Fußballpionier Udo Steinberg Der Deutsche, ohne den es den Clásico vielleicht nie gegeben hätte

Udo Steinberg (Bildmitte)
Foto: Delius Klasing Verlag/Hochschularchiv MittweidaEs scheint unmöglich, über den 272. Clásico zu berichten, ohne die Namen Lionel Messi und Cristiano Ronaldo zu erwähnen. Und das obwohl - oder besser: gerade weil - die Superstars im aktuellen Duell zwischen dem FC Barcelona und Real Madrid gar nicht mitspielen.
Ronaldo hat Spanien bekanntlich verlassen, Messi fehlt aufgrund seines beim Sieg gegen Sevilla erlittenen Unterarmbruchs. Zum ersten Mal seit elf Jahren treffen die Topteams der Primera División heute (16.15 Uhr, Liveticker SPIEGEL ONLINE) ohne die beiden besten Spieler ihrer Generation aufeinander. Das ist natürlich eine große Geschichte. Aber gerade aus deutscher Sicht gibt es noch ganz andere Themen.

Messi und Ronaldo im Clásico: Pokalhelden, Matchwinner, Tormaschinen
Da ist zum Beispiel Barça-Torwart Marc-André ter Stegen, der in Spanien für seine überragenden Leistungen gefeiert wird. Oder Bernd Schuster, der einzige Deutsche, der sowohl für Barcelona als auch für Real gespielt hat. Und dann gibt es noch Udo Steinberg, von dem wahrscheinlich die Wenigsten gehört haben, obwohl die Geschichte des Clásicos mit ihm beginnt. Denn es war Steinberg, ein Berliner Elektro- und Maschinenbauingenieur, der die ersten Tore im ewigen Duell der spanischen Spitzenteams erzielte.
Udo wer?
Steinberg gehört zu den vergessenen Helden des Sports, weil er in einer Zeit aktiv war, an die sich einfach niemand erinnert. Das kollektive deutsche Fußballgedächtnis beginnt 1954. Jeder kennt die "Helden von Bern" um Fritz Walter, Helmut Rahn, "Fußballgott" Toni Turek und natürlich Nationaltrainer Sepp Herberger. Aber kaum jemand weiß, was davor geschah. Fast scheint es so, als hätte es einfach kein Davor gegeben.
Das hat natürlich gute Gründe. Schließlich war es Herberger, der den Deutschen beigebracht hat, dass der Ball rund ist und ein Spiel 90 Minuten dauert. Zudem war die Weltmeisterschaft in der Schweiz die erste, die live im Fernsehen übertragen wurde. Entsprechend gibt es ein umfassendes Video-Archiv.
Und der ikonische Radiokommentar von Herbert Zimmermann zum Finale ist vermutlich eins der am häufigsten wiedergegebenen Tondokumente der deutschen Geschichte. "Kopfball. Abgewehrt. Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen." Sie kennen das. Jeder kennt das.
Vom überraschenden dritten Platz der DFB-Elf bei der WM 1934 gibt es dagegen keine entsprechenden Aufnahmen. Ebenso wenig vom 8:0-Sieg der sogenannten "Breslau-Elf" gegen Dänemark 1937. Dabei spielte die deutsche Nationalmannschaft um Schalke-Spielmacher Fritz Szepan in diesem Spiel laut Herberger deutlich besser als 17 Jahre später beim "Wunder von Bern".
Fahrradentwickler, Vereinsgründer, DFB-Gründungsmitglied
Die große Zeit von Udo Steinberg liegt sogar noch länger zurück. Steinberg wurde am 13. Juni 1877 in Berlin geboren und begann früh, sich für die verschiedensten Sportarten zu interessieren. Unter anderem war er begeisterter Leichtathlet, spielte Tennis und entwickelte zu seiner Studienzeit am Technikum Mittweida ein spezielles Fahrrad für das damals beliebte Rad-Polo.
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Seine große Liebe wurde aber der Fußball, mit der er im Alter von elf Jahren zum ersten Mal in Kontakt kam. Das war 1888, als mit dem BFC Germania der erste deutsche Fußballverein gegründet wurde. Das Spiel war damals noch als "Fußlümmelei" oder "englische Krankheit" verschrien. Vor allem die einflussreichen Leichtathleten lehnten den neuen Trendsport ab.
