
Chelsea-Trainer unter Druck Zu hart geschmirgelt
- • Chelseas sechster Meistertitel: Sie konnten es eben auch an jenem kalten Abend in Stoke
- • Citys Sieg gegen Chelsea: Manchester League
Das zweite Jahr ist immer das schwerste an der Stamford Bridge. Seit der russische Rohstoff-Milliardär Roman Abramowitsch den FC Chelsea im Sommer 2003 übernahm, erlebte nur ein einziger Trainer eine dritte Saison auf der Bank: José Mourinho, der die Blues von 2004 bis 2007 trainierte.
Antonio Conte wird seinen Posten in Westlondon wahrscheinlich nicht mehr allzu lange bekleiden. Der Italiener gewann zwar im Vorjahr auf recht eindrucksvolle Weise die Premier League, hätte aber seinen Job beinahe im Sommer von sich aus hingeschmissen, weil ihn die vorsichtige Transferpolitik der Klubspitze aus der Fassung brachte. Conte wies intern wiederholt darauf hin, dass Chelseas Rückkehr in die Champions League eine entscheidende Stärkung des Kaders unabdingbar mache.
Geschäftsführerin Marina Granovskaia setzte gemäß den Wünschen des Vereinspatrons jedoch nur budgetneutrale Veränderungen durch. Chelsea kaufte Neuzugänge wie Stürmer Álvaro Morata (kam von Real Madrid) und Antonio Rüdiger (AS Rom) für insgesamt 199 Millionen Euro, nahm aber fast ebenso viel (196 Millionen Euro) für Abgänge wie den Angreifer Diego Costa (zu Atlético Madrid) ein.
Raphael Honigstein, gebürtiger Münchner, lebt seit 1993 in London, von wo er für SPIEGEL ONLINE über englischen Fußball berichtet. Ist außerdem Buchautor und Fernsehexperte sowie ehemaliger Stürmer mit mehr Kreuzbandrissen als Toren. Hat aber neulich einen Zweikampf gegen Lothar Matthäus gewonnen.
Der impulsive, extrem ehrgeizige Trainer ahnte früh, dass der Sparkurs Chelsea in der Liga angesichts der immensen Investitionen der beiden Manchester-Klubs zurückwerfen würde. Er drohte mit Rücktritt, wurde aber im Juli mit einem neuen Vertrag besänftigt. Chelsea hob seine Bezüge an, ohne jedoch die Laufzeit (bis 2019) zu verlängern. Man zahlte dem 48-Jährigen mit anderen Worten Schweigegeld. Eine vernünftige Basis für eine längerfristige Zusammenarbeit sieht anders aus.
"Wir sind in einer Notsituation"
Vor Wochen wurde in Italien kolportiert, dass Conte nach Ablauf dieser Spielzeit Chelsea den Rücken kehren wolle. Vielleicht kommt das Ende aber, wie so oft am Hofe Abramowitsch, um einiges schneller. Contes erschöpft wirkende Elf verlor zuletzt zweimal in der Liga (0:1 gegen Tabellenführer Manchester City, 1:2 bei Schlusslicht Crystal Palace) und kam auch in der Champions League gegen die AS Rom nur zu einem 3:3. Vor dem Duell gegen den Überraschungsvierten Watford am Samstag (13.30 Uhr, Liveticker SPIEGEL ONLINE) weist der Meister schon neun Punkte Rückstand auf die Tabellenspitze auf.
Er wolle "keine Ausreden suchen", sagte Conte nach dem Remis gegen seine Landsmänner. Aber das Problem sei nun mal, dass er ob des "dünnen" Kaders "immer die gleichen Spieler" spielen lassen müsse. Mittelfeldmann Tiemoué Bakayoko und Morata gingen bereits angeschlagen in die Partie, die Verteidiger David Luiz und Gary Cahill trugen Blessuren davon. N'Golo Kanté, der französische Schlüsselspieler für Contes kräftezehrenden Konter-Fußball, fehlt derzeit ebenso wie der Nigerianer Victor Moses auf dem rechten Flügel. "Wir sind in einer Notsituation", sagte der Coach.
Das kann man so sehen, lässt aber die Frage offen, warum die Londoner ihren Kader nicht mit ein paar ihrer insgesamt 30 (!) an andere Vereine verliehenen Spieler aufgefüllt haben. Conte bestand anscheinend auf fertige, teure Stars.
Spieler zeigen Abnutzungserscheinungen
Die aktuelle Verletzungsmisere stellt unweigerlich auch Contes Trainingsmethoden auf den Prüfstand. Der bestens vernetzte "Times"-Reporter Matt Hughes schrieb, dass der Trainer sein berüchtigt-intensives Programm nicht dem sehr viel engeren Spielplan der laufenden Saison angepasst habe. Es gebe zu wenig freie Tage, um Beine und Köpfe zu regenerieren, die zahlreichen physischen und taktischen Einheiten hätten das Team ausgelaugt. "Die Spieler stehen weiter hinter dem Trainer, plädieren aber dafür, dass er das Pensum verändert, um der Gefahr eines Burn-outs entgegenzuwirken," so Hughes.
