Koeman als neuer Barça-Trainer Umbruch total

Der FC Barcelona steht vor der Verpflichtung von Ronald Koeman. Der "Held von Wembley" soll Trainerautorität zurückgewinnen - und die komplizierte Verjüngung einleiten.
Von Florian Haupt, Barcelona
Ronald Koeman, hier noch mit den Niederlanden gegen Deutschland im Oktober 2018

Ronald Koeman, hier noch mit den Niederlanden gegen Deutschland im Oktober 2018

Foto:

Peter Dejong/ AP

Im Oktober 2007 fing Ronald Koeman als Trainer in Valencia an. Bald sortierte er drei Klublegenden aus, darunter Torwart Santi Cañizares und Kapitän David Albelda. Dafür setzte er auf die 19-jährigen Éver Banega und Juan Mata. Die Saison entglitt in Streit und Chaos. Gegen alle Wahrscheinlichkeit gewann Valencia im April den spanischen Pokal, doch fünf Tage später wurde Koeman entlassen.

Eine Blaupause für das nächste Jahr beim FC Barcelona?

Der niederländische Bondscoach steht dort nach der Entlassung von Quique Setién kurz vor der Übernahme. "Ja, ich würde gern, aber es wird erst definitiv sein, wenn alles unterschrieben ist", sagte er mittags am niederländischen Verbandssitz in Zeist. Koeman, 57, soll dort eine spezielle Ausstiegsklausel besitzen, nur für den Fall einer Anfrage seines Ex-Klubs Barça.

Am Abend bestätigte Klubpräsident Josip Maria Bartomeu das Interesse an Koeman. "Wenn nichts mehr schief geht, wird Koeman kommende Saison Barcas Cheftrainer sein", wurde er auf dem Twitter-Kanal von Barcelona zitiert. Trotzdem sind noch ein paar Dinge zu verhandeln. Er kommt ja nicht in einfachsten Zeiten, wenige Tage nach dem 2:8 gegen Bayern München.

Barcelona sucht jemanden, der mit eisernem Besen kehrt wie Koeman damals in Valencia. Neben dem schwer angeschlagenen Präsidenten Bartomeu, der einen sofortigen Rücktritt jedoch ablehnt, sind nach Jahren der Indulgenz die Spieler in den Mittelpunkt des Scherbengerichts gerückt. Für den angestrebten "weitgehenden Umbau der ersten Mannschaft" und wegen der finanziellen Notlage infolge der Corona-Pandemie muss Barça verkaufen. Derzeit unterhält es den teuersten Lohnzettel des Weltfußballs, angefangen bei Lionel Messi mit seinen rund 100 Millionen Euro brutto.

Erstmals seit vielen Jahren soll der Trainer außerdem wieder mehr sein als Erfüllungsgehilfe. Szenen, wie die vom Januar 2015, sollen sich nicht mehr wiederholen. Damals schwänzte Messi aus Ärger über Trainer Luis Enrique eine Übungseinheit, woraufhin dieser kurz vor dem Aus stand und nur durch die Vermittlung anderer Stars wie Xavi Hernández im Amt blieb. Der Champions-League-Sieg im selben Sommer stärkte das System der Spielermacht, aber er erwies sich als Schimäre. Es folgten jährliche Auswärtsdesaster im Europapokal, die nun in Lissabon kulminierten.

Große Vergangenheit im Verein

Favorit Koeman hat bei Vitesse Arnheim, Ajax Amsterdam, Benfica Lissabon, Eindhoven, Valencia, Alkmaar, Feyenoord Rotterdam, Southampton und Everton eine wechselhafte Karriere als Vereinstrainer hinter sich. Selten wurde seine Arbeit so einstimmig gelobt wie zuletzt mit der Nationalelf, die er aus der internationalen Zweitklassigkeit zurück nach oben führte. Für die Barça-Gemeinde ist er nicht der unumstrittene Heilsbringer, wie es der in Katar auf einen besseren Moment wartende Xavi gewesen wäre. Aber auch nicht die schlechteste Lösung: Er hat eine große Vergangenheit im Verein.

