Bayerns Saisonabschluss Ein bisschen Kitsch zum Schluss

Tränen, Emotionen, ein Last-Minute-Rekord: Das Saisonfinale des FC Bayern taugte als echtes Herz-Schmerz-Kino. Nur Hansi Flicks Worte beim Abschied von Jérôme Boateng und David Alaba kamen nicht ohne Beigeschmack.
Von Florian Kinast, München
Eine letzte Umarmung: Für Hansi Flick und Jérôme Boateng war der Sieg gegen Augsburg der Abschied vom FC Bayern

Eine letzte Umarmung: Für Hansi Flick und Jérôme Boateng war der Sieg gegen Augsburg der Abschied vom FC Bayern

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Christian Kolbert / kolbert press / imago images

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So richtig ergreifend war es auch in Minute 75. In Block 105. Im Unterrang, in Reihe 3. Als sich der eben ausgewechselte David Alaba und Jérôme Boateng um den Hals fielen und sich so innig drückten, als wollten sie einander nie mehr loslassen. Boateng war eine Viertelstunde zuvor unter Tränen vom Feld gegangen und hatte jeden einzelnen Mitspieler umarmt.

Später sagte Hansi Flick: »Die bewegendsten Momente waren, als Jérôme und David bei ihren Auswechslungen auf mich zukamen. Da musste ich mich ganz schön zügeln, um nicht ganz die Emotionen herauszulassen.« Mochte es Flick auch gelingen, die Fassung zu bewahren: Es war ihm anzusehen, wie sehr ihn dieser Nachmittag berührt hatte. War ja auch für ihn das letzte Spiel für den FC Bayern.

Erfolgsduo: David Alaba und Hansi Flick

Erfolgsduo: David Alaba und Hansi Flick

Foto: SVEN HOPPE / AFP

Ein Nachmittag, an dem dann auch noch Robert Lewandowski mit der letzten Chance der Saison Saisontreffer 41 erzielte und sich mit dem Tor zum 5:2-Endstand gegen den FC Augsburg zur alleinigen Bestmarke schoss. Die vielen Verabschiedungen, die großen Emotionen, der Last-Minute-Rekord, kitschiger hätte kein Regisseur diese letzten eineinhalb Stunden in Spielfilmlänge inszenieren können. Es war großes Herz-Schmerz-Kino.

Alles begann mit Fließbandarbeit in hoher Schlagzahl, noch vor Spielbeginn standen Verabschiedungen im Akkord an. Erst die Co-Trainer Miroslav Klose und Hermann Gerland, dann die Spieler Javi Martínez, Alaba und Boateng, zwischendrin streute man noch Tiago Dantas ein, der von Benfica Lissabon ausgeliehen war und nun nach Portugal zurückkehrt. Sie alle erhielten nette Bilder und Collagen für die heimische Wohnzimmerwand, und weil jeder der Geehrten noch ausreichend fotografisch gewürdigt werden wollte, zog sich die Zeremonie in die Länge. Der Anpfiff und die nachfolgenden Sendungen verzögerten sich um fünf Minuten.

Die Jagd nach dem Rekord

Das Spiel selbst war vor allem geprägt vom verzweifelten Versuch der neun Münchner Feldspieler, Robert Lewandowski das eine noch fehlende Tor aufzulegen, um vor Gerd Müller alleiniger Rekordhalter zu werden. Half alles nichts, für die Bayern trafen erst der Augsburger Gouweleeuw ins eigene Tor, danach Gnabry, Kimmich, Coman. Hansi Flick gestand später ein, er habe selbst nicht mehr an die 41 geglaubt. »In der 87. oder 88. Minute sagte ich zu Toni Tapalovic, dem Torwarttrainer, das wird heute nichts mehr.« Wie sehr sich Flick täuschen sollte.

