Löws vorläufiger EM-Kader: 14 Weltmeister und drei Überraschungen
Vorläufiger EM-Kader
Die Sonne geht im Osten auf, und Podolski ist im Kader
Joachim Löw hat den vorläufigen EM-Kader vorgestellt. Talente wie Julian Brandt oder Leroy Sané wurden für ihre Leistung belohnt - wichtiger ist dem Bundestrainer aber eine andere Eigenschaft.
Wenn man Joachim Löw sagt, er wähle sein Personal nicht unbedingt nach dem Leistungsprinzip aus, sieht er das nicht als Vorwurf.
Selten hat der Bundestrainer das so deutlich gemacht wie an diesem Dienstag, bei der Präsentation des vorläufigen EM-Kaders in Berlin. Für ihn "geht es bei einem Spieler um mehr, als gut Fußball zu spielen", sagte Löw am Mittag bei dem offiziellen Termin in der französischen Botschaft.
Besonders deutlich wird das bei der Personalie Lukas Podolski. Der 30-Jährige ist schon lange kein Leistungsträger in der Nationalmannschaft mehr, es gäbe andere Spieler, die viel eher reklamieren könnten, ins Aufgebot für die Europameisterschaft zu gehören. Aber Podolski ist auch beim sechsten Turnier von Trainer Löw mit von der Partie, zum sechsten Mal.
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"Neben dem sportlichen Wert zählt für mich die Persönlichkeit", sagte Löw schon, bevor er die 27 Kader-Namen bekanntgab, "wichtig ist der Beitrag, den Spieler auf und neben dem Platz leisten". Es ist ein Satz wie auf Podolski zugeschnitten.
Später beeilte sich Löw zwar, zu betonen, der mittlerweile 127-fache Nationalspieler habe "immer noch seinen sportlichen Wert, auch wenn das manche nicht wahrhaben wollen", aber Löw hält bei einem Turnier andere Qualitäten für gleichrangig wichtig: Es gehe darum, "eine Einheit zu bilden", Torwarttrainer Andreas Köpke sekundierte: "Der Teamgeist wird der Schlüssel zum Erfolg sein."
Junges Quartett für seine Leistung belohnt
Zwar wird Löw aus dem 27er-Kader noch vier Spieler streichen müssen, aber der ewige Kölner wird kaum dazu gehören. Podolski spielt mit Galatasaray am 26. Mai das türkische Pokalfinale und wird ohnehin erst später zum Trainingslager der Nationalmannschaft nach Ascona kommen. Von daher gilt Löws Diktum ("Ich will alle Leute im Trainingslager sehen und dann erst entscheiden, wer die Streichkandidaten sein werden") für den Routinier auch nur begrenzt.
Nun ist es allerdings auch nicht so, als spiele das Leistungsprinzip gar keine Rolle. Die Nominierungen des jungen Quartetts Leroy Sané (FC Schalke), Joshua Kimmich (FC Bayern), Julian Weigl (Borussia Dortmund) und Julian Brandt (Bayer Leverkusen) sind vor allem eine Belohnung für ihre starken Saisonleistungen. Löw lobte die vier, sah bei dem Schalker Sané "die Fähigkeit, unvorhersehbare Dinge zu tun", attestierte Weigl "viel Ballsicherheit", schwärmte bei Kimmich, "dass er bei Bayern auf höchstem Niveau trainiert" habe und strich Brandts "Leistungsexplosion im Saisonfinale" heraus.
Die vier gehören dennoch naturgemäß zu denen, die am meisten darum bangen müssen, auch im endgültigem Aufgebot zu stehen. Ob Kimmich und Weigl den 31. Mai, den Tag, an dem alle Teilnehmerländer ihren definitiven Kader melden müssen, gemeinsam überstehen, hängt auch von der Gesundung von Bastian Schweinsteiger ab. Wenn der seit Wochen angeschlagene DFB-Kapitän nicht rechtzeitig fit wird, dürften wohl beide in Frankreich zum Aufgebot gehören.
