Bayern München nach dem Pokal-Aus FC Hollywood

Erstmals in dieser Saison ist der FC Bayern in Turbulenzen geraten, und der Trainer kann nicht eingreifen. In einer Amazon-Doku dagegen wird der Alltag des Klubs auf Hochglanz poliert. Lausiges Timing.
Bayern-Vorstand Oliver Kahn in einer Szene der neuen Amazon-Dokumentation

Bayern-Vorstand Oliver Kahn in einer Szene der neuen Amazon-Dokumentation

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Beim FC Bayern ist alles in Ordnung. Die Spieler flachsen untereinander, sie sind wie kleine Jungs, der Vorstand plant derweil mit ernstem Gesicht, sich der Verantwortung bewusst, schon die Erfolge der nächsten zehn Jahre, zwischendurch schlagen Oliver Kahn und Hasan Salihamidžić aber auch mal ganz entspannt ein paar Golfbälle. Auch, wenn der Ball von Salihamidžić dabei im Wasser landet. Es ist die Welt der Amazon-Dokumentation »FC Bayern – Behind the Legend«.

In einer Szene steht Uli Hoeneß, der Patriarch, in einer malerischen Berglandschaft, die Natur breitet sich zu seinen Füßen aus, und er sagt: »Den FC Bayern trägt man im Herzen.«

Man darf davon ausgehen, dass die Bayern-Verantwortlichen mit dieser Dokumentation sehr zufrieden sein werden. Es ist nicht nur heile Welt, aber es ist sehr viel heile Welt. Und immer wieder das Leitmotiv die Familie. Die Bayern-Familie.

Eine Serie, die sich eingruppiert in die Reihe von Fußball-Dokumentationen, die die Streamingdienste seit geraumer Zeit anbieten und bei denen die Grenzen zur PR manchmal fließend sind, manchmal überschritten werden. Die Schlüsselloch-Perspektiven versprechen, aber vor allem schöne Bilder produzieren.

Ein Verein, vielmehr ein Fußball-Konzern, bei dem ein Rad ins andere greift, hochprofessionell, hoch konzentriert, ewig strebend sich bemühend. Weiter, immer weiter. Das ist das Bild, das der Verein ausstrahlt, wenn er sich in Maßen hinter die Kulissen blicken lässt. Und all das in Hochglanz. Zu sehen bei Amazon Prime ab Dienstag.

Man kann sagen: Das Timing ist verbesserungsfähig.

Am Montag waren Kahn, Salihamidžić und Co. noch über den roten Teppich geschritten, als die Dokumentation in einem Münchner Kino ihre Vorpremiere feierte. Zwei Tage später wurde dem Team im DFB-Pokal der Teppich unter den Füßen weggezogen.

Nach dem 0:5 bei Borussia Mönchengladbach befindet sich der Rekordmeister erstmals in dieser Spielzeit in Turbulenzen, und wahrscheinlich wäre es jetzt wirklich interessant, mit der Kamera als Augen- und Ohrenzeuge dabei zu sein, »behind the legend«.

Die Diskussionen um Joshua Kimmichs Impfstatus, um Lucas Hernández' Freiheitsstatus und Julian Nagelsmanns Gesundheitsstatus bilden zu all dem eine weit unschönere Kulisse als das Bergpanorama hinter Hoeneß.

Nur ein Ausrutscher?

Eine Woche hat ausgereicht, um die heile Münchner Welt in Unruhe zu versetzen. Und ob sich die Anhänger die Dokumentation in der kommenden Woche in Gelassenheit angucken können oder nicht, das hängt auch maßgeblich von der Aufgabe an diesem Wochenende ab: Der FC Bayern kehrt nach dem Pokal-Aus in den bisher so erfolgreichen Ligabetrieb zurück, aber der heimstarke Gegner 1. FC Union Berlin (Anpfiff Samstag 15.30 Uhr Liveticker SPIEGEL) ist alles andere als ein Garant, dass es auch zurück in die Wohlfühl- und Komfortzone geht.

