Schalke-Fans vor dem Derby gegen Dortmund FC Schmerzen 04

Vor dem Revierderby gegen den BVB befindet sich der FC Schalke in der womöglich größten Krise seiner Geschichte. Wie erleben die Fans den Niedergang ihres Klubs - und was macht ihnen Hoffnung?
Fans des FC Schalke bei einem Heimspiel in der vergangenen Saison

Fans des FC Schalke bei einem Heimspiel in der vergangenen Saison

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Thomas Pakusch / imago images

Vor dem Revierderby am Samstag zwischen Borussia Dortmund und Schalke 04 laufen beim TV-Sender Sky Wiederholungen alter Duelle, eines wirkt dabei besonders faszinierend. Es ist zwölf Jahre alt, der BVB, trainiert von Jürgen Klopp, lag damals zu Hause 0:3 zurück. Das Dortmunder Stadion mit seinen 80.000 Zuschauern: nahezu still. Nur die mitgereisten Schalker sangen - bis der BVB auf 2:3 herankam, zwei Schalker des Feldes verwiesen wurden und kurz vor Schluss der Ausgleich gelang. Schalkes Fans feierten die eigene Mannschaft trotzdem.

An diesem Samstag wird im Stadion bekanntlich niemand feiern außer vielleicht die Beteiligten selbst. Zuschauer sind im größten deutschen Fußballstadion nicht zugelassen, wie schon beim letzten Derby. Damals, direkt nach der Corona-bedingten Pause im vergangenen Mai, gewann Dortmund 4:0. Danach stellte sich der damals noch als Schalker Aufsichtsratsvorsitzender amtierende Clemens Tönnies vor die Mikrofone und sprach davon, dass S04 mehr denn je über eine Ausgliederung der Profiabteilung in eine Kapitalgesellschaft nachdenken müsse.

Ausgliederung, Tönnies, sportlicher Niedergang - das sind auch vor dem Derby an diesem Samstag noch Themen, die Schalker Fans bewegen.

"Da ist sehr viel kaputtgegangen. Ich bin unglaublich erschöpft von allem."

Schalke-Fan Kornelia Toporzysek

Wenn am Samstag in Dortmund ab 18.30 Uhr (TV: Sky, Liveticker SPIEGEL.de) gespielt wird, wird Kornelia Toporzysek bei geöffneter Kneipentür und Durchzug das Derby im Fernsehen verfolgen. Emotional sei sie viel weiter weg als noch vor einigen Jahren. "Da ist sehr viel kaputtgegangen. Ich bin unglaublich erschöpft von allem", sagt die Richterin, die seit Mitte der Neunzigerjahre Spiele des FC Schalke besucht.

"Ich wünsche mir, dass es auf Schalke endlich mal wieder um Fußball geht und dass der dann auch mal wieder ein bisschen ansehnlicher wird."

Aber auf Schalke geht es derzeit hauptsächlich um das System Tönnies und dessen Folgen. Toporzysek lernte das System auch von innen kennen. Sie saß im Schalker Ehrenrat, als dieser sich mit rassistischen Äußerungen beschäftigen sollte, die Tönnies Ende Juli 2019 getätigt hatte. "Fassungslos und entsetzt" über die Art und Weise, wie der Fall verhandelt wurde, trat sie aus dem Gremium zurück. Tönnies kam sehr milde davon und wurde vom Rassismusvorwurf freigesprochen, er ließ sein Amt für drei Monate ruhen. Der Fleischunternehmer hatte die Strippen, an denen er gezogen hatte, weiter in der Hand.

"Der Fall wird uns immer wieder vor die Füße fallen", will Toporzysek schon damals geahnt haben. Markus Peick, der bis zum Ausbruch der Pandemie zehn Jahre lang sämtliche Spiele des FC Schalke besuchte, bestätigt die Ahnung: "Seitdem gelten wir als Rassistenverein, obwohl wir keiner sind."

Zuletzt gab es mehrere Vorfälle, die einen anderen Eindruck hinterließen. Etwa die rassistischen Rufe gegen Jordan Torunarigha, Profi von Hertha BSC. Der DFB hatte den Verein nach dem Eklat im Februar zu einer Geldstrafe von 50.000 Euro verurteilt. Und erst in der vergangenen Woche wurde Youssoufa Moukoko bei einem A-Jugend-Revierderby übel beleidigt, der DFB ermittelt  auch hier wegen des Verdachts auf rassistische Äußerungen.

Die Schalker Fan-Initiative engagiert sich seit Jahrzehnten gegen Rassismus und Diskriminierung. Dass der FC Schalke wieder als Verein mit einem großen Rassismusproblem dargestellt wird, ärgert Fans wie Toporzysek. Auch deshalb wären eine härtere Strafe gegen Tönnies und eine klare Abgrenzung von Vereinsseite so wichtig gewesen. 

