Nach der 28. Deutschen Meisterschaft Warum sich Bayern-Fans noch freuen

Jubelnde Bayern-Profis
Foto: MICHAELA REHLE/ REUTERSWirklich, ich freue mich. So sehr, dass ich am Samstagvormittag noch extra aus dem Haus gegangen bin und eine Tafel Schokolade mit Eierlikörfüllung gekauft habe, um sie am Abend zu Ehren des 28. Meisterschaftstitels meines Vereins festlich und in Gänze zu verspeisen.
Eventuell rufe ich noch meine Mutter (BVB-Fan) an und lasse mir von ihr gratulieren, eine liebe Gewohnheit. Wahrscheinlich wird sie mich wieder fragen, ob ich mich überhaupt noch über einen neuen Bayern-Titel freuen könne, weil die alljährliche Gewinnerei in den vergangenen Jahren des lückenlosen Meisterschaftsreigens inzwischen ja schon Gewohnheit geworden sei.
Muss man erst leiden, um sich zu freuen?
Ich finde diese Frage komisch: Als könne man sich nur dann richtig freuen, wenn man sich zuvor eine ganze Weile nicht freuen durfte. Als sei ein Titel weniger wert, weil er der sechste in einer Reihe und nicht der erste seit sechs Jahren ist. Zugegeben, der gewonnene Champions-League-Titel 2013 strahlte vor dem Hintergrund des tränenverhangen finsteren "Finale dahoam" doppelt so hell - aber ich hätte ein Jahr zuvor auch gut darauf verzichten können, beim finalen Elfmeterschießen mit rasendem Herzen beim Public Viewing im Kies eines Münchner Biergartens zu knien.
Von links und rechts hatten sich zwei fremde, in Vorahnung schon leise ächzende Fans wie verlorene Koalabären an mich rangeschnuggelt, während ich eine präparierte Rehpfote, die sich durch das Turnier als unfehlbarer Glücksbringer erwiesen hatte (eine längere Geschichte), so fest umklammerte, dass meine Hand wehtat. Wirklich, hätten wir damals gewonnen, ich hätte mich SEHR gefreut, ganz ohne vorangegangenes Niederlagenjammertal als Kontrast.

Seltenes Bild: Spieler des FC Bayern nach dem verlorenen Champions-League-Finale 2012
Foto: Peter Kneffel/ dpaSchwarzwälder Kirsch schmeckt auch ohne Gewaltmarsch
Gefühlslagen werden schließlich nicht von einem Achterbahn-Architekten konstruiert, der darauf achtet, dass man immer schön abwechselnd in die Tiefe rauscht und wieder furios daraus in höchste Höhen emporsaust. Klar, während solcher Berg-und-Tal-Fahrten quieken die Passagiere meistens lauter als die Fans in der Allianz-Arena bei erfolgreichem Torschuss, aber es gibt eben verschiedene Ausdrucksweisen von Freude. Man muss nicht immer krakeelen.
Und man muss nicht immer erst sichtbar schwitzig und demonstrativ angestrengt um einen Titel ringen, um ihn genießen zu können. Souveränes Siegen ist doch auch schön, das erlebt man viel zu selten im Leben. Die Charaktere sind da vielleicht unterschiedlich, aber ich persönlich muss nicht erst eine lange, entbehrungsreiche Wanderung durch Regengüsse und Sumpfwannen unternehmen, um mich am Ende von Herzen über das fantastische Stück Schwarzwälder Kirsch freuen zu können, das mir am Zielpunkt im Ausflugslokal als Belohnung für meine Mühen überreicht wird - ich kann auch gemütlich mit dem Auto ins Café gondeln und freue mich genauso über die Torte.
Meisterschaften und Ostern kann man jährlich feiern
Es sei halt einfach nicht mehr spannend, mäkelte vergangenes Wochenende beim Osterkaffee ein Freund, wenn Bayern immer gewinne. Ich entgegnete ihm, zugegebenermaßen etwas übermütig, dass sich die Leute doch auch jedes Jahr an Ostern freuen, dass Jesus auferstanden ist, und nicht herumkritteln, dass zur Abwechslung doch mal die mit ihm Gekreuzigten Dismas oder Gestas den Heiland machen sollten, damit die Feiertage wieder spannend würden.
So vieles im Leben ist unvorhersehbar, manchmal glücklicher-, manchmal schrecklicherweise, da habe ich nichts gegen ein bisschen Konstanz. Zumal es, davon abgesehen, doch durchaus Abwechslung gibt: Die Bayern gewinnen ja immer anders. Mal knäpplich abgerungen, mal aberwitzig offensichtlich wie zuletzt beim 6:0 gegen Dortmund.
Trauma durch Kartoffelbreiwerbung
Ich werde jedenfalls sehr gerne jedes Jahr Meister, es langweilt mich kein bisschen, vielleicht lässt sich das auch auf frühkindliche Prägung schieben: Als Kind fürchtete ich mich stets vor dem Instantkartoffelbreiwerbespot, in dem ein geschwätziger Opa am Frühstückstisch seine Familie bis ins Mark verunsicherte: "Wisst ihr schon? Oma stampft nicht mehr!"
Obwohl ich mir selbst nicht einmal besonders viel aus Kartoffelbrei machte, beunruhigte mich dieses kurze Filmchen auf unerklärlich heftige Weise, wohl auch, weil ich der stampffaulen Oma keinen Moment lang abkaufte, dass der fertig aus der Packung angerührte Brei ja sowieso genauso schmecke wie der Handstampfpampf. Ich war damals übrigens auch schon Bayern-Fan. Und ich glaubte in diesen Jahren ziemlich lange, dass das Wort Meister von "meistens" kommt.