Das tat der Beliebtheit keinen Abbruch. 1894 schrieb Konrad Koch in der Zeitung "Spiel und Sport" begeistert, "dass mehr als 6000 Fußbälle jetzt schon in Deutschland von der spiellustigen Jugend benutzt werden". Steinberg war in dieser Pionierzeit an der Gründung etlicher Vereine beteiligt, darunter der Berliner Fußball-Club Brandenburg, Germania Mittweida sowie der Chemnitzer Sport-Club Britannia, aus dem später der Chemnitzer FC hervorging.
Zudem wurde Steinberg erster Schriftführer des "Verbandes deutscher Ballspiel-Vereine", der heute als Berliner Fußball-Verband bekannt ist, und führte am 28. Januar 1900 Protokoll bei der DFB-Gründungsversammlung in Leipzig. Ein Jahr später, nach Beendigung seines Studiums in Mittweida, zog der Ingenieur aus beruflichen Gründen nach Spanien. Im Dezember 1901 schloss sich Steinberg dem zwei Jahre zuvor gegründeten FC Barcelona an.
Die "inakzeptable" Anreise zum ersten Clásico
Der junge Deutsche hatte keine Probleme, sich in der Mannschaft zu etablieren. Zum einen brachte er die sportliche Qualität und Erfahrung mit. Zum anderen gehörte mit Otto Maier ein ehemaliger Mannschaftskamerad Steinbergs zu den Barça-Gründungsmitgliedern. Die beiden hatten ein paar Jahre zuvor beim Berliner Thor- und Fußball-Club "Britannia" zusammen gespielt.
Steinberg wurde in Barcelona sofort zum Stammspieler, brillierte an der Seite von Kapitän Hans Gamper und erzielte in den folgenden zehn Jahren mehr als 60 Tore für Barça, darunter auch die ersten beiden Treffer im allerersten Clásico. Am 13. Mai 1902 folgte der FC Barcelona der Einladung zur Teilnahme an einem Turnier zu Ehren der Krönung Königs Alfonsos XIII, eines Vorgängerwettbewerbs der später etablierten Copa del Rey.
In Madrid traf Barça erstmals auf den ortsansässigen "Foot-Ball Club", der sich 1920 in Real umbenannte. Aber fast wäre es gar nicht zu dem Spiel gekommen. Genauer: Ohne Steinberg wäre es wohl nie dazu gekommen. "Die Reisebedingungen waren so wenig zufriedenstellend, dass der Vorstand des FC Barcelona sie anfangs als inakzeptabel erachtete und man darüber nachdachte, die erhaltene Einladung abzulehnen", schreibt Alberto Maluquer y Maluquer in der 1949 erschienenen "Historia del Club de Futbol de Barcelona".
Es bedurfte einer Initiative des deutschen Stürmers, die Barça-Vereinsführung zu überzeugen. "Steinberg bot an, seine Kosten zu übernehmen und dem Kamerad, der sich diesbezüglich in Schwierigkeiten sah, die Mittel vorzuschießen. Alle schlossen sich dieser Haltung an und die Teilnahme des FC Barcelona am Madrider Wettbewerb war entschieden."
In Barcelona eine Legende, in Deutschland fast vergessen
Der Rest ist Fußballgeschichte: Barça gewann das erste von inzwischen 271 Duellen mit dem ewigen Rivalen aus Madrid 3:1 - auch dank des Doppeltorschützen Steinberg. Noch im selben Jahr wurde der Deutsche erster Nachwuchstrainer des Vereins und gründete die Fußballschule des FC Barcelona, die später unter dem Namen "La Masia" weltberühmt wurde und Superstars wie Messi, Xavi oder Andrés Iniesta hervorbrachte.
Am 25. Dezember 1919 verstarb Steinberg im Alter von nur 42 Jahren an den Folgen einer Lungenentzündung. In Barcelona ist er eine Legende, in Deutschland erinnert sich trotz seiner Verdienste kaum jemand an ihn. Zum Glück gibt es das Archiv der Hochschule Mittweida, das den ehemaligen Studenten 2016 mit einem großen Band "Zum Leben und Wirken von Udo Steinberg" würdigte.
Um im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund seine Spuren zu entdecken, muss man dagegen schon sehr genau hinschauen. Ausgestellt ist dort immerhin ein Trinkstiefel, der an ein Freundschaftsspiel zwischen dem Mittweidaer Ballspielclub und dem Thor- und Fußball-Club Britannia vom 4. Oktober 1896 erinnert. Gestiftet wurde er von Udo Steinberg.