Die beiden Vorstände Jochen Schneider und Alexander Jobst hätten sich im Sommer 2019 nicht eindeutig gegen Tönnies positioniert, der inzwischen doch gegangen ist. "Unser Vorstand ist absolut inakzeptabel - weil sie Schalke nicht verstanden haben", wirft Pascal Szewczyk den beiden Männern im inzwischen wieder dreiköpfigen Gremium vor. Szewczyk ist in der aktiven Fanszene bestens vernetzt. Er war nicht dabei, fand es aber "richtig gut", dass Ultras die Schalker Profis nach dem 1:1 gegen Union Berlin am vergangenen Sonntag aufsuchten.

Das Zusammentreffen vor dem Stadion sorgte wieder einmal für Diskussionen über die Rolle der Ultras. Viele Schalker Fans distanzierten sich klar von der Drohung, dass es beim nächsten Treffen nach einem verlorenen Derby möglicherweise "nicht so friedlich" zugehen werde. "Körperliche Gewalt ist natürlich völlig drüber. Aber ich fand es geil, dass die Millionäre mal mit der Realität in Konfrontation geraten", sagte Szewczyk.

Fans wie Szewczyk sind in Sorge um ihren Verein. "Schalke ist Teil von mir selbst, und ich lass mir nicht noch mehr wegnehmen. Sie haben mir schon so viel weggenommen", sagt Szewczyk, der auch den Schalke-Podcast "Blauer.Salon" betreibt. Es sind nicht allein die verschwendeten Millionen und das verschlissene Personal, es sind auch drei Flutlichtmasten. "Erst haben sie gesagt, dass alle Masten am alten Parkstadion stehen bleiben sollen. Dann waren es zumindest zwei. Jetzt steht nach dem Umbau nur noch einer." Oder das Vereinslogo. Szewczyk findet es nach der Umgestaltung sehr gelungen, aber: "Sie sollen es nie wieder anpacken, ohne mich zu fragen." Das Mitglied möchte gehört werden, wie es ihm laut Satzung zusteht.

Ausgliederung? "Schalke würde seine Seele verlieren"

Timo Riedemann ist Mitinitiator der Initiative "Schalke nur als e.V.". Er lehnt eine Ausgliederung in eine Kapitalgesellschaft rigoros ab. Kornelia Toporzysek ist nicht so dogmatisch: "Es würde mich zwar noch weiter entfernen, Schalke würde seine Seele verlieren. Aber wenn es denn das Überleben sichern würde …" Pascal Szewczyk sagt: "Wir können auch gern eine Genossenschaft werden. Ich will nur, dass Schalke ein Teil von mir bleibt."

Fehlende Mitsprache, das ist ein großes Problem für die Anhänger. Es gebe kaum Dialog zwischen Verein und Fans, keine offenen Diskussionen, keine Konzepte. "Wir brauchen konkrete Eckdaten", fordert Toporzysek. "Wann beginnt die offene Diskussion, die Jobst angekündigt hat?"

Alexander Jobst, der Vorstand Marketing, wird bei vielen Fans kritisch gesehen. Er, aber auch sein Vorstandskollege Schneider, hätten den FC Schalke, dem Millionen Fans verbunden sind, in ihrem Inneren nicht verstanden. Daher, so Szewczyk, wünsche er sich Führungskräfte, die "fachlich qualifiziert sind und den Schalker Stempel haben. Die auch wissen, was ein Derbysieg bedeutet."

Neidisch auf den BVB?

Das klingt, als schaue er sogar ein bisschen neidisch nach Dortmund auf Sportdirektor Michael Zorc, der selbst zahlreiche Derbys spielte. Oder auch auf Hans-Joachim Watzke, der mit seinem Vater schon im Stadion Rote Erde den BVB spielen sah. 

Wer könne denn Schalkes königsblaues Gesicht und Herz sein? "Gute Frage", antwortet Kornelia Toporzysek, "mir fällt keiner ein." Szewczyk und Riedemann nennen Benedikt Höwedes, allerdings erst in fünf bis zehn Jahren.

Wirtschaftliche Sorgen, alte Seilschaften um Clemens Tönnies, eine äußerst heterogene Fangemeinde, eine weitere Spaltung in der Diskussion um eine Ausgliederung, dazu seit 20 Bundesligaspielen ohne Sieg: Was hilft Schalke? "Ganz kurzfristig ein Derbysieg", sagt Kornelia Toporzysek, "es rechnet zwar keiner damit. Aber es wäre sehr schalkig, wenn wir gewinnen würden."

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