Schmelzer, Kramer und Kruse sind die Verlierer
Löw braucht ohnehin eine zusätzliche Option für den angeschlagenen Schweinsteiger und den anfälligen Sami Khedira im zentralen Mittelfeld. Von daher wird einer der beiden jungen Sechser in jedem Fall dabei sein. Es wird für Löw eine der kniffligsten Fragen werden, sich zwischen dem Bayern-Spieler Kimmich und dem Dortmunder Weigl zu entscheiden.
Ansonsten ist dies ein EM-Kader, wie man ihn erwarten konnte und erwarten durfte. Viele Weltmeister von 2014 sind dabei, auch einige, die zwischenzeitlich als Wackelkandidaten gehandelt wurden wie Spanien-Profi Shkodran Mustafi (FC Valencia) oder André Schürrle (VfL Wolfsburg). Dazu der wiedererstarkte Mario Gomez (Besiktas Istanbul) im Angriff quasi als Ersatz für den zurückgetreten Miroslav Klose und die Spieler, denen Löw schon in den vergangene zwei Jahren das Vertrauen ausgesprochen hat, wie dem Kölner Jonas Hector, Verteidigerkollege Antonio Rüdiger vom AS Rom oder Emre Can vom FC Liverpool.
Und die Verlierer gibt es natürlich auch: Dortmunds Marcel Schmelzer könnte wahrscheinlich Kopfstände zwischen zwei gelungenen Aktionen auf dem Platz machen, Löw würde über den Dortmunder hinwegsehen. Und Christoph Kramer (Bayer Leverkusen) und Max Kruse (VfL Wolfsburg) haben vor der Saison Borussia Mönchengladbach verlassen, um sich auch international weiterzuentwickeln. Man kann nicht sagen, dass dieser Plan funktioniert hat. Beide wurden von Löw nicht einmal mehr erwähnt.
Das seien "bittere Momente" gewesen, als Löw den nichtnominierten Spielern die Botschaft per Telefon habe mitteilen müssen, sagte der Bundestrainer. Wir habe ihnen allerdings auch sagen können: "Das bedeutet nicht zwangsläufig das Ende für die Nationalmannschaft."
Aber so gut wie.
Der vorläufige EM-Kader der deutschen Nationalmannschaft
27 BilderLöws vorläufiger EM-Kader: 14 Weltmeister und drei Überraschungen
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Manuel Neuer, Tor (FC Bayern München): Die unumstrittene Nummer eins. Neuer fährt bereits zu seinem vierten großen Turnier als Stammkeeper. Der Wettbewerb in Frankreich ist seine zweite Europameisterschaft.
Foto: Soeren Stache/ dpa
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Bernd Leno, Tor (Bayer Leverkusen): Er ist zum ersten Mal dabei. Leno stand bei Freundschaftsspielen zwar schon öfter im Kader, kam aber noch nie zum Einsatz. Jetzt fährt er mit nach Frankreich und ist damit erstmals bei einem großen Turnier im Kreis der Mannschaft.
Foto: Getty Images
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Marc-André ter Stegen, Tor (FC Barcelona) Fünf Länderspiele hat der ehemalige Gladbacher bisher absolviert - aber noch kein Pflichtspiel. Das wird sich wohl auch in Frankreich nicht ändern.
Foto: Bongarts/Getty Images
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Jérôme Boateng, Abwehr (FC Bayern München): Der Abwehrchef des deutschen Meister war in der abgelaufenen Rückrunde lange verletzt, meldete sich zum Saisonfinale aber zurück. Einer EM-Nominierung stand damit nichts mehr im Weg. Er wird als Stammspieler ins Turnier gehen.
Foto: AP/dpa
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Mats Hummels, Abwehr (Borussia Dortmund): Durch den anstehenden Wechsel zum FC Bayern gab es zuletzt viel Aufsehen um den BVB-Kapitän. Bei der EM sollte er neben seinem zukünftigen Mannschaftskollegen Boateng in der Innenverteidigung gesetzt sein.
