dem Fokus geraten, Kehrer hatte zudem wiederholt mit Verletzungen zu kämpfen. Für Draxler, der bei PSG zuletzt wieder häufiger zum Einsatz kam und in Paris gerade seinen Vertrag bis 2024 verlängert hat, der immer zu Löws Bevorzugten gehörte, der das DFB-Team beim Confed Cup 2017 noch als Kapitän anführte, wird es sehr eng angesichts der Plätze in der Offensive.
Absage von Reus
In Mittelfeld und Angriff hat Löw auch 2021 noch eine große Auswahl, das hat sich über die Jahre eigentlich nicht verändert. Ob er sich allerdings den Luxus erlaubt, auf eine bewährte Kraft wie Dortmunds Kapitän Marco Reus zu verzichten, wurde schon am Vorabend von Reus selbst aufgelöst. Der BVB-Star, der bereits zwei Turniere wegen Verletzungen verpasste, war in den vergangenen Wochen wieder in überragender Form im Verein zurückgekehrt, aber nur vermeintlich rechtzeitig für die EM. In Absprache mit dem Bundestrainer verzichtete er auf eine Nominierung und will sich lieber für die kommende Saison regenerieren. Das hatte sich abgezeichnet: Löw hatte schon beim Pokalfinale, von ARD-Mann Matthias Opdenhövel auf eine Reus-Nominierung angesprochen, auffällig defensiv reagiert.
Mit Florian Wirtz und Jamal Musiala können sich zwei Jungstars dagegen Hoffnungen auf eine Turnierpremiere machen, eher jedenfalls als der von einigen Medien hartnäckig immer wieder ins Gespräch gebrachte Kevin Volland, der zwar eine starke Saison bei AS Monaco absolviert hat, aber der bei Löw keinen besonderen Kredit genießt.
Das Gerüst der Mannschaft steht ohnehin, gewachsen seit der desaströsen WM in Russland. Manuel Neuer, Joshua Kimmich, İlkay Gündoğan, Kroos, Goretzka, Serge Gnabry, die drei Chelsea-Profis Kai Havertz, Antonio Rüdiger, Timo Werner. Dazu dann die Routiniers Hummels und Müller, die, wenn sie schon dabei sind, auch Ansprüche auf die Startelf anmelden, weil ihre Rückholaktion sonst gar keinen Sinn ergäbe. Insofern werden im 26er-Kader auch diesmal wieder viele dabei sein, die als Ergänzungen ihre Rolle haben, und einige, die wahrscheinlich gar nicht zum Einsatz kommen.
Und noch etwas wird sich auch bei diesem Kader wiederholen: die Diskussion darüber, mit wem der Bundestrainer die defensiven Außenpositionen besetzen soll. Sozusagen das Mantra der Ära Löw. Die beiden Leipziger Lukas Klostermann und Marcel Halstenberg werden sicher im Kader stehen, für Robin Gosens von Atalanta Bergamo gilt Ähnliches. Der Platz von PSV-Verteidiger Philipp Max, den Löw zuletzt ausprobierte, ist da schon unsicherer, die Debatte, ob man nicht lieber mit Kimmich, zuletzt im Mittelfeld gesetzt, als Außenverteidiger beginnen sollte, wird den Trainerstab auch mit verlässlicher Sicherheit irgendwann einholen. Es ist schließlich nicht alles anders bei Löw, nur weil es sein letztes Turnier wird.