
Abgang der Bayern-Talente Söhne aus gutem Hause
Wenn Sinan Kurt in seinen ersten Tagen als Neuzugang von Hertha BSC einen Ansprechpartner braucht, würde sich sein neuer Teamkollege Alexander Baumjohann anbieten. Die beiden könnten sich darüber unterhalten, wie es ist, als Supertalent zum FC Bayern München zu wechseln. Und Baumjohann könnte erzählen, wie es für einen Profi weitergehen kann, wenn er es bei den großen Bayern nicht geschafft hat.
Baumjohann hat das alles vor Jahren schon erlebt, was seinen jungen Profikollegen Sinan Kurt und Gianluca Gaudino gerade bevorsteht: Der Gang weg vom Premium-Klub aus München eine oder gar zwei Stufen herunter in den Alltagsbetrieb der Branche. Dort, wo man nicht mehr täglich mit Arjen Robben oder Jérome Boateng trainiert, aber dafür am Wochenende regelmäßig auf dem Platz stehen darf.
Mit Neu-Herthaner Kurt, Gaudino, der zum FC St. Gallen in die Schweiz wechselt, und Jan Kirchhoff, dessen Weg auf die Insel zum FC Sunderland führt, haben in der Winterpause drei junge Bayern-Profis die Konsequenz daraus gezogen, dass ihnen beim Marktführer in München der Durchbruch nach ganz oben nicht gelungen ist. Ihr Stammplatz war die Ersatzbank, das Nachwuchsteam oder die Tribüne.
Keiner spricht von der "Wechselfalle"
"Die Messlatte liegt bei den Bayern nun einmal höher als anderswo", sagt Lars Mrosko, der für die Bundesliga als Scout jahrelang Talente gesichtet hat - auch einmal für den FC Bayern. In München sei es "naturgegeben schwerer, sich durchzusetzen, als anderswo".
Dass es ein Fehler gewesen sein könnte, so früh nach München zu wechseln und sich dort gezwungenermaßen hinten angestellt zu haben, das weisen die jungen Profis dennoch vehement von sich. Als "Wechselfalle", wie es der "Kicker" letztens nannte, sieht keiner von ihnen die Zeit, die sie in München abgesessen haben. Und wahrscheinlich haben sie recht damit.
Kurt, 19 Jahre jung, Gaudino, ebenso 19, dazu der 20-jährige Däne Pierre-Emile Höjbjerg, der derzeit an Schalke 04 ausgeliehen ist, Mitchell Weiser, 21, der bereits zu Saisonbeginn München Richtung Berlin verlassen hat - der Talentschuppen des FC Bayern ist derzeit ziemlich ausgedünnt. Trainer Josep Guardiola hat in München auf seine Wunschspieler gesetzt, und die hat er sich eben woanders gesucht, nicht im eigenen Garten.
Fast 170 Millionen Euro Transfersumme hat der Rekordmeister in der Ära Guardiola bewegt. So viel Geld gibt man nicht aus, um die entsprechenden Profis anschließend hinter einen Nachwuchsspieler zu setzen. "Ich bereue den Wechsel nicht, ich würde den Schritt in jungen Jahren immer wieder so machen. Ich war ein Jahr komplett bei den Profis und habe dort viel gelernt und viel gewonnen", sagte Kurt dem "Kicker" dennoch.
"Im Nachhinein der falsche Zeitpunkt"
Ein Fazit, das er fast wortgleich bei Baumjohann hätte kopiert haben können. Der heute 27-Jährige kam vor sieben Jahren als junger Kerl von Borussia Mönchengladbach zu den Bayern, er hatte da gerade einmal knapp 30 Bundesligaspiele absolviert, wurde als "Jahrhunderttalent" gefeiert. Verpflichtet hat ihn damals noch Jürgen Klinsmann. Als Baumjohann bei den Bayern anfing, war der lange weg, und es regierte Louis van Gaal. Unter ihm kam er zu drei mickrigen Einsätzen und ging nach einem halben Jahr wieder.
Über Schalke, die Zweite Liga in Kaiserslautern und Hertha, nach zwei Kreuzbandrissen zudem, versucht Baumjohann jetzt den vierten oder fünften Neuanfang. "Ich habe damals die Herausforderung gesucht. Ich hab es bei Bayern versucht. Im Nachhinein würde ich sagen, das ich dort zum falschen Zeitpunkt war", hat er der "Berliner Morgenpost" gesagt.
Der falsche Zeitpunkt - das mag bei einigen als Erklärung herhalten. Als Nils Petersen jung von Energie Cottbus zu den Bayern ging, hießen seine Konkurrenten im Angriff Mario Gomez, Arjen Robben und Thomas Müller. Dass ein junger Mittelstürmer aus der Provinz dagegen keine Schnitte bekam, war vorherzusehen.
Die Bayern als Karrieresprungbrett
Aber auch Petersen hat den Schritt rückblickend als "absolut richtig" bezeichnet. Und es stimmt ja auch: Der Marktwert von Spielern sinkt nicht gerade durch den Umstand, dass sie einmal beim FC Bayern unter Vertrag gestanden haben. "Der Name allein ist ein Zugpferd", sagt Mrosko. Wer einmal bei den Bayern war, bleibt sein Fußballerleben lang ein Ex-Bayer.
Die Bayern als Karrieresprungbrett - so kann man es auch sehen. Oder als eine Art Roulettespiel, bei dem man aber nur gewinnen kann. Wenn man es bei den Bayern schafft, hat man ohnehin den Hauptpreis für sich. Und wenn nicht, gibt es genug ambitionierte Klubs, die sich einen Profi mit dem Etikett Bayernspieler angeln wollen. Mrosko ist überzeugt: "Wer von den Bayern-Amateuren kommt, der landet normalerweise auch im Profifußball."
Emre Can ist so ein Beispiel. Er hat nach 2009 die Jugendabteilungen des FC Bayern durchlaufen und wurde dann zu den Profis hochgestuft. Wo er über vier Ligaeinsätze nicht hinausgekommen ist. Er zog nach zwei Jahren die Konsequenz und wechselte zu Bayer Leverkusen. Heute ist er ein Star beim FC Liverpool und Nationalspieler obendrein.
Wahrscheinlich würden die Bayern für einen Spieler seiner Güte jetzt viel Geld bezahlen.
Im Video: Bei Bayern Ergänzung, bei Hertha Leistungsträger