Foto: Jens Wolf/ dpa
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Emre Can, Abwehr (FC Liverpool): 2014 wechselte Can von Leverkusen in die Premier League. Dort wurde er zum Nationalspieler, bisher hat er fünf Länderspiele absolviert. Bundestrainer Joachim Löw setzt ihn bisher als Außenverteidiger ein, in Liverpool spielt er unter Jürgen Klopp auch im defensiven Mittelfeld.
Foto: Peter Kneffel/ dpa
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Shkrodan Mustafi, Abwehr (FC Valencia): Bei der WM in Brasilien galt seine Nominierung noch als Überraschung, jetzt war sie erwartbar. In Spanien hat Mustafi eine gute Saison gespielt. In der Innverteidigung wird er jedoch nicht erste Wahl sein.
Foto: DPA
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Antonio Rüdiger, Abwehr (AS Rom): Die EM in Frankreich wird das erste Turnier für den ehemaligen Stuttgarter, auch er muss sich jedoch hinter Hummels und Boateng anstellen. Der Serie-A-Spieler kann jedoch auch als Außenverteidiger eingesetzt werden.
Foto: Etienne Laurent/ dpa
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Sebastian Rudy, Abwehr (TSG Hoffenheim): Mit Hoffenheim verhinderte der Verteidiger den Abstieg knapp. Dass der Rechtsverteidiger in Löws vorläufigem Kader steht, ist zumindest eine kleine Überraschung.
Foto: Dennis Grombkowski/ Bongarts/Getty Images
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Benedikt Höwedes, Abwehr (FC Schalke) Nicht immer ein Leistungsträger, aber fast schon ein Dauerbrenner im DFB-Kader. Höwedes kommt bisher auf insgesamt 32 Länderspiele, bei der WM in Brasilien spielte er jede Minute auf der linken Abwehrseite. Damit sich das in Frankreich wiederholt, muss sich der Schalker Kapitän gegen Jonas Hector durchsetzen.
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Jonas Hector, Abwehr (1. FC Köln): Er bekam zuletzt viel Vertrauen von Löw und damit viele Einsätze als Linksverteidiger. Insgesamt lief der 25-Jährige bisher zwölfmal im DFB-Trikot auf. Beim 4:1 gegen Italien erzielte er sein erstes Länderspieltor.
Foto: Carl Recine/ REUTERS
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Karim Bellarabi, Mittelfeld (Bayer Leverkusen): Der schnelle Außenspieler zeigte immer wieder gute Leistungen unter Löw. Das wurde nun mit der vorläufigen Nominierung belohnt. Dass Bellarabi noch aussortiert wird, ist unwahrscheinlich. Die Konkurrenz für einen Platz in der Stammelf ist allerdings sehr groß.
Foto: Alexander Hassenstein/ Bongarts/Getty Images
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Julian Brandt, Mittelfeld (Bayer Leverkusen): Eine der großen Überraschungen im vorläufigen EM-Kader. Der Nachwuchsstar aus Leverkusen spielte eine überragende Rückrunde, traf in sechs Spielen hintereinander. Löws Nominierung ist daher eher folgerichtig als mutig.
Foto: Sascha Steinbach/ Bongarts/Getty Images
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Julian Draxler, Mittelfeld (VfL Wolfsburg): Der ehemalige Schalker gilt für viele als Wackelkandidat, in den vorläufigen Kader hat er es zunächst geschafft. Mit dem VfL Wolfsburg erlebte Draxler eine bittere Rückrunde und verpasste die Qualifikation für den Europapokal. Er könnte einer von vier Streichkandidaten werden.
Foto: Alexander Hassenstein/ Bongarts/Getty Images
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Sami Khedira, Mittelfeld (Juventus Turin): Seine Nominierung war selbstverständlich. Und gerade mit Blick auf die vielen Ausfälle auf der Sechserposition hat Khedira gute Chancen, bei der EM wieder zur Stammformation zu gehören.