Conte, der bei Juventus einst den Nationalheiligen Gianluigi Buffon für dessen mangelnde Aufmerksamkeit während einer Besprechung vor versammelter Mannschaft in Grund und Boden schrie, gehört zu der Sorte Übungsleiter, die ihre Angestellten bis zum Anschlag fordern. Auf der inoffiziellen Schmirgelskala trainiert er mit voller Stärke. Das hatte bereits im Vorjahr für Irritationen gesorgt, geht man es unter der Woche auf der Insel wegen der vielen Spiele traditionell eher ruhig an. Doch der Erfolg unterdrückte bislang alle Zweifel an Contes Arbeitseifer.
Der Apulier mit dem Faible für den Blues-Brothers-Look (enges schwarzes Sakko, dünne schwarze Krawatte) muss sich nun etwas Besonderes einfallen lassen, um Chelsea zurück in den Groove zu führen - er kann weder groß rotieren noch das Team wie im Meisterjahr mit verschärften Drills taktisch umerziehen. Wie diese Geschichte noch irgendwie gut ausgehen könnte, ist momentan nur schwer zu erkennen.
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Antonio Conte muss derzeit ungemütliche Tage überstehen: Die Kritik am italienischen Chelsea-Trainer nimmt zu. In der Liga verloren die Blues zuletzt zwei Spiele in Serie, in der Champions League kamen sie nur zu einem Unentschieden gegen die AS Rom.
Dabei wurde der 48-Jährige bis vor Kurzem noch frenetisch vom Anhang der Londoner gefeiert. In seinem Premierenjahr in England hatte Conte den Meistertitel gewonnen und war ins FA-Cup-Endspiel eingezogen.
Sein Ruf als gewiefter Taktiker eilte ihm voraus - und auch auf der Insel konnte Conte (Mitte) ihn bestätigen. Mit seiner Umstellung auf eine Dreierkette und zwei Wing Backs sorgte er in England für Aufsehen. Doch Conte konnte damit das Potenzial seines Kaders voll ausschöpfen - der Erfolg gab ihm recht.
Durch einen 1:0-Sieg bei West Bromwich Albion errangen die Blues einen Spieltag vor Saisonende die sechste Meisterschaft der Vereinsgeschichte. Mit 30 Siegen aus 38 Spielen stellte Contes Chelsea eine Bestmarke für die Premier League auf.
Doch zur neuen Spielzeit traf der Italiener einige fragwürdige Transferentscheidungen, die ihm nun den Unmut der Fans einbringen: Nicht nur Nemanja Matic ließ er zu Ligarivale Manchester United ziehen. Auch für Diego Costa (links), mit 20 Ligatoren Leistungsträger in der Meistersaison, sah Conte keine Verwendung mehr.
Das sollte sich rächen: Im Spitzenspiel gegen Manchester City verletzte sich Costa-Ersatz Álvaro Morata (M.) früh. Ohne einen adäquaten Ersatz im Sturmzentrum verlor Chelsea 0:1.
Der Rückstand auf Tabellenführer City wuchs sogar auf aktuell neun Punkte, weil Chelsea bei Crystal Palace unterlag. Zuvor konnte das Schlusslicht in sieben Spielen keinen einzigen Treffer erzielen oder einen Punkt einfahren. Auch Tiemoué Bakayoko (links), der als Matic-Nachfolger aus Monaco verpflichtet wurde, konnte die Blamage nicht verhindern.
Das Überstehen der Gruppenphase in der Champions League ist trotz der momentanen Schwächephase zwar nicht gefährdet. Allerdings konnte Chelseas jüngster Auftritt gegen Rom nicht die Defizite überdecken, die die Blues derzeit mit sich herumschleppen: Die Londoner gaben einen Zwei-Tore-Vorsprung aus der Hand und mussten sich letztlich mit einem Remis zufriedengeben.
Vor seinem Amtsantritt an der Stamford Bridge war Conte zuletzt als Nationaltrainer Italiens tätig. Die Qualifikation zur EM 2016 brachte er ungeschlagen hinter sich. Bei der Endrunde überraschte seine Squadra Azzurra dann spielerisch und schaltete Spanien im Achtelfinale aus. In der Runde der letzten acht Teams war schließlich im Elfmeterschießen gegen die DFB-Auswahl Endstation.
Zuvor hatte sich Conte mit einer blendenden Bilanz als Juventus-Coach für den Posten des "Commissario tecnico" beworben: In seinen drei Jahren auf der Trainerbank gewann er dreimal in Serie die italienische Meisterschaft, 2014 gelang ihm ein nationaler Punkterekord. Ein Streit mit den Juve-Klubbossen über die Transferpolitik besiegelte das Ende von Contes Engagement.
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