Bayerns Remis gegen Leipzig Mitten in der Wildsaison

Robert Lewandowski
Foto:LUKAS BARTH-TUTTAS/POOL/EPA-EFE/Shutterstock
Nach Abpfiff fanden sich auf dem Platz zahlreiche Pärchen: David Alaba plauderte mit Landsmann Marcel Sabitzer, einige Meter weiter sprach Leroy Sané mit Angeliño, seinem früheren Mitspieler bei Manchester City. Und am Mittelkreis scherzte Thomas Müller mit Julian Nagelsmann, zwei Oberbayern unter sich. Kurzum, ein harmonisch friedlicher Ausklang eines spektakulären Spitzenspiels.
So wirkten sie nach diesem unterhaltsamen 3:3 alle auch irgendwie zufrieden. Die Leipziger, weil sie in München einen Punkt geholt hatten. Die Bayern, weil sie im Spiel zweimal einen Rückstand aufholen und die Spitzenposition in der Liga verteidigen konnten. Doch so richtig glücklich waren sie beim Meister freilich nicht.
Zu sehr offenbarte sich wie schon so oft in dieser Saison auch in diesem Spiel die abhanden gekommene Balance, die Diskrepanz zwischen einer famosen Offensive und einer mangelhaften Defensive. Einmal mehr zeigte sich dabei auch, wie sehr den Bayern momentan ein intaktes Mittelfeld fehlt, als Schaltzentrale, als Bindeglied zwischen Abwehr und Angriff.
Bei den Bayern stimmt es vorne. Und hinten nicht.
Offensiv sind sie gerade kaum zu bremsen, allen voran mit Thomas Müller, am Samstag zweifacher Torschütze und seit Wochen in überragender Form. Oder mit Kingsley Coman, dem mit seinen drei Assists quasi ein Vorlagen-Hattrick glückte. 34 Tore nach zehn Spielen, hochgerechnet wird die Trefferbilanz auch in dieser Saison wieder dreistellig. Nur defensiv hapert es gewaltig.
So viele Gegentore wie unter Kovac
Die Fehler bei den drei Gegentoren waren sinnbildlich für die Probleme im Abwehrverbund. Beim Konter vor dem 0:1 klappte die Rückwärtsbewegung nicht, beim Ausgleich zum 2:2 fehlte die Aggressivität. Und bei Leipzigs 3:2 nach der Halbzeit stand Emil Forsberg bei seinem Kopfball ungedeckt am Fünf-Meter-Raum. »Ich war schon überrascht, wie frei ich war«, sagte Forsberg später, schließlich hielten die Innenverteidiger Niklas Süle und Jérôme Boateng einen höflichen Abstand von fünf Metern.
Zu langsam, zu passiv, zu weit weg. Die drei großen Mankos der Abwehr am Ende des Triple-Jahres 2020.
»Wir haben viel zu einfache Gegentore bekommen«, sagte Hansi Flick und erinnerte an die erfolgreiche Vorsaison: »Wenn man sieht, wie wir da verteidigt haben, mit welcher Souveränität, dann sieht man schon, dass es heute nicht ganz optimal gelaufen ist.« Und dass es ganz allgemein nicht optimal läuft. Das zeigen die Zahlen: Nach zehn Spielen halten die Bayern bei 16 Gegentoren, genau wie nach dem zehnten Spieltag der Vorsaison, damals nach dem 1:5 in Frankfurt, dem letzten Spiel von Niko Kovac. Unter Hansi Flick gab es danach in den folgenden 24 Liga-Spielen nur weitere 16 Gegentore. So viel wie eben jetzt in zehn Begegnungen.
Früher sachlich, heute wild
Als ein »wildes Spiel« bezeichnete Flick das 3:3 später noch. Wild, ein Adjektiv, das man in dieser Saison schon oft gehört hatte, eigentlich aber ein Wort, das so ganz untypisch ist für das Selbstverständnis des FC Bayern. Früher waren Spiele des FC Bayern sachlich, nüchtern, humorlos. Aber selten wild. Wild mögen sie gar nicht.
Wild war das 4:3 gegen Hertha BSC oder auch das 6:2 in Salzburg. Wild war das 3:3 gegen Leipzig auch deswegen, weil nur selten ein geordneter Spielaufbau stattfand. »Wir haben oft lange Bälle eingestreut, ohne dass wir irgendetwas vorbereitet hatten. Das möchte ich nicht sehen.« Kritik, die eindeutig an Boateng gerichtet war, dessen so zahlreiche wie erfolglose Diagonalbälle in die Spitze an die kernigen Zeiten des britischen Kick-and-Rush erinnerten. »So können wir das nicht machen«, murrte Flick, »ich möchte, dass der Ball flach am Boden zirkuliert«. Aber dafür mangelt es ihm gerade auf den Schlüsselpositionen des Spielaufbaus im Mittelfeld am geeigneten Personal.
Joshua Kimmich und Corentin Tolisso: verletzt. Thiago: abgewandert nach Liverpool. Javi Martínez: Am Samstag früh verletzt vom Feld, Verdacht auf Muskelfaserriss. Und wenn dann auch Leon Goretzka wie am Samstag nicht seinen besten Tag hat, dann klafft da einfach eine riesengroße Lücke. Dann kommen die da vorne und die da hinten nicht mehr richtig zusammen.
Vier Spiele hat der FC Bayern noch bis Weihnachten, nach dem bedeutungslosen letzten Gruppenspiel gegen Lok Moskau in der Champions League (9.12.) geht es in der Liga noch zu Union Berlin (12.12), zu Hause gegen Wolfsburg (16.12.) und zuletzt nach Leverkusen (19.12). Es wäre an der Zeit für die Bayern, dass sie wieder die Balance finden und die eigene Mitte.