Foto: Alexander Hassenstein/ Bongarts/Getty Images
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Joshua Kimmich, Mittelfeld (Bayern München): Er profitiert von der Verletzungsmisere in Deutschlands defensivem Mittelfeld. Bei den Bayern spielte er vor allem in der Innenverteidigung, unter Löw ist er wohl eher ein Kandidat für die Position des Sechsers. Kimmich ist noch ohne ein einziges Länderspiel.
Foto: Lennart Preiss/ Bongarts/Getty Images
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Toni Kroos, Mittelfeld (Real Madrid): Dem Taktgeber in der deutschen Zentrale wird ein Stammplatz in Frankreich nicht zu nehmen sein. Kroos ist absoluter Leistungsträger.
Foto: Michael Probst/ AP
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Mesut Özil, Mittelfeld (FC Arsenal): In der Premier League verpasste der offensive Mittelfeldspieler mit Arsenal zwar die Meisterschaft am Ende deutlich, Özil war jedoch bester Vorlagengeber der Liga.
Foto: CHRISTOF STACHE/ AFP
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Marco Reus, Angriff (Borussia Dortmund): Der Dortmunder wartet weiter auf seinen ersten großen Titel, die WM 2014 verpasste er aufgrund einer Verletzung. Jetzt ist er wieder dabei. Reus dürfte einen Startplatz in der Offensive sicher haben.
Foto: AP/dpa
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Julian Weigl, Mittelfeld (Borussia Dortmund Neben Brandt die zweite größere Überraschung. Beim BVB zeigte der Jungstar eine überragende Debüt-Saison. Abgeklärt und souverän lenkte er das Dortmunder Spiel. Auch Weigl ist noch ohne Länderspiel.
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Bastian Schweinsteiger, Mittelfeld (Bayern München) Zwar steht der Kapitän im vorläufigen Kader, er kämpft aber noch mit einer Verletzung. Ob er tatsächlich in Frankreich dabei sein wird, ist noch ungewiss.
Foto: Getty Images
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André Schürrle, Angriff (VfL Wolfsburg Genau wie Draxler hatte auch Schürrle eine schwere Rückrunde. Zumindest im vorläufigen Kader hat Löw den WM-Joker zunächst berücksichtigt.
Foto: DPA
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Mario Götze, Angriff (FC Bayern München): Der Siegtorschütze aus dem WM-Finale von Rio stand bei Bayern zuletzt oft im Fokus - meist allerdings abseits des Platzes. Er bekam wenige Einsatzzeiten, über seine Zukunft gab es viele Spekulationen. Unter Löw traf Götze zuletzt im Testspiel gegen Italien und zeigte eine gute Leistung. Bei der EM wird er sicher dabei sein, dort muss aber auch er um einen Stammplatz kämpfen.
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Mario Gómez, Angriff (Besiktas Istanbul): Der Rückkehrer. Bei der WM in Brasilien war Gómez erstmals seit der EM 2008 nicht bei einem großen Turnier dabei. Aber durch gute Leistungen hat er sich wieder in den Mittelpunkt gespielt. Gómez hatte großen Anteil daran, dass Besiktas türkischer Meister wurde. Beim Testspiel gegen England zeigte er mit seinem Kopfballtreffer auch für das DFB-Team seine Torgefahr.
Foto: Christian Charisius/ dpa
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Lukas Podolski, Mittelfeld (Galatasaray Istanbul): Seine unumstrittene Position in der Nationalelf hat er verloren. Es ist nicht ausgeschlossen, dass der ehemalige Kölner noch gestrichen wird.
Foto: Getty Images/ Bongarts
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Leroy Sané, Angriff (FC Schalke): Seine Nominierung ist eine kleine Überraschung, Sané kommt aber immerhin schon auf ein Länderspiel. Auch er wird um seinen endgültigen Platz aber wohl noch zittern müssen.
Foto: Guido Kirchner/ dpa
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Thomas Müller, Angriff (FC Bayern München): Der Torschützenkönig der WM 2010 spielt in Frankreich sein viertes großes Turnier mit dem DFB. Wieder mal wird es für Deutschland ganz besonders auch auf seine Tore ankommen.