Ex-Fußballprofi Nickel "Den ganzen Tag aufs Scheunentor geballert"

Eintracht-Größe Nickel: "Mein Onkel hatte gefragt, ob ich zum Probetraining kommen dürfte"
Foto: Bongarts/ Bongarts/Getty ImagesFrage: Herr Nickel, Sie mussten nie irgendwo abschreiben, um einen Doktortitel zu erlangen, Ihre Schusskraft reichte völlig. Wann wurden Sie zu "Dr. Hammer"?
Nickel: Schon relativ früh. Als ich in der Saison 1967/1968 zu den Profis von Eintracht Frankfurt stieß, stand Hans Tilkowski im Tor. Ihm fiel auf, dass ich mit einem strammen Linksschuss ausgestattet war, und er gab mir diesen Spitznamen. Das bekamen bald auch die Reporter mit. Und als ich mit einem ordentlichen Wumms in der Bundesliga bald darauf einen Treffer erzielte, machten die Zeitungen den Namen in ganz Deutschland bekannt.
Frage: Haben Sie den harten Schuss speziell trainiert?
Nickel: Nein, den hatte ich schon immer. Vielleicht sorgt meine Statur für eine besondere Hebelwirkung, die einen strammen Schuss erleichtert.
Frage: Aber die Schusspräzision muss Ihnen jemand beigebracht haben?
Nickel: In meiner Jugend haben wir uns so was selbst erarbeitet. Ich komme vom Dorf, aus Eisemroth in Hessen. Zu Hause hatten wir ein riesiges Scheunentor. Da habe ich den ganzen Tag draufgeballert und mir dabei bestimmte Aufgaben gestellt. Die Scheune ist längst abgerissen. Wahrscheinlich, weil das Holztor morsch war.
Frage: Was denn für Aufgaben?
Nickel: Ich suchte Punkte an der Wand, die ich treffen wollte. Und dann wurde so lange geübt, bis ich es im Schlaf beherrschte.
Frage: 1966 wechselten Sie zu Eintracht Frankfurt.
Nickel: Mein Onkel hatte angerufen und gefragt, ob ich mal zum Probetraining kommen dürfte. So was wäre heute unvorstellbar. Die haben mich gleich bei der ersten Mannschaft mittrainieren lassen.
Frage: Und Ihnen rutschte das Herz in die Hose?
Nickel: Mein Vater fuhr mich hin. Schon kurz hinter Wetzlar bekam ich Herzklopfen. Als ich dann den Eintracht-Bogen am Eingang zum Riederwald sah, blieb mir das Herz fast stehen. Und dann sah ich den Willi Huberts und die Größen, die ich bis dato nur aus dem Fernsehen kannte, und durfte mit ihnen trainieren.
Frage: Und: Wie lief es?
Nickel: Trainer Elek Schwartz sagte, ich könne was. Also wurde ich zu einem Turnier mit den Junioren in Rotterdam eingeladen. Bernd Hölzenbein und ich fuhren als einzige Gastspieler mit. An diesem Tag begann unsere Freundschaft.
Frage: Nach dem Turnier wurden Sie verpflichtet.
Nickel: Wir spielten gegen Tottenham Hotspur und Feyenoord Rotterdam. Meine Schusskraft half mir, ein paar Tore zu erzielen. Der Juniorentrainer sagte, dass er mich haben wolle. Ich kam zurück nach Eisemroth und erzählte jedem stolz, dass ich zur Eintracht wechseln würde. Und dann hörte ich wochenlang nichts mehr.
Frage: Kriegten die Frankfurter kalte Füße?
Nickel: Nein, das Problem war, dass der Jugendcoach unmittelbar nach diesem Turnier den Club verließ. Er war der Einzige, der meine Telefonnummer und Adresse hatte.
Frage: Warum fragten Sie nicht nach?
Nickel: Dazu war ich viel zu schüchtern. Also rief nach drei Wochen mein Onkel an und fragte, was los sei. Er bekam gleich den damaligen Geschäftsführer Jürgen Gerhardt an den Hörer. Der sagte: "Gott sei Dank, dass Sie sich melden, wir suchen den Herrn Nickel schon ewig, wir hatten keine Kontaktdaten."
Frage: 1967 erhielten Sie Ihren ersten Profivertrag.
Nickel: Und es wurde finanziell besser: Neben dem monatlichen Grundgehalt von 1250 Mark gab es Siegprämien von 250 Mark. Für ein Unentschieden gab es die Hälfte und für Niederlagen nichts. Dazu bekam jeder Spieler 10.000 Mark brutto Handgeld pro Saison.
Frage: Gemeinsam mit Jürgen Grabowski und Bernd Hölzenbein bildeten Sie schon bald eine glorreiche Eintracht-Trias. Was war Ihr Erfolgsgeheimnis?
Nickel: Dass wir uns immer gut verstanden haben. Jeder von uns wusste genau, wie der andere tickt, wir haben blind miteinander kombiniert. Dieses Verständnis führte mitunter sogar dazu, dass es immer wieder Krach mit den anderen gab.
Frage: Was passte denen denn nicht?
Nickel: In manchen Spielen übertrieben wir es einfach. Dann spielte ich mit Grabi oder Holz nicht nur den einfachen oder doppelten Doppelpass, sondern den drei- oder vierfachen. Und wenn wir dann hängenblieben, waren die Besserpostierten natürlich beleidigt. Einmal haben wir ein Freundschaftsspiel gegen den SV Hattersheim 30:0 gewonnen. Da habe ich zehn Tore erzielt, der Grabi elf. Peter Reichel war stinksauer, weil wir so selten abgespielt hatten.
Frage: Was entgegneten Sie ihm?
Nickel: "Peter, warum soll ich dir den Ball zuspielen? Da ist er doch gleich wieder fort."
Frage: Wenn Sie Ihre 426 Bundesliga-Spiele Revue passieren lassen: Gibt es ein Spiel, auf das Sie besonders stolz sind?
Nickel: Wir haben den FC Bayern im November 1975 zu Hause 6:0 geschlagen. Es war auch deshalb ein besonderes Spiel, weil ich gegen Sepp Maier einen Eckball direkt verwandelt habe. Das ist mir im Waldstadion übrigens aus allen vier Ecken gelungen.
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