Englisches Magazin über deutschen Fußball "Die Atmosphäre in Deutschland ist 20 Mal besser"

Stadion von Borussia Dortmund: "Der ganze Spieltag ist anders"
Foto:Christopher Neundorf/ imago images/Kirchner-Media
SPIEGEL: Mr. McEvoy, Sie haben gerade das Fanzine "Halb Vier" gestartet. Warum brauchen die Engländer ein Heft über Fußball in Deutschland?
McEvoy: Es gibt hier ein großes Interesse am deutschen Fußball. Viele Menschen sind genervt davon, wie sich die Premier League entwickelt hat. Es geht nur noch um Geld. Hier herrscht die Vorstellung, dass die Bundesliga ursprünglicher ist, ein bisschen mehr Old School - so, wie der englische Fußball früher war. Nicht umsonst reist jedes Wochenende eine große Zahl an Engländern zu Bundesligaspielen.
SPIEGEL: In der Selbstbeschreibung heißt es, "Halb Vier" wolle sich auf die Freuden des deutschen Fußballs konzentrieren, seien es die Stadien, die Fans, das Bier - oder sogar das Geschehen auf dem Rasen. Das impliziert schon, dass viele Engländer die Bundesliga nicht unbedingt wegen des eigentlichen Sports interessant finden. Stimmt der Eindruck?
McEvoy: Da würde ich widersprechen. Die Leute schauen sich schon gern den Fußball an. Aber ich glaube einfach, dass es in Deutschland viele Dinge gibt, die in England verloren gegangen sind. Es gibt Stehplätze. Die Fans dürfen im Stadion Bier trinken. Die Zuschauer gehen schon zwei oder drei Stunden vor Anpfiff ins Stadion. Der ganze Spieltag ist anders als in England.
SPIEGEL: Ist es nicht ein Klischee, dass in der Bundesliga alles noch so ist wie früher? Fans in Deutschland protestieren seit Jahren gegen Kommerzialisierung, zerstückelte Spieltage, steigende Ticketpreise und Investoren.
McEvoy: Natürlich, die Sache ist differenzierter. Viele Leute in England haben die Vorstellung, dass man in Deutschland für zehn Euro ins Stadion kann. Aber die Wahrheit ist, dass viele Bundesligaklubs mittlerweile genauso teuer sind wie die Vereine in der Premier League. Wir waren in der vergangenen Saison in Dortmund und haben 35 bis 40 Euro pro Karte bezahlt. Das ist einfach so. Aber die Atmosphäre in Deutschland ist 20 Mal besser als in England. Man bekommt einfach mehr für sein Geld.