Ein Sieg bei Union, und man könnte in München die historische Pokalpleite als Ausrutscher einordnen. Ansonsten jedoch droht die Gefahr, die Niederlage vom Mittwoch als Zeichen zu interpretieren, dass es sich hier um tiefergehende Dinge dreht. Die »FAZ« fragte nach dem Gladbach-Spiel bereits: »Ist bei den Bayern etwa mehr kaputt?«

Dass seit Tagen über die Frage spekuliert wird, wie der Umstand, dass Joshua Kimmich einer von angeblich fünf ungeimpften Bayern-Profis ist, an die »Bild«-Zeitung geraten konnte, wer der Zeitung diese Meldung gesteckt hat und aus welchen Motiven, das kann dem Verein nicht passen.

»Unruhe tut nie gut«

In der Dokumentation wird eigentlich unablässig in der Mannschaft gescherzt, gefrotzelt, es geht um Shampoo und Körperpflege, darum, wer wo im Schnelligkeitsranking der Mannschaft anzusiedeln ist. Lustig, lustig, Radio Müller auf allen Kanälen.

All diese netten anekdotischen Bilder, mit elegischer Musik unterlegt, werden allerdings konterkariert, wenn es im Umfeld der Mannschaft jemanden gäbe, der Infos mit solcher Sprengkraft wie die Kimmich-Geschichte an die Medien weiterreicht.

In der Amazon-Doku herrscht beste Laune im Team

In der Amazon-Doku herrscht beste Laune im Team

Foto: Amazon

»Unruhe tut nie gut«, sagt Julian Nagelsmann. Die Abwesenheit des Trainers aufgrund seiner Corona-Isolation ist seit Mittwoch ein großes Thema geworden, auch wenn er am Freitag vor der Presse selbst sagt, »wir hätten das Spiel auch mit mir nicht gewonnen«.

Auch gegen Union wird er an der Seitenlinie noch fehlen, Assistent Dino Toppmöller wird ihn erneut vertreten, und Nagelsmann sagt selbst, dass dies die Dinge verändert: »Es gibt nun einmal eine klare Rollenverteilung, ich bin der Cheftrainer, da kann der Assistent nicht dann zwei Wochen lang plötzlich vor der Mannschaft eine Show abziehen«.

Sein Einfluss als Trainer via Videoansprache stoße an Grenzen: »Das kann Ihnen jeder Lehrer in der Pandemie bestätigen, dass das was anderes ist, als wenn man selbst vor der Klasse steht.« Es gehe »um Präsenz, es geht um Ansprache«, all das wird auch am Samstag an der Alten Försterei noch so sein.

Nagelsmann hinterlässt eine Lücke, und das zeigt sich nicht in Heimspielen gegen Hoffenheim, das zeigt sich in Partien wie am Mittwoch.

Die Rolle des Cheftrainers

Letztlich spricht das für ihn – und dafür, welche wichtige Funktion der Cheftrainer selbst bei einem Starensemble hat, das eigentlich alles gesehen und gespielt hat. Und von dem man glauben könnte, sie hätten diese Form der persönlichen Ansprache nicht mehr nötig.

Nagelsmann sagt, der Mittwoch habe gezeigt, »dass wir Menschen sind und keine Maschinen«, er gehe dennoch davon aus, dass das Spiel von Mönchengladbach »etwas Einmaliges« habe und wurde gar leicht philosophisch: »Das Leben wirft manchmal Steine, manche sind schwerer, manche leichter, der vom Mittwoch war ein Felsen«. Am Samstag wartet der nächste harte Brocken.

Eine Niederlage bei Union, das in den vergangenen 21 Heimspielen nicht verloren hat – und der FC Bayern wäre wieder der FC Hollywood. Ab sofort nicht nur bei Amazon zu bestaunen, sondern auch in der Realität.

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