Aus gegen Atlético Bayern schafft das Schlappen-Triple
Er sei sich nicht sicher, sagte Thomas Müller, ob es so etwas wie eine Steigerung von "bitter" überhaupt gibt. "Ausgeschieden ist ausgeschieden", sagte er. Der sonst so schlagfertig flachsende Offensivspieler des FC Bayern stand auch am Dienstagabend in der Interviewzone Rede und Antwort. Doch diesmal war nichts Fröhliches an ihm.
Der 2:1-Sieg gegen Atlético Madrid hatte nicht gereicht, um das Finale der Champions League zu erreichen. Dieses Ausscheiden reihte Müller ein in die allerbittersten Momente der Klubgeschichte: "Vom Gefühl her waren wir eigentlich noch besser als im Finale 2012, wir waren noch überlegener", sagte er. 2012 hatte man das "Finale dahoam" gegen den FC Chelsea denkbar unglücklich verloren.
Mit monotoner Stimme erklärte Thomas Müller, welch himmelschreiende Ungerechtigkeit seiner Mannschaft gerade widerfahren war. "Unsere Intensität war super. Wir haben nicht nur Ballbesitz-Fußball gespielt, wir hatten auch Zug nach vorne. Wir hatten Leidenschaft. Haben uns in die Zweikämpfe gehauen. Gegen die Zweikampf-Biester aus Madrid in der ersten Halbzeit alles gewonnen."
Bilanz am Ende: 35:7 Torschüsse
Müller war nicht der Einzige, der haderte. "Wir haben in 180 Minuten (Hin- und Rückspiel, d. Red.) 150 Minuten dominiert. Dann ist das Ausscheiden schon besonders bitter", sagte Kapitän Philipp Lahm. Auch deshalb, weil man gegen Atlético ähnlich dominant gewesen war wie zum Beispiel gegen den FC Arsenal in der Vorrunde. Das Ergebnis damals: 5:1. Ohnehin haben die Bayern alle sechs Heimspiele in der Königsklasse gewonnen. Aber was nützt ihnen das jetzt?

Viel war vor dem zweiten Halbfinale darüber geredet worden, ob die Mannschaft genug Offensivkraft mitbringt, um die wohl beste Abwehr Europas zu knacken. Ob sich der scheidende Trainer Josep Guardiola erneut verzockt oder doch noch triumphiert.
Nach dem Spiel stellten sich diese Fragen nicht mehr. 35:7 Torschüsse und ein bis zum Schluss elektrisiertes Stadion machten deutlich, dass man diesmal nicht einfach an einer spanischen Mannschaft gescheitert war, so wie 2014 und 2015. Sondern irgendwie an einer höheren Macht, die es den Bayern einfach nicht vergönnte. "Dieses Jahr war es anders. Wir hätten das Finale verdient gehabt", sagte Robert Lewandowski, dem in einer spannenden Schlussphase das 2:1 gelungen war (74.). Selbst Atlético-Trainer Diego Simeone fand: "Ich habe in der ersten Halbzeit gegen die beste Mannschaft in meiner Karriere gespielt. Es ist unfassbar, wie Bayern aufgetreten ist."
Rummenigges seltsame Verdächtigungen
Das im Europapokal so wichtige Auswärtstor, das im Hinspiel mal wieder fehlte; ein einziger Abwehrfehler, der in München das Auswärtstor besiegelte - es gibt immer triftige Gründe für ein Ausscheiden. Doch weil die Überlegenheit gegen Atlético so überdeutlich war, taugte dieser Abend nicht dafür, nach einem Schuldigen zu suchen. Eigentlich.

Bayerns Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge fand ihn trotzdem: den Schiedsrichter. "Wir fühlen uns ein bisschen betrogen", sagte er. Der Elfmeter für Atlético etwa sei unberechtigt gewesen, Antoine Griezmann habe vor seinem Tor zum 1:1 in der 54. Minute im Abseits gestanden. Der Uefa-Delegierte habe anschließend über den türkischen Unparteiischen gesagt: "It's a shame what he did" - eine Schande.
Allerdings: Die Elfmeter-Entscheidung zugunsten Madrids war nicht spielentscheidend gewesen. Und ob Griezmann beim Steilpass wirklich im Abseits stand, war selbst in der Zeitlupe kaum zu erkennen. Die Argumentation blieb sehr dünn.
Rummenigges Taktik, mit seinen Aussagen von einer eventuellen Kritik an der Mannschaft abzulenken, lief komplett ins Leere. Denn niemand kritisierte die Bayern. Jérôme Boateng fand zwar, man hätte vor dem 1:1 "besser verteidigen" können. Er hätte damit jedoch viele Mitspieler meinen können.
Thomas Müller, der im Hinspiel nur zu einem Kurzeinsatz gekommen war, übte sich dann noch in Selbstkritik: "Der Elfmeter ist eine Riesenchance, den muss ich machen", sagte er über die 34. Minute. Der Strafstoß fiel in eine Phase, in der Atlético schon in die Knie gezwungen schien. Doch Müllers halbhoher Elfmeterschuss wirkte so, als habe plötzlich jemand die Lunte vom Feuerwerk weggezogen.
In den drei verbleibenden Pflichtspielen wird sich zeigen, ob die Bayern die Enttäuschung in Trotz umwandeln können. "Wir haben es gerade in der Kabine schon versucht", sagte Lahm. Man wolle am Samstag in Ingolstadt unbedingt gewinnen, um es in der Meisterschaft nicht noch unnötig spannend zu machen. "Aber nach so einem Spiel wie heute ist noch nicht wirklich der Gedanke so groß ans Wochenende", fügte er mit ehrlichen Worten an. Es ist allerdings gut möglich, dass nun der FC Ingolstadt die Ungerechtigkeit in der Champions League ausbaden muss.