Fans, Bier - oder sogar Fußball
SPIEGEL: Dafür wird in der Premier League angeblich der beste Fußball der Welt gespielt.
McEvoy: Das glaube ich nicht. Und selbst wenn - die Frage ist, zu welchem Preis. Es gibt in der Premier League kaum noch Klubs, die sich nicht im Besitz von Amerikanern, Russen, Scheichs oder multinationalen Unternehmen befinden. Die Verbindung zu den Fans geht verloren. Das ist in Deutschland anders. Im Februar habe ich meinen Lieblingsverein Fortuna Düsseldorf im DFB-Pokal in Kaiserslautern gesehen. Kaiserslautern spielt nur noch in der dritten Liga, trotzdem waren 35.000 Fans da. Man hat gemerkt, wie stolz die ganze Region auf den Klub ist.
SPIEGEL: Verklären Sie den deutschen Fußball?
McEvoy: Ich bin Realist, würde ich sagen. Bayern München oder Borussia Dortmund sind mittlerweile wahrscheinlich ähnlich kommerziell wie die Vereine der Premier League. Deshalb versuchen wir, in unserem Magazin verstärkt auf die unteren Ligen zu schauen. Viele Fans, die am Wochenende nach Deutschland fliegen, besuchen auch Spiele von Vereinen wie Rot-Weiß Essen, Oberhausen oder Duisburg. Wir wollen diese Bandbreite in unserem Magazin abbilden.
SPIEGEL: Ist es nicht ziemlich riskant, in Zeiten des digitalen Wandels ein gedrucktes Heft auf den Markt zu bringen?
McEvoy: Die Voraussetzungen sind schwierig, das stimmt. Aber in Großbritannien erscheinen gerade viele High-End-Publikationen wie "These Football Times", "The Blizzard" oder "Mundial". Das spornt uns an. Wir bekommen viel Feedback, das uns zeigt, dass es eine Nische für unsere Themen gibt. Viele Leute sagen, sie hätten am liebsten selbst ein Magazin über deutschen Fußball gestartet - und ärgern sich jetzt, weil sie zu spät sind. Klar ist aber auch, dass ich niemals meinen Job als Stadtplaner für "Halb Vier" aufgeben würde. Es ist ein Hobby.
SPIEGEL: In der ersten Ausgabe geht es unter anderem um die Oberliga Nordrhein in den Achtzigerjahren, alte Trikots von Borussia Mönchengladbach, das Dortmunder Rote-Erde-Stadion - und um Ultras. Was halten Sie von dieser Bewegung?
McEvoy: Die Ultras sind viel politisierter als Fans in England. Und das meistens aus den richtigen Gründen. In England engagieren sich Fans natürlich auch. Sie sammeln Geld oder Essen für Bedürftige. Das ist großartig. Aber es gibt keine richtige Interaktion mit den Vereinen und keinen Widerstand gegen die allgemeine Entwicklung des Fußballs. Wenn ich zum Beispiel an die verschiedenen Anstoßzeiten in der Premier League denke - damit haben sich die meisten Fans abgefunden. Proteste wie in der Bundesliga gegen die Montagsspiele sind hier undenkbar.

Fans des VfB Stuttgart protestieren gegen Montagsspiele (Archivbild)
Foto: Marijan Murat/ dpaSPIEGEL: Die Ultras haben in Deutschland keinen besonders guten Ruf. Nach den Protesten zuletzt gegen Hoffenheims Mäzen Dietmar Hopp war die Empörung groß.
McEvoy: Klar, es gibt eine Minderheit, die Ärger macht. Bei den Stadtderbys in Hamburg und Berlin sind sie sicher zu weit gegangen mit der Pyrotechnik. Aber die Mehrheit der Ultras spricht Themen an, die angesprochen werden müssen. Ich denke, viele Menschen in England bewundern die Fans in Deutschland dafür, dass sie ihre Stimme erheben, auch gegen den eigenen Verein.
SPIEGEL: Gibt es ein Schlüsselereignis für das Interesse der Engländer am deutschen Fußball? Das Champions-League-Finale 2013 zwischen Dortmund und Bayern im Londoner Wembley-Stadion?
McEvoy: Das Spiel hat die Marke Bundesliga noch bekannter gemacht. Doch der deutsche Fußball war schon vorher stark im englischen Bewusstsein präsent. Das britische Militär war nach dem Zweiten Weltkrieg im Nordwesten Deutschlands stationiert. Deshalb hatten schon damals viele Briten auch einen deutschen Lieblingsverein. In den späten Siebzigerjahren hat Kevin Keegan für den Hamburger SV gespielt. Er war damals der vielleicht größte englische Star. Sein Wechsel nach Deutschland hat viel Aufmerksamkeit erregt.
SPIEGEL: Die beiden Länder verbindet eine Rivalität, die über den Sport hinausgeht. Englische Fans singen gern das Lied von den "zehn deutschen Bombern".
McEvoy: Dieser Gesang ist sicher noch manchmal zu hören. Aber tief im Inneren ist der Respekt der Engländer vor den Deutschen größer als vor jeder anderen Fußballnation.
SPIEGEL: Wenn sich der englische Fußball eine Sache vom Fußball in Deutschland abschauen sollte - was wäre das?
McEvoy: Ich würde auf jeden Fall Stehplätze wieder einführen. Bei Celtic in Schottland gibt es schon Stehplätze. Das würde ich gern auch in der Premier League sehen. Den Verkauf von Alkohol während der Spiele fände ich dagegen fragwürdig. Viele Zuschauer könnten damit nicht verantwortungsvoll umgehen.