1989 kam er auf expliziten Wunsch von Trainer Johan Cruyff als damals nach Maradona zweitteuerster Spieler der Klubgeschichte. Der Libero agierte als Abwehrchef wie als erster Spielmacher, seine präzisen Pässe waren für das "Dream-Team" so unerlässlich wie seine 67 Tore allein in der Liga in sechs Jahren. Nicht zuletzt ist Koeman der "Held von Wembley", dessen Freistoßtor in der Verlängerung gegen Sampdoria Genua 1992 den ersehnten ersten Triumph im wichtigsten Europapokal bedeutete.

Frenkie de Jong gehört bereits zu den Geförderten des Trainers

Frenkie de Jong gehört bereits zu den Geförderten des Trainers

Foto: LLUIS GENE/ AFP

Nach Rinus Michels, Cruyff, Louis van Gaal und Frank Rijkaard wird er, so der Vertrag zustande kommt, nun der fünfte Trainer aus dem Land, in das aus Barcelona gerade in Krisensituationen immer der erste Blick geht. Weil Niederländer den von Cruyff implantierten Spielstil propagieren, weil sie mutig sind, weil sie für Moderne und Erneuerung stehen. Also genau das, was auch Setién versprach - aber nicht eingelöst hat.

Demgegenüber sagte Koeman Anfang 2019 im katalanischen TV: "Wir sind Holländer, wir haben keine Angst, junge Leute zu bringen." Die bereits neu verpflichteten Außenstürmer Pedri, 17, und Trincão, 20, wie die von Setién zuletzt auf unverständliche Weise ignorierten Klubtalente Riqui Puig, 20, und Ansu Fati, 17, wird es freuen. Auch Frenkie de Jong könnte sich auf seinem Weg, das Zepter im Barça-Mittelfeld zu übernehmen, schlechtere Trainer vorstellen als seinen Förderer aus der Nationalelf.

Neue Wahlen im März 2021

Für den schwer angeschlagenen Bartomeu bedeutet Koeman derweil das "letzte Dribbling" ("La Vanguardia"), um eine verkorkste Amtszeit noch zu einem halbwegs versöhnlichen Ende zu bringen. Die Chancen sind in etwa so groß wie bei einem müden Flügelstürmer, der in der Nachspielzeit noch einmal die komplette gegnerische Verteidigung anläuft. Aber wenn man ihm sonst auch alles vorwerfen kann, dann nicht fehlendes Durchhaltevermögen. Und eine Verpflichtung von Koeman wird fast schon zum Coup, wenn man die Rahmenbedingungen bedenkt. 

Der Präsident hat am Montag den nächsten Urnengang für März 2021 angesetzt. Er selbst wird ihn schon deshalb nicht gewinnen, weil er nicht mehr antreten darf. Das bedeutet: ein Nachfolger, der womöglich mit einem eigenen Trainerkandidaten wie Xavi den Wahlkampf bestreitet, könnte Koeman sogleich entlassen. Den entsprechenden Passus wollte Bartomeu der Fairness halber sogar in Koemans Vertrag einbauen lassen, auch daher zieht sich der Abschluss womöglich noch hin.

Koeman: "Es braucht Änderungen"

Wenn der Bondscoach zusagt, dann tauscht er also die Ungewissheit über die nähere Zukunft des Länderfußballs (wegen der Pandemie hat er 2020 noch kein Spiel gecoacht) gegen die einer auch nur mittelfristigen Jobsicherheit. Dagegen präsentiert sich die Lage aus Sicht der - wenigen - verbliebenen Optimisten bei Barça geradezu komfortabel: Koeman macht die Drecksarbeit. Wenn er parallel Erfolg hat, umso besser. Wenn nicht, findet der Nachfolger wenigstens ein bereinigtes Feld vor.

Anfang 2019 hielt Koeman ein flammendes Reformplädoyer: "Suárez ist über 30, Messi ist über 30, Piqué ist über 30, Busquets ist über 30. Ihnen bleiben vielleicht noch ein paar Jahre, aber danach? Es braucht Änderungen, denn das sind wichtige Positionen, die ganze Achse. Du wirst dann noch einen Torwart haben, aber keinen Abwehrchef, keinen Sechser, keinen Mittelstürmer und keinen Messi. Na dann, viel Glück!"

Er wird es brauchen.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten