
WM-Dritter in der Krise: Niederländischer Niedergang
Niederlande nach 0:2 in Island "Oranje" sieht schwarz
Hamburg - Diesmal war es kein Dribbling, mit dem Arjen Robben in Erinnerung blieb. Auch hatte der niederländische Nationalspieler vom FC Bayern kein besonderes Tor erzielt. Stattdessen sorgte er mit einem wütenden Fernsehinterview für Aufsehen: "Peinlich, wertlos, unnötig. Ich koche innerlich", sagte er. Robben war empört: "Das ist einer niederländischen Nationalmannschaft unwürdig."
Der Grund für seinen Zorn lag wenige Minuten zurück. Eben hatten die Niederlande 0:2 in Island verloren. Bei einer Fußballnation, die sich bislang weder für eine Welt- noch für eine Europameisterschaft qualifizieren konnte.
Seit der Weltmeisterschaft befinden sich die Niederländer im freien Fall. In Brasilien demontierten sie WM-Titelverteidiger Spanien (5:1), besiegten den Gastgeber (3:0) und wurden letztlich Dritter. Es schien, als entstehe ein großes Team. Mit spektakulärem Fußball. Doch der Erfolg hat der Mannschaft eher geschadet.
Nach dem Triumph hörte Louis van Gaal als Nationaltrainer auf. Er ging zu Manchester United. Auf ihn folgte Guus Hiddink. Der Wechsel auf der Trainerbank leitete einen Umbruch ein. Weg von der Fünferkette mit offensiven Außenverteidigern, weg vom Tempofußball, weg von einem ständig an der Seitenlinie herumfuchtelnden Trainer - Hiddink hat "Oranje" in kürzester Zeit verändert.
Ruhig, still, ein Analytiker - das ist Guus Hiddink
Er bevorzugt meist ein klassisches 4-4-2-System. Der 67-Jährige ist ruhiger als sein Vorgänger, beobachtet das Spiel meist stumm. Dass er ein großer Fachmann ist, hat er längst bewiesen: Bei der WM 1998 führte er die Niederlande ins Halbfinale, vier Jahre später gelang ihm der gleiche Erfolg mit WM-Gastgeber Südkorea. Doch seine zweite Amtszeit als Bondscoach ist bislang vom Misserfolg geprägt.
Gegen Island wirkte das Spiel zu langsam. Es fehlte an kreativen Momenten. Robben blieb ebenso harmlos in der Offensive wie sein Mitspieler Robin van Persie von Manchester United. In der Defensive fielen zahlreiche Abstimmungsprobleme auf. "Vergesst die WM. Hört auf, über die WM zu reden und über 5-3-2. Das Problem ist kein taktisches", sagte Robben. Woran liegt es dann? Wie ist es möglich, dass eine Mannschaft drei Monate nach der erfolgreichen WM plötzlich so verunsichert agiert?
Robben suchte im TV-Interview nach einer Erklärung. Er klang verzweifelt: "Wir müssen aufhören zu glauben, dass wir gut sind. In Wahrheit sind wir nicht gut. Es ist zwei vor zwölf." Für die Niederlande ist die Qualifikation zur Endrunde der Europameisterschaft 2016 in Frankreich in Gefahr.
Niederländische Medien mit vernichtender Kritik
Das erste Spiel der Quali-Runde gegen Tschechien ging 1:2 verloren. Danach gelang zwar ein 3:1-Sieg gegen Kasachstan, doch der Auftritt war wenig überzeugend. Nun die Niederlage in Island. Dadurch haben die Niederlande in der Gruppe A bereits sechs Punkte Rückstand auf einen sicheren Startplatz. Es wäre die erste verpasste EM-Endrunde seit 1984. "Oranje" sieht schwarz.
Die Presse kritisiert das Team nach der jüngsten Niederlage massiv. Die Zeitung "De Volkskrant" nannte es einen der "größten Misserfolge des niederländischen Fußballs". Von "Katastrophe", "Desaster" und "Blamage" schrieb "Voetbal International". Noch weiter ging "De Telegraaf" und diagnostizierte dem niederländischen Fußball eine schwere Depression.
Hiddink reagierte nach dem Spiel sachlich und ruhig. "Es geht um fehlendes Tempo. Wir spielen zu langsam", sagte er. Den Rest wolle er in Ruhe analysieren. Nur kein Schnellschuss, kein falsches Wort.
"Sitzt du hier noch im nächsten Monat auf der Bank?", fragte ein Reporter. "Wo? Hier in Island?", antwortete Hiddink. "Bei Oranje?", fragte der Reporter.
Hiddink bekam ein knappes "Natürlich!" heraus.