Der Moment vor dem Rekord: Robert Lewandowski hat Rafal Gikiewicz überwunden

Der Moment vor dem Rekord: Robert Lewandowski hat Rafal Gikiewicz überwunden

Foto: Matthias Schrader / AP

Denn als Rafal Gikiewicz in der letzten Spielminute einen Schuss von Leroy Sané nur abprallen ließ, war Lewandowski zur Stelle, umkurvte den Augsburger Torwart und schob zu der neuen Bestmarke ein, die mutmaßlich nun auch wieder für eine Ewigkeit als unantastbar gelten wird. Dass Gikiewicz später nach Spielende mit einem verschmitzten Lächeln auf dem Rasen gesichtet wurde, dürfte übrigens nicht als Indiz interpretiert werden, er habe nicht mit allerletzter Konsequenz den Rekord seines polnischen Landsmannes verhindert. Er war sicher einfach nur froh, dass die für seine Mannschaft so schwierige Saison vorbei war.

Während sich Gikiewicz mit seinen Augsburgern dann doch schleunigst in die Kabine trollte, hatten dann die Bayern ihren letzten großen Auftritt – auf einer Bühne, die vor allem dem Triumvirat Alaba, Martínez und Boateng gehörte. So überließ es Kapitän Manuel Neuer seinen scheidenden Kollegen, bei der offiziellen Ehrung durch DFL-Boss Christian Seifert die Meisterschale in die Höhe zu reißen, bevor die drei doppelten Triple-Gewinner von 2013 und 2020 ihre Kinder auf den Rasen holten, die sich unter den 250 zugelassenen Zuschauern auf der Tribüne eingefunden hatten.

Spielersöhne auf dem Rasen, Erinnerungen wurden wach an ähnliche Szenen früherer Jahre, etwa wie einst die Söhne von Arjen Robben schon im Vorschulalter den gefürchteten Move ihres Vaters in Perfektion vollführten. Erinnerungen wurden aber auch wach an die Meisterfeier 2019, als Boateng mürrisch schmollend ob seiner permanenten Reservistenrolle frühzeitig den Rasen verließ und im Anschluss auch den Mannschaftsabend im Anschluss schwänzte. Zu sehen, wie er nun tränengetrocknet tanzte und feierte, das verdeutlichte noch einmal, wie sehr er in den vergangenen zwei Jahren wieder in die Mannschaft wuchs – und wie sehr sein Abschied und der von David Alaba nun eine deutliche Zäsur für den FC Bayern markiert.

Auch Hansi Flick huldigte Boateng und Alaba später minutenlang. »Jérôme ist einer der besten Innenverteidiger Deutschlands«, sagte Flick. »Ich hatte wirklich gehofft, dass er zur EM mitkommt.« Und dann sagte Flick noch: »Ich weiß, wie gern er hier geblieben wäre.« Was noch einmal als letzter Seitenhieb gegen Sportvorstand Hasan Salihamidžić zu verstehen war, der Boateng unmittelbar vor dem Viertelfinal-Hinspiel gegen Paris Saint-Germain offenbart hatte, dass sein Vertrag nicht verlängert werde.

Große Fußstapfen

Und auch David Alaba wurde von Flick noch mit Lobeshymnen besungen. »Er ist das Herz der Mannschaft, einer der alle Spieler mitnimmt, einer der nicht nur auf drei Positionen Weltklasse ist, sondern den auch seine soziale Kompetenz auszeichnet.« Fast klang es so, als würde Flick noch einmal den Finger in die Wunde legen und den Vorständen zum Abschied ihre Fahrlässigkeit vor Augen halten, die beiden ziehen zu lassen.

Nun kommt zur nächsten Saison neues Personal. Julian Nagelsmann als Trainer, Dayot Upamecano als Abwehrchef, sicher gibt es noch zwei, drei weitere Transfers. Die Bayern werden auch künftig gut aufgestellt sein, es gilt für die Neuen nun, in die Fußstapfen ihrer Vorgänger zu treten, in die Spuren von Flick, Alaba und Boateng. Die Abdrücke sind